Robert Kelly

Eine Steinmauer in Providence




Aus dem Amerikanischen
von Frederic C. Hosenkeel


1

Im Morgengrauen untersucht die Sonne die blaue Kupferkuppel
der Christian-Science Kirche und bei Anbruch der Nacht

hemmt dieselbe Eichelform das Rosenlicht.
Dann ist es dunkel. Es ist Winter. Die langen Propositionen

der Romantik, die ebenso zu uns gehören wie Risse in der Glasur
zu Porzellan, sind in diesem Licht schwer zu erkennen.

Schwer zu hören. Das Herz ist immer ein Ausforschen.
Ich will aus der Schwierigkeit Folgerungen ziehen. Das Schwere

ist immer ein Anfangen und kommt ebenso wenig zu einem Ende
wie das Muster auf dem scharlachroten Buchara-Teppich

obwohl es auf seine ornamentale Umrandung trifft und von dort all die anderen
Richtungen wiederaufnimmt die sein Geheimnis Ding um Ding

geerbt hat. Das also ist es: eine Stadt, neu vor lauter frischer Luft,
mit Straßen die allmählich vertraut werden,

die Umrisse von immer schon vertrauten Menschen, aber ihr Auftreten, der Stil
sagt mir daß ich an diesem Ort bin, einer Hoffnung für sich,

mit eigener Anmut. Isoliert in Offenheit, in der Hoffnung auf Veränderung,
altes Ich in neuer Stadt, eigensüchtig wie Farben.


2

Eine Stadt wo Straßen halten was ihr Name verspricht ist gewichtig
wie das Lesen eines Buches das sich ernst nimmt, Ästhetik,

Grammatik, Politik. In dieser Stadt äußere ich mich vieldeutig zu meinem
eigenen Namen, Geschick, Ruf. Ich bin ein Teil... ja, von jener Kraft

die die Chance hätte das Gute zu küssen und stattdessen den Willen formt.
Unter dem Kruzifix aus Porzellan ist das Licht scharf, Kerzenhalter,

Milchglas, Zuschreiben einer Unschuld weil unsere Augen die Oberfläche
nicht tief genug durchdringen. Immer gibt es mehr

und bis zu solcher Fülle reichen die Simpelheiten der Moral nicht hin.
Wagen es nicht. Was in der Messe getrieben wird! Wie kann der Mensch wagen

den Wein das Brot die hochmütigen Unterschiede einerlei zu machen! Wie können
wir solche Verwirrung uns herausnehmen? In ein Bett so viele Frauen zu bringen

als ob nie auch nur die strahlenden Laken zu wechseln oder wenn sie sich selbst wuschen
eine Stadt! So geht das zu, die Integralen der Gefahr. Ich liebe dich

wird zu einem Manifest, sogar einer Theologie. Sei vielfältig und prophezeie:
die Welt ist eine von der wir so viele kennen dank dieses zitternden Ichs.


3

Was diese Kraft angeht: sie ist das Serum des Fragens
das in dem Geistesblut fließt. Der Geist ist Strömen

durch alles Fleisch, er ist ein Fluß, er ist dieser Fluß,
schiefriges Zinn, träge unter den Brückenbögen bei Fox Point

der sich langsam aufrafft Meer zu sein. Der Geist besteht aus seinen Gelegenheiten,
treu dem Tuch und der schwellenden Hüfte

die das Tuch begeistet. Er ist nicht nirgends. Wassers Schläue überall
herumzustöbern ist auch seine Gerissenheit. Es kann für eine Jahreszeit einfrieren

aber Frühling gibt es immer. Die Kuppel kommt im Morgen zurück
weit hinter dem großen Sportplatz wo die Mädchen beim Hockey

mit kalten roten Knien unter Schottenröcken höflich aufquietschend traben.
Und der Geist hat wieder Stoff zur Arbeit, matt

vom Nagen an den schwärenden Nachtsprachen, eigentümliche Grammatik
drei Uhr morgens sich in Schlaf verwandelt und Schlaf in Morgengrauen

wie ein einziger langer Satz in Irgendwassisch.


4

Wie so viele Codes ist er durch eine Wand vermittelt, eine beschwerliche
Trennung zwischen der Welt und der Welt. Dort spielen sie

und in ihrem Schatten nach hier herüber legt sich ein Liebespaar hin (oder eine
legt sich hin und einer kniet darüber) an diesem plötzlich heißen Tag

und hinter ihnen und von ihnen in ihrer langsamen Parade ungesehen
(er drückt leicht mit einer Hand auf ihren Bauch) ist das Feld

voll sommerigen englischen Grases, Hürden, Toren, Abseitslinien
und keinen Menschen. Er steht jetzt, sie liegt, der Schatten

wäre mir zu kalt aber ich bin aus ihm gemacht, aus seinem ominösen
Nachtkörper geflochten hier mitten am Herbstnachmittag.

Ich glaube sie haben sich in mir hingelegt. Woran sie jeweils denken
ich muß es sagen - ich brauche nicht mehr ich zu sagen, jeder einzelne Punkt

und jede Beziehung können doch nur meine Mundart des Geistes sprechen.
Und sie durchlaufen ihre eigenen Morphologien, Liebhaber, Freunde,

Körper, die einander gut tun in behelfsmäßiger Zurückgezogenheit.
Sie tun was Liebespaare tun. Sind zum Beispiel weggegangen.


5

Es gibt eine Wand an der entlang gehen wir nach Hause. Weg finden.
Was man sieht, die gelb werdende junge Eiche, verspricht da zu sein,

verspricht eine Gegenwärtigkeit, Index einer Vergangenheit einer ganzen Ursachensage
- Eichel - Gärtner - Wetter - Pflege - Licht, und während der Wind an ihr zupft

spricht sie von einer Zukunft in der sie vielerlei Bedeutungen aus sich entfalten wird.
Zum Beispiel: der Baum, erinnerst du dich noch, an der alten Wand,

wie der aussah als sich das Feld plötzlich mit Baseball anfüllte
und sich an dem Baum nichts geändert hat, Symbol des großen Jupiter, die Kraft

zu verkörpern woran einer unentwegt denken muß. Dieser Baum
ist meine Autorität. Was wir beantworten müssen ist das Fragende.

Ich muß mich dem vermählen was daherkommt. Eine Sache ist Zeit.
Eine Sache ist augenblickliche Rast zwischen den nicht endenden Widersprüchen

die sich in ihr schneiden, sich eines über das andere kreuzen, und in die beiden
Richtungen unserer Phantasie zurückfallen. Sache bleibt. Zeit geht, kommt.


6

Ein Körper wenn er schläft wird zu einem Stein, und wenn sie ein Buch liest
ist sie unsichtbar. Diese Disziplin der Körper und des Lichtes,

die älteste Wissenschaft. Was das Maul der Höhle gesehen hat. Und was der Hund
zu verehren aus der Wildheit gelockt worden ist, wie Menschen sich bewegen,

wie sie etwas im Sinn zu haben scheinen während sie sich schnellen elastischen Schrittes
von einem Ende zum anderen Ende des Pferchs bewegen,

vor dem räucherigen Licht. Wo ist sie wenn sie liest?
Was denkt der Hund dann, während er auf ein erkennbares Zeichen wartet?

Der Astralleib ist auf Reisen gewesen, kehrt langsam zurück
in den erwachenden Körper dessen der ein Nickerchen gemacht hat, letztes Licht, der beim Aufwachen

den makrelenstreifigen Südwesthimmel sieht und eine ? die neben ihm aufwacht
sagt ein Pferd ein Pferd man hört es vorbeitrotten. Dunkle Gestalt

auf der Straße, unverkennbar. Dunkles Geräusch. Ein Reiter aber ungesehen.
Wer reitet dieses Pferd? Wo ist der Astralleib gewesen der nun

so widerstrebend zurückkehrt dies weiche Mineral in Besitz zu nehmen,
diesen erwachenden Menschen der noch gar nichts ist außer dem Pferd das er hört?


7

Was ist denn dieser Stein? Wie denkt er? Oder wenn sie zusammen sind
ist das ein Denken was sie in einander machen, wo er sie gedrückt hat

als sie lax unten bei der Wand lag und er über ihr gekniet hat, zwei Freunde
in der Schattenverschwörung? Ist das was Denken heißt?

Angenommen es gibt wirklich einen Astralleib, einen Körper wie ein Paar Arme
die gen Himmel springen, aus dem Körper heraus wie eine Geschichte aus einem Buch

wenn das Buch zufällt und die Frau die es gelesen hat voll von dem Abenteuer ist
und ihre Seele diesem Ort gehört, diesen Stimmen.

Angenommen dieser Körper reist und wir nennen seine Reise «Traum»
und kommt dann zurück zu uns Minuten nachdem wir erwachen und erfüllt das langsame Fleisch

mit einem Gewahrsein seiner selbst und was es will. Fast schmerzt es
diesen Besucher wiederkommen zu lassen. Eingeschlafenes Kribbeln. Immer etwas

Neues aus Afrika. Rubadubbub der neuen Begierden die sich gerade in die parat
liegenden alten Plätze in der Schlafsteinwand zwängen. Hast du Pferd gesagt?

Bist du mein Geliebter? Da war Denken aber es ist eingeschlafen. Dann gab es
Schlafen und es ist aufgewacht. Es gab immer noch einen Himmel. Eine Stadt

die ihre Silhouette in ihn ragt Kuppel neben Kirchturm neben modernem Turmbau
still wie eine buchlesende Frau. Voll von einer Geschichte die zu verlieren sie aufgewacht ist.


8

Und wenn es nicht eine Wand ist ist es ein Weg
denn es ist wichtig nicht leicht zu sein. Dem Licht Sachen zu stehlen!

Und nenn' das Frühmorgen. Der Himmel ist hier texturiert
alte Städte geben so viel - ich bin älter als irgendeine - wer spricht?

Hat ein Recht seine Gesterns über Bord zu werfen aber die gewachsene Textur
von heute heil zu halten, diesen klarsichtigen Kompromiß

das Beste was wir haben. Eine Wand ist Reflektion. Eine Wand
ist der Sohn einer stolzen Mutter und er ist stolz.

Neben ihr finden sie einen Parkplatz im Traum,
besteigen den Mont Cenis, hören Judas' klare Stimme einen Vortrag halten

im arktischen Athenäum. Wir sind immer alt und ich bin immer jung.
Unter den einverstandenen Eichen kommen sie miteinander zu verhandeln

Intelligenz gegen Intelligenz. Mann gegen Mann. Kenne das Geschlecht der Wände
und kenne das Organ des menschlichen Vorgehens: wo die Wand hinführt.

Was die Wand sagt. Denn der Unterschied proklamiert sich freudig selbst.
Nicht etwa daß das Nachdenken ein gieriger Wolf wäre. Es ist ein Hund

voll provisorischer Kameraderie. Eine Feuchtigkeit in dieser Morgenluft.
Denken legt auf den Tambourtisch aus Kirschholz beim Fenster einen feinen Staub.


9

Es ist ein verzweifelter Akt unter meinesgleichen zu sein, Café.
Zwei arbeiten Rücken an Rücken, ein Drittes quetscht sich dazwischen - Frauen, Weisheiten.

Denn die Weisheit ist keineswegs einzeln. Es gibt keine letzte Vereinbarung
außer weiterzureden. Halt' die Fasten der Zeit ein, die purpurnen Feriae die mich fremd machen

wenn ich mich frage wer in der Nacht gestorben ist. Wer ist zum Leben erwacht?
Was bewegt das Licht wie Nachrichten über uns hereinzubrechen

in den Formen jener die durch ein Gefüge hasten das lange hinterher
entziffert werden kann, Bienenwege vom Gedächtnis nachgezogen

wie die drei Frauen sich hinter dem Tresen bewegen, wiederkehrende Spuren zurücklassen,
sich selbst als formale Unterbrechungen dieses formlosen Denkens.

Oder hinter verschleierten, noch durchscheinenden Fenstern ziehen Familien
durch das Kriegsgeschehen ihrer interaktiven Abstände, erratenes Kataster

von Zufallswohnungen kanalisiert ihren Zorn und gewährt das an Frieden
was der Raum herzugeben sich erbarmen kann: nahe bringen, fern lassen, eine weiche Ecke

wo man sich selbst bemitleiden, krank fühlen, oder seine Wunden lecken kann. Und in der Zwischen
genannten Zeit zwischen all diesem lecker saftigen Geflatter das ich so gern mag, steht die Wand.


10

Ihre offenkundige Stille, sagt man, ist reine Täuschung, eine Eidgenossenschaft unter Molekülen
sich so zu ordnen daß wir von einem Festheitsflimmern hereingelegt werden

und deshalb vom Gras herunter bleiben. Nicht sehen (außer von hier, hohem Fenster)
wie der Mittelfeldmann plötzlich auftaucht einen Hochball fängt dann hinter Bäumen verschwindet

von wo ihre matten Rufe (bei schon geschlossenen Fenstern) leise aufsteigen den Sog der Stille
zu verfluchen. Das war Pindars goldene Harfe, ein Ruf des angestrengten Leibes

unvermittelt aus der schweigenden Himmelsschale gerissen, ein Klang aus dem Erzählen
federnd sich entrollt. Dekodier' diese Musik. Sag' was der Schrei sagenwill,

Vaters schwarz besegeltes Schiff, deine Romanze mit dem durchtriebenen
kappadozischen Held. Wie deine Mutter eine Schlange sich auswinden sah

unten beim Wasserfall und aus ihrem Frühlingsrecken beschloß,
dich mit deines Vaters Instrument zu machen. Jedes Geräusch zeichnet sich auf.

Was wir hören ist selten was da ist. Es ist das Anzeichen eines Geschichtlichen
das wir zu kennen uns bemühen, und durchs Kennen mit unsrer Zukunft vereinen

bis Zeit und Gedächtnis ein dichter vereinter Strang bilden, störrisch wie eine Wand,
und gerade dieses endlos selbstbezogene Seil oder Weiterlaufen zu brechen ist mein Wille.


11

Wir kehren schließlich zu dem einfachsten Kennen zurück
einem Fenster das so tut als wäre es ein Ich in einer Welt von Ichs.

Die Sachen die uns weh tun sind leicht zu erinnern,
ein Fuß, ein Zahn, eine Zahl. Ein Zahnarzt in Paris

der nicht auf deinen Schmerz gehört hat. Ein Bedürfnis. Ich habe neben dir
gelegen und nicht gewußt. Wir haben nicht gewußt

und trotzdem füllt sich das Feld auf der anderen Seite von Arlington
mit Licht, einer Blaskapelle, einem Dächerwald

um ein letztes Mal Abschied zu nehmen von einer immensen Stadt
in der wir weiter leben werden, auf immer, obwohl

sie in diesem Moment und in diesem Auge von uns geht
in Schiefergrau und Umbra und Blau davongleitet.

Auch Schatten dringt durch das Fenster, trotz all der heißen Veranden,
gelben Wände, ältern Studenten bei durchtriebenen Affären nebenan.

Vergiß mich nicht, Wipfel, auch wenn du deine Blätter herbstest
und das Buch meiner Aufmerksamkeit unter Wogen von Licht ertränkst.


12

Aber sind es denn Wellen, und so weiter. Ist es ein Ich, und so weiter.
War es Luzern wo du zur Frau geworden bist, mit der heißen Gewohnheit

des Schoßes, dieser Bluterei? War es Lausanne? Die Dinge
von denen ich rede sind selten wahr aber das Reden ist wahr.

Es gibt kein gefestigtes Ich in dem Strom der Geschehnisse -
geschieht das Licht dem Kristall oder geschieht

der Kristall dem Licht, dieses vielgestaltige Vielgesicht hängt in deinem Fenster,
birnenspitz, rundlich, pendelt, aber nicht genug um die Friedlichkeit

des Weißen zu den Farbbotschaften hin zu durchbrechen. Kein feststehendes Ich
aber man kann eines machen, ist das so? Daß ein Felsbrocken in einem Bach liegen

und trotz seiner Moose und Verwitterungen anders sein kann als was Witterung ist,
ist das der Gang von solchen Ereignisfolgen wie

es war Lausanne, du wurdest eine Frau indes die weichen Schweizermünder
in ihrer andern Sprache heimisch blieben und du keinen zum erzählen hattest.

Wer geschah dir? Gab es was ich werden würde schon
als Berg oder stotternden Mietwagen oder übereifrigen Kellner

der der Frau aufwartete die du geworden bist. Vielleicht ist das Reden wahr,
wahrer als das nervöse Schweigen das mich im Strömen schläft.


13

Es ist im Ernst ein anderer Ort, hat sich ernsthaft vorgenommen
den geringsten Ausschlag dessen zu entdecken was diese Sonne so ernsthaft

für wirklich nimmt. Ich pflichte ihm in jeder Silbe bei, jede Farbe entspricht genau
dem ursprünglichen Entwurf, unweigerlich. Der Kristall

sagt es mir. Hör auf das Gitter. Höre auf Zahlen
sie sind die rötesten unsere Begriffe, blutige Zahlen

von unserer Jungfrau gesegnet. Reine Dreiheit ergreift den Geist
und was du dann fühlst zeigt dir wo der Geist ist

und was er tut. Er wird ergriffen, das jungfräuliche Opfer des Erfahrens,
Hotel dessen was geschieht. Ich denke an den dicken weißen Leim

der getrocknet durchsichtig ist, wir sehen die verleimten Teile an
und vergessen daß sie zusammengefügt sind, verbunden

von einem trüben weißen Spritzer und seiner Vereinenskraft.
Ein kleines Kind und sein Vater (älterer Bruder) gehen an dem Hockeytor vorbei

zwei schwarze Hunde tollen sich auf dem Hockeyplatz. Himmel ist was geschieht.


14

Da alle Bäume im Winter tot aussehen kann man erst im Frühling erkennen
welche erwachen werden und welche eine Zeitlang dastehen werden

als ungemein überzeugender Kommentar zur Jahreszeit indem sie
jene Anderzeit sind, die wir unter dem Wort 'Tod' begreifen.


15

Ich werde eine andere Geschichte über den Raum erzählen.
Ich werde nicht der Wand auftragen meine Wahrheit zu erzählen.

Ich werde ertragen was sie mir Stein um Stein erzählen kann -
daß sie hier ist um mir Freude zu bereiten

wie das Liebespaar letztes Mal kniete und stand und lag und hockte
in ihrem Schatten an dem einen warmen Oktobertag -

war es ein Liebesspiel oder taten sie nur so
(manchmal frage ich mich wieviel Vortäuschung die Liebe überhaupt ist,

die Sachen die wir sagen oder für uns zu behalten versuchen
stumm während Haut an Haut raschelt)

sich aalte in dieser Wandwonne. Warum Wand?
Eine Wand um die hochaufgeschüttete Erde zurückzuhalten

wo Jogger mittlerweilen in Schwärmen laufen
innen drin in ihren Trainingshemden sind junge, offizielle

Athleten einer Institution die Griechisch durch Deutschland
vor hundert Jahren gelernt hat und auf den seltsamen Gedanken gekommen war

daß es der Körper sei der erinnere, daß wenn man den Körper
dazu trainiere wahrhaftig, gesund, voller Anmut zu sein

die Paradigmata der Sanskritverben, die rätselhaften Unterscheidungen
eines Plato ihm zur Natur würden

und während er seine Glieder in diesem schönen Sonnenlicht spannt
man aus dieser Gewandtheit die ganze antike Richtigkeit zurückgewinnen kann.


16
Wand, Stein, Haus, Zimmer, Fenster, Sonne: wie
könnte eines davon verkehrt sein? Sie laufen und das ist richtig.

Blauer Himmel, Kondensstreifen, zarte Stratuswolken im Westen,
wo könnte Fehler stecken, alter Makel? Das einzig kipplige

ist was ich darüber sage - da liegt das Risiko: überhaupt zu sprechen
und von solchem Sprechen allerlei Schärfen zu erben, Spitzen,

schräge Unterscheidungen, unnötige Urteile, Sünden,
bis ich so verwirrt werde von mir und dir und Wand

daß ich die Farbe des Grases nicht das oxydierte Kupfer
der Kuppel nennen oder den Namen dieses Mädchens sagen kann

das jetzt draußen vorbeiläuft, in Räuberzivil, all
diese Läufer in ihrem unergründlichen Gerase. Was ich kenne ist das Bleiben.


17

Die Philosophie ist so ein Ort, der Geist ist so ein Ort
dessen Ecken nicht deutlich markiert sind

aber Ecken hat es, seine Türen, seinen Staub
von antikem Stuckwerk das Jahr um Jahr herabrieselt

fast unsichtbar, das Krümeln das Dinge an sich haben.
Aber wir nicht, jedenfalls nicht genauso. Wir sind stark, wir dauern,

wir ändern uns, bleiben dieselben, werden rauh, werden glatt,
zu allem fähig und manchmal impotent,

dünn, fett, jubeln und versagen, wir erreichen etwas
und fallen auf die Nase, alles nur Vorstellbare und nichts geschafft,

wir schlafen die ganze Zeit, leiden an Schlaflosigkeit, verpennen den Wecker,
wachen um Mitternacht mit trocknen Kehlen auf und schnattern,

zu viel, zu wenig, Diät, betrunken, zerrüttet, lasziv und keusch,
zu Freudentaumeln geneigt, umklammern eng, halten locker, halten uns fest und fallen.

