Peter Waterhouse

(Honig & Zoonen)




Ich machte die Flugzeugreise vom Land Amerika fort zu der großen Stadt Wien. Ich war nicht "da", nicht "dort vorne". Ich war "in der Entfernung von". Das große Rauschen, das Glitzern, die Sonne, Schiffe vor der Insel Neufundland. Ich dachte: die Verbindung ist unterbrochen. Die Verbindung ist unterbrochen wie oftmals zuvor. Das Verbindende, das Finale, das Stabile, das Konsistente, das Homogene, das Identische ist nicht da. Spring. Geh. Lauf. Ich war bald erschrocken. Die Ebene, die nicht mehr war, hieß Königskontinuum. Der Tempel, den ich dort sah, hieß Diskretum.
Ich setzte das Poetische mit dem Diskretum gleich. Ich setzte das Poetische mit dem mathematischen Punkt gleich. Ich setzte das Poetische mit dem Unterschiedenen gleich. Aus dem Poetischen ließ sich kein Ganzes bilden, Gegenteil von Milch. Im Augenblick des Poetischen wußte ich nicht, was die Sprache ist, wußte ich nicht, was ich tat. Im Augenblick des Poetischen war ich unscheinbarer, nahe der Unscheinbarkeit. Die Unscheinbarkeit war ein Helligkeitsfeld. Sie entstand in der Frühe, kam aus der Morgendämmerung als Häuser, Wege, Bäume, Kamille, Schilf, Nesseln entgegen (Anti-Hesperus). Ich hatte den Sinn "für draußen", "für das schöne Kanalufer", "für die Wolkenverschiebung", "für das Augenlicht", "für das Erwachen", für die Leichtigkeit".
Ich wollte eine morgenländische Sprache, eine südöstlich von etwas hörbar werdende Sprache. Das heißt, ich wollte eine Sprache gegen die Nacht. Ich hatte Nachtangst. Ich versuchte zu sprechen, daß die Buchstaben der Wörter von einander getrennt wurden. Ich versuchte zu sprechen, daß die Rhythmen nicht übereinander lagen. Ich beantwortete die Fragen mit Ja+Nein. Nach der Unterbrechung hieß das Zündbare Einzelheit, Oberfläche, Ohne Wesen, Kein Eigentum, Wer? Wer?
Die größte Bewegtheit habe ich empfunden bei an die Verschwiegenheit grenzenden Büchern (das 33. Petrarca Gedicht von Oskar Pastior, das Gedicht Stimmen von Paul Celan, das Gedicht Yaddo von Carl Rakosi). Ich glaube, das Schweigende in der Dichtung (oder das Elliptische) ist die Zündpause für das Ausderidentitätbrechen. Alles, soweit man sieht, hält den Atem an für den Augenblick des Ganz Anderen. Das Ganz Andere ereignet sich bei angehaltenem Atem, ist dem Jetzt nicht vorgeordnet, liegt voraus (morgen Früh). Ich glaube, aus diesem Nicht-Ich spricht die schweigende Dichtung, und damit von Wirklichkeit? Die Wirklichkeit ist eine Form des Schweigens? Die Wirklichkeit hält den Atem an?
Um der Wirklichkeit begegnen zu können, hielt ich es für notwendig, in ein Schweigen zu kommen. Das Gedicht, als Begegnung mit etwas, war ein aus einer Leere kommendes. Das Gedicht begann in der Sekunde der Leere. Nichts in der Leere gehörte zusammen, die Stromleitungen verliefen nicht entlang der Straße, die Brücke, schwebend, überquerte keinen Fluß, der Kastanienbaum war nur Kastanienbaum, der Schatten hatte eine Grenze, das Vogelnest war von zugeflogenen Vögeln gebaut worden, sie flogen im September in ein anderes schweigendes Land. So endete die Nacht. So gingen die Augen auf. Die Suche nach dem leeren Punkt war die Suche nach einem Nachtende, Machtende. Das Gedicht war eine Form des Außerkraftsetzens. Am anderen Polende der Macht war die Wirklichkeit da. Ich erlebte das Gedicht als ein Außerkraftsetzen. In der mit dem Gedicht entstehenden Offenheit geschah ein Gespräch der vielen Fremdheiten. (Jetzt fang an.)
Ich möchte auch berichten, daß es im Spaltungsprozeß einer Dichtung einen Gestaltaugenblick gibt, in welchem das fein Unterschiedene, Auseinandergehaltene zu ich weiß nicht was wird. Ich denke dabei an eine Art Leibniz-Punkt, jenseits dessen das, was Leibniz Mannigfaltigkeit genannt hat, zu einem Augenblick wird, wo keine Homogenität ist, das Ersticken zuende ist, das Vertrauen oder die Liebe stark werden. Man kann da auch sagen, hier ist nichts, hier widerspricht sich so viel, die Erkenntnis ist so unsicher, die Flamme ist in jedem Zeitpunkt, als hätte ich sie nicht gesehen, sie wird manchmal oder in gewisser Weise jünger, durchsichtiger, rückläufiges Feuer. Anstatt also daß das Sujet ist, ist es eine Weite, ein jedes Andere, ein Gleichzeitig, eine Fremdheit, ein Unerreichbares, ein Erreichbares, ein Du.
Ich war der Meinung, daß die Dichtung, um zum Du zu finden, das Subjektsystem erschüttern mußte. Es ging, wenn ich Dichtung las, hinaus. Wo ich in der Dichtung eine Schlüssigkeit gefunden habe, habe ich aufgehört zu lesen. Es gab im Bereich der experimentellen (die Schlüssigkeit der Sprache befragenden) Dichtung eine nicht-freiwillige Form von Schlüssigkeit und Homogenität. Ich sah sie in Konrad Bayers "Der Stein der Weisen" und versuchte, sie zu verstehen. Dem Text liegt ein analytischer, die Sprache distanzierender, die Sprache aus der Erzählform rückender Impuls zugrunde.

