Norbert Hummelt

batterien



die in den dünn gestreuten hellen sand
die zart beringten u. verfaulten fußes
die in den dünn gestreuten hellen sand
zu liegen kommen, denen die -

als kind schon war ich erinnerungssüchtig, mein zwanghafter gleichviel vergeblicher wunsch, geschaute bilder gehörte geräusche die bruchstücke eines gesprächs im gedächtnis zu halten, so daß sie mir unentreißbar würden, verdunkelte nur den neuen augenblick, kappte die dünnen drähte zur welt u. ließ mich wie unter schaumstoff verschwinden .. doch du bist diejenige die mit mir im raum ist, du bist diejenige die zu mir spricht, während ich noch den bildern nachhänge, während ich noch an den buchstaben klebe, die ich hinter der glasscheibe sah, so daß ich nun unfähig bin, deinen worten zu folgen: vielleicht ein aushang, eine litfaßsäule, ein anschlagbrett, an das die schrift gepinnt war, ich dachte mein auge hätte alles kopiert.

die tierfiguren auf dem kuvert
die stempelschwärze auf den pferdenüstern -

in den verzweigungen meines schädels baut sich ein paar junger vögel sein nest, ich glaube es sind amseln. so oft sie ausfliegen, öffnet sich eine luke in meinem hirn u. eine art wind (mistral) fegt herein u. rappelt an den lamellen meiner denkjalousie, so geht mir manches aus dem gedächtnis flöten. so oft sie heimkehren, bringen sie etwas verlorenes wieder, bindfäden, rinde oder totes holz, ein stückchen schrift, das aus dem kopf gekippt war.

die ziffer 16 auf dem rücken des ponys
mein name darunter im schwarzen filz -

mein auge sieht aber nicht durch den regen hindurch, die sehkraft reicht nur bis zur fensterscheibe. der depressive (verschleierte) blick der stubenkatze erscheint für immer auf einem foto fixiert, sie hockt vermutlich auf einer fensterbank, wartend, regentropfen sind ihre perlen (pupillen), ein weißer lichtstreif bandagiert ihr hirn. es muß mein tier sein das mir so erscheint, aus unbestimmbar perspektivischer ferne.

der hospitalismus der eisbären aber
der blick des zwingerhunds der an der kette zerrt -

es war das inferno der gebeutelten esel. die einstmals samtgrauen felle der tiere waren über u. über mit blutroten striemen bedeckt, wie mit gleichsam unauslöschlichen spuren dessen, was ihnen von der hand der menschen geschehen war, pulsierende spuren, in deren jeder ich die ganze gewalt der peitschenhiebe noch glaubte zittern zu sehen, welche diese von lasten gebeugten rücken immer wieder u. wieder getroffen hatten. ich war aber nicht imstande, ihre wunden zu zählen.

die von den rückständen chemischer lösung verklebten partien des katzenfells aber die zahlenkolonne auf dem hals des stiers -

als letztes kam ich an den stallungen für die hühner vorbei. ihnen hatte man die gerupften kadaver ihrer ausgeweideten u. sonstwie massakrierten freunde u. artgenossen mit köpfen nach unten in ihre käfige (batterien) oder laufställe gehängt, als leere hautlappen oder seelenhüllen, ein anblick, über den die federtiere komplett wahnsinnig wurden. sie flatterten nicht nur wie die irren hin u. her, sie hackten auch wahllos aufeinander ein u. stießen sogar die schnäbel in diejenigen partien ihrer eigenen körper, die sie bei äußerster verrenkung ihrer hälse noch erreichen konnten. ich streckte die hände durch draht (durch das gitter), faßte unter den ansatz der flügel, verknotete (klemmte) soviel ich vermochte, dann gaben sie endlich kein gackern mehr von sich, verharrten in todesangst, paralysiert.

die fetzen papier in den sträuchern am bahndamm
mein schlurfender gang auf dem kopfweidenpflaster
die horde vögel auf dem sirrenden draht -

so häufig ich auch an die pforte klopfe, der bruder der drinnen sitzt läßt sich verleugnen: an diesem ort ist mir die schrift erschienen, an diesem pfeiler war sie ausgehängt, hier in dem winkel dieser düstren konche, an einem ort, der meinen namen trägt. in meinem kopf ist endlich alles still, der lose flatternde vakante zettel ist wieder schwer mit schwarzen lettern drauf, bis sich die luke von neuem öffnet u. es ist wind vielleicht der mein gesicht berührt, oder dein ruhig gewordener atem.


(Aus: Erinnere einen vergessenen Text)