Es gibt keine Wahrheit über uns weil diese Worte wahr sind -
wir sind so definitionslos wie Gott.

Wir kämpfen, manchmal, und manchmal lassen wir es sausen
und wo wir hinsausen wenn das große Sausen abgesaust ist

ist doch nur wo wir immer waren, wo wir sind, anfangslos,
immer hier, wo das Fenster die Wand erleuchtet.


18

Eine Wand ist so etwas wie reines Bleiben. Reines Unterscheiden
das nur trennt was wir nach den Platzregeln unseres Spiels

geschieden haben wollen. Du bist keine Ontologie, du Wand,
bist keine derartige Unterscheidung daß wir nicht etwa, jetzt gleich,

dich Stein für Stein entstücken könnten, bis wir Licht sähen gerade
hinter deinen Schultern, Licht das nichts von einer Wand weiß.

Ich denke eben jetzt daß eine Wand ein Vergnügen ist
dazu da uns welches zu geben wie sie den Liebenden Schatten gab

und in dem Schatten unseres Vergnügens, gegeben, gemeinsam genossen,
nimmt die Welt der Dinge Dimension an.

Ich denke die Dinge stammen aus uns, die Freude die wir an ihnen haben
gibt den Gegenständen Dicke, Tiefe, Höhe, Farbe, Textur.

Ohne uns denke ich sind sie bloß Ideen,
langweilige Kategorien in den Mutmaßungen eines jemand.

Stell dir die Lust eines Steines vor, wenn unsere Körper sich berühren.
Leite daraus die Lust einer Wand ab. Eines Zimmers.


19

Wie spät ist es? Ein schwarzer Junge läuft über den Platz.
Winterheit. Die Südwestkuppel ist flach, ein grünes Aufwallen

wie ein indischer Gedanke, ein Tempeldach in Lucknow, grüne
große Stupaflachheit, Brust mit einer kleinen Goldwarze, Kuppel.

Was singt jetzt? Wie spät der Geist doch geworden ist
mit allen seinen Augenblicken. Hier bin ich. Der unauflösliche

Widerspruch an irgend einer Stelle zu sein. Hier und nicht dort.
Diese Sprache und nicht jene. Gewinnlose Unterscheidungen

aufrechterhalten von der Grammatik einer sterbenden Sprache. Fallendungen
des Mondes. Er läuft. Es ist eine Welt reiner Überreste. Sonntage. Was vorüber ist.


20

So vertieft sich unter den Anemonen eine Frau in ihr Buch.
Unter seinem Dach sitzt ein Haus träumt von Schiefer. Der Fels träumt Moos.

Jetzt kenn' ich dich, Wand. Du bist der in der Kindheit gesprochene Satz,
auf die Tafel geschrunden mit Kriegskreide, das Urteil,

ein Satz vergessener Wörter dessen Umriß aber jede Behauptung lehrt.
Könnte ich etwas Vernünftigeres von mir geben? Proportion. Architrav, staubige

Riesenleiber der Götter. Oder ist der ganze Körper staubig, kreidestaubig,
und alle die Bücher, ihre inneren Ränder voll von dem Staub den wir zum Denken benutzen?

Wenn ein Gott seinen Tod nahe weiß fällt Staub auf seinen Brokat.
Seine Achselhöhlen sondern mit einem Mal den Geruch

von all dem Schweiß ab den der Arbeiter der er nie gewesen ist vergossen hat
in ehrlicher aber geistloser Arbeit. Die Saiten seiner Gitarre entstimmen sich.

Und deshalb schaue ich auf diese gedrungene Kuppel und sage noch einmal
wie kostbar diese Art Leben ist in der sich sagen läßt:

Ein schwarzer Junge läuft und der bin ich. Ein Hund läuft mit ihm und das bin ich.
Ich sehe ihn und bin gesehen und bin das Sehen. Worin die Methode kommt:

Jeden Unterschied zärtlich lieben und wissen daß es keinen Unterschied gibt.


Providence, Rhode Island
3. Oktober - 22. November 1981

(Robert Kelly in ZdZ 7/8)