es wird immer lebendiger. sobald sie musik hören, kommen alle außer sich. die insel porto santo hat außer ihrem trefflichen weinbau, ihren vielen kanarienvögeln und ihren rebhühnern nichts merkwürdiges. die fensterscheiben zerspringen. menschen und tiere triefen überall von blut. ceylon, die giesskanne ostindiens. männliche körper, weibliche körper, kindliche körper. schafkörper auf der weide. das getreide schießt aus der erdkugel. das einhorn, dessen dasein in der natur man schon vielseitig geleugnet hat, soll sich doch noch in den wäldern abessiniens vorfinden. das auge sieht nichts. die hauptstadt ist abomch, mit 24 000 einwohnern und einem mit menschenschädeln gezierten königsschloss. übelriechende nebel hüllen die täler ein. man sieht hier ochsen ohne hörner. die an unglücklichen tagen geborenen kinder werden umgebracht. alle tage im märz und april, der mittwoch und der freitag, sowie der letzte tag aller monate sind solche unglückstage. die leichen werden in särgen begraben. es sind hier braune kanarienvögel, die besser singen als die gelben. einige nach süden fliessende bäche haben das schönste wasser. der honig ist schwarz. ( )

Beim Aufbrechen des erzählten "Materials" unterläuft es dem Text, daß er zu einer neuen Synthese führt. Bayer spricht von der Gemeinsamkeit schaffenden Wirkung der Sprache, er versucht diese Wirkung zu durchtrennen, aber die neue Synthese heißt: alle Sätze sind gleichwertig, alle Sätze sind gleich, der Text ist "Sprache". Sprache in diesem Sinn ist aber auf einmal nicht mehr distanziert, analysiert, sondern synthetisiert. Der Text schließt sich, seine Bruchstücke zerstören nicht das System, sondern gehören zum Innersprachlichen. Der Text ist bei sich selbst, er steht unbeweglich, er durchbricht erstarrte Erkenntnis, um bei seiner eigenen Starre zu enden. Der Text hat Identität. Er sagt: a.a.a.a.a. Damit ist er unglücklicherweise starrer geworden als das, wogegen er vielleicht gedacht ist, gegen das Erzählen. Das Erzählen sagt A=A und enthält damit im Innersten vielleicht mehr an Möglichkeit zur Differenz. Was ich mir von Dichtung erwartet habe, ist auszudrücken als A, B (oder ABC). Zugespitzt gesagt hat der Text von Bayer nur sich selbst. Dieses Selbst wird nicht durchbrochen, aus dem Zentrum gerückt, zu irgendeinem Bild vom Du geöffnet. Der Text kehrt, gegen seinen Willen, heim. Also "Sprache" im Gegensatz zu Sprache. "Sprache" (<)und Sprache (>).
Das heißt jetzt Sprache als Richtung nach nirgendwo und zugleich die Sprache als Erfahrung der Liebe ("jene Liebe"). Ich glaube, der kreative Augenblick oder Punkt ist voll der Erregung über diese beiden Neigungen/Richtungen, ist erregt von dieser Spaltung. Hat er ein wenig Beständigkeit, dann geht er über A, B und A, B, C hinaus und belebt das ganze Alphabet. Das Belebte, von dem das Gedicht spricht, ist nicht-identisch. Was ohne Identität ist, ist belebt? Welle oder Teilchen zugleich? Nein oder Ja zugleich? Der belebte Augenblick ist, glaube ich, ein doppelter Impuls oder doppeltes Signifikat; damit ist in ihm, als Funke, der Nachweis enthalten, daß nicht alles Nacht und Einheit ist (oder daß ein Wort wie "alles" nichts gilt). Man kann das Gedicht als eine Lebendigkeitsformel lesen. Was ist ein Gedicht? Von welchem ist die Rede? Undsofort?
Aus dem Gedicht-Augenblick weiß man nicht wohin, schaut man ratlos, sieht man, wie im Traum vielleicht, hinüber, aber kann nicht voran und fort; das ist eine Art nicht-totalitärer Pause (erste Berührung eines Schmetterlingsflügels, erster Blick in die Augen, erstes Rollen eines runden Gegenstandes). Aber daraus kommt die Sprache im Gedicht nicht mit Eigenschaften, einem Menschenbild, einer Taufgeschichte hervor, sondern mit etwas ohne Ergebnis (Jetzt). In gewisser Weise lachen dann viele Gedichte kurz, aber das Lachen sieht man nicht. Man kommt aus dem Nicht-Totalitären mit einem Lachen.

HEIMATH

Und niemand weiß

Indessen laß mich wandeln
Und wilde Beeren pflüken
Zu löschen die Liebe zu dir
An deinen Pfaden, o Erd'
Hier wo - - -
und Rosendornen
Und süße Linden duften neben
Den Buchen, des Mittags, wenn im falben Kornfeld
Das Wachstum rauscht, an geradem Halm,
Und den Naken die Ähre seitwärts beugt
Dem Herbste gleich, jezt aber unter hohem
Gewölbe der Eichen, da ich sinn
Und aufwärts frage, der Glokenschlag
Mir wohlbekannt
Fernher tönt, goldenklingend, um die Stunde, wenn
Der Vogel wieder wacht. So gehet es wohl.

Das Gedicht von Friedrich Hölderlin spricht von etwas, zugleich aber bricht es dieses Gegenüberliegende. Es sagt: niemand weiß. Und es sagt: hier wo. Und es sagt: wenn, wenn. Das Gegenüber ist eine mit Du angesprochene Landschaft und ihre Schönheit, aber in gewisser - sprachlicher - Weise ist auch eine Auslassung im Spiel, ist etwas im Spiel, das durch Identitätsstiftung nicht erreichbar wäre. So gehet es wohl, aber dieses es ist nicht sichergestellt. Und vielleicht heißt das letzte Wort wohl nicht nur "gut, glücklich", sondern auch "wahrscheinlich, nicht ganz gewiß". Daß es hier etwas Veränderliches, Unbeständiges gibt, mag auch schon mit dem Wort wandeln gesagt sein. In der Niemand-Weiß Situation erscheint das Ich als wandelndes. Das Gedicht erfüllt sein Thema, das Thema Heimat, nicht mit Worten, sondern bricht es mehrfach und macht es dadurch lebendig. Aber am Ende ist da eine Heiterkeit.
Als eine der intensivsten Reflexionen über die Möglichkeiten des Sprachlichen habe ich Oskar Pastiors 33 Petrarca Gedichte gelesen. Die Sprache spricht hier mit wenig Nennung, ohne Identifizierung, man könnte beinahe sagen: ohne Original. Die italienischen Originale stehen in der zweiten Hälfte des Buchs, sie sind da und zugleich deutlich von den Übersetzungen getrennt. Oder anders gesagt: das Verhältnis von Original zu Übersetzung ist hier nicht bekannt. Dieses unbekannte Verhältnis - nicht Gleichheit und nicht Gegensatz - ist dann offenbar der Impuls der Gedichte. Die Sprache der Gedichte hat ein unbekanntes Verhältnis zu etwas, zu was? Sie fragt, sie zitiert, sie sagt du, und zugleich ist das nicht greifbar, wonach gefragt wird, das zitiert wird, das du heißen könnte. Aber die Sprache, denke ich, genügt dann nicht sich selbst, sie widerruft, sie öffnet, sie erweitert sich, hat etwas, das sich zeigt (zeigen läßt).

S'Amor non è, che dunque è quel chi sento?
Ma s'egli è Amor, per Dio che cosa, e quale?
Se buona, ond'è l'effetto aspro mortale?
Se ria, ond'è sì dolce ogni tormento?
S'a mia voglia ardo, ond'è il pianto e l'Iamento?
S'a mal mio grado, il lamentar che vale?
0 viva morte, o dilettoso male,
Come puoi tanto in me, s'io nol consento?
E s'io consento, a gran torto mi doglio.
Fra sì contrarj venti in frale barca
Mi trovo in alto mar senza governo,
Si lieve di saver, d'error sì carca,
Ch'i' medesmo non so quel ch'io mi voglio,
E termo a mezza state, ardendo il verno.

Wenn das, was als Gedanke in der Mitte zu wachsen
anfängt, "nicht ist" - was bleibt dir "zu fühlen"?
Und "ist" es - mein Gott, wie muß es beschaffen
sein? Meint (und du zitierst noch immer) "das,
was in der Mitte zu wachsen anfängt" es gut mit
dir, wenn eben sein Ende dein Ende ist? "Tut"
das weh - oder "ist" das schlimm? Ohne Wurzel,
aber wachsend; die Lust, die Pein; du schürst,
um auszulöschen; wohl oder übel - Geschwätzig-
keit. "Ein Mißverständnis, und wir gehn daran
zugrunde"; noch ein Zitat. Und es widert dich
an, an diesem Halm zu kauen ("Tod und Leben",
"erquickender Verschleiß") - und braucht, um
zu geschehen, dein Einverständnis nicht; da
stimme ich zu; auch eine Art von Trauