Thomas Poiss

Hermeneutik hat einen Knall
Hase und Igel: Neues vom Experimentaldichter Ulf Stolterfoht



Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Mai 2005

Elektrotechniker, Viehschlächter Linguisten haben eines gemeinsam: sie verwenden Terminologien. Darin manifestiert sich das enge Verhältnis von Wörtern und Sachen aus der Sicht des Experten, was Laien oft befremdet. Diesen Effekt erforscht der aus Stuttgart stammende Dichter UIf Stolterfoht im nunmehr dritten Band seiner «fachsprachen» (FAZ: vom 19. September 2003). Naheliegenderweise gerät auch der lyrische Jargon der Literatur-Häuser und Poetry-Slams in den Blick. Der entsprechende Gedichtzyklus heißt «handbuch des deutschen aberglaubens» und verknüpft Funde aus dem gleichnamigen Volkskunde-Lexikon mit dem Slang von Computerpoeten und «jungen schwäbischen künstlern». Unüberhörbar ist Stolterfohts Ironie, doch unversehens wird ein Gedicht über allzuschicke Metapherntheorien persönlich: «du hörst dich in den ranken rascheln, / dir haften die dinge wie namen am kleid. bist du bereit / für den satz? nun: auf dem acker liegt der bube und. strahlt aus.war / das so schlimm? allerdings UND: ihm wohnen igele im mund.» Diese Metapher für einen auf dem semantischen Feld gefallenen Dichter ist zu schön, um sie nicht dem Dichter Stolterfoht selbst in den Mund zu legen. Ja, «ihm. wohnen igele im mund».
Bedenkt man, daß zwei Gedicht-Zyklen des Bandes dem Dichter Petrarca und dem Sprachphilosophen Hamann gewidmet sind, so darf man fragen, worin denn Stolterfohts eigene Fachsprache besteht. Es kann nur eine Sprache zweiter Ordnung sein, in der Sinn und Wesen, der Sprache mit jedem Wort und jedem Satz neu auf dem Spiel steht. Schon bei Einzelwörtern können wir uns ja nie sicher sein, ob sie überhaupt etwas bedeuten. Dies zeigen die unter «lyrikbedarf 2» alphabetisch angeordneten Wörter, unter die zahlreiche Wortattrappen gemischt sind. «aminok» ist ein solches Unding aus «amino», «amok» und einer Verschreibung von «amoniak», und trotzdem scheint «aminok» etwas bedeuten zu wollen. «denktasch» und «dschumblat» sind hingegen die realen Namen zweier levantinischer Politiker; «föderasmus» klingt nach wortgewordener Staatskrise; «monstrus» ist monströs und abstrus in einem.
Ein «wulst» aus Sinn und Unsinn zwingt dazu, in Hinkunft bei jedem Wort nachzuschlagen, ob es überhaupt existiert. Denn schon ein Buchstabe genügt, und der «Hybrid-Generator» Sprache verleiht etwa dem Wort «Kopula» einen aus dem Lateinischen, stammenden Körper: «korpula! korpula! das fleischgewordene UND ist da.»
Dies scheint gereimter Unsinn, doch wie in «Finnegans wake» von James Joyce taucht etwas Ungeheures hinter und in der Sprache auf, wovon regelfürchtige Gemüter sich nichts träumen lassen. Stolterfoht hat auch schon einmal ein Gedicht über die DIN-Norm 2330 zur deutschen Wortbildung geschrieben, doch Normen neigen dazu, jede Abweichung auch noch im nachhinein zu unterdrücken. Demgegenüber setzt er das schöpferische Potential allen Verstehens und Mißverstehens frei. Die Buchstabenfolgen und Klangmuster der Wörter werden im Verlesen von Sätzen meist gar nicht aktuell wahrgenommen. Auf der Suche nach Sinn hören wir immer schon über die Sprache hinweg und hoffen, daß uns der «bewandtnisblitz» trifft. Wenn es funkt, glauben wir zu verstehen. Stolterfoht widmet die Verfallsgeschichte dieses «leistungsdeutens» seinem Dichtervorbild Oskar Pastior in Gedichtform: Schleiermacher, Ast, Husserl und Gadamer haben sich vergebens gemüht, «hermeneutisch knallt alles runter auf / null».
Stolterfoht ist durch seinen anschaulichen Sprachwitz jeder glatten Post-Postmodeme voraus. Wer wie er die neuesten Theorien nach Wittgenstein und Chomsky in poetischen Sätzen reflektiert, verkörpert und beim Wort nimmt und also weiß, wohin der Hase theoretisch läuft, der hat als Dichter gut reden.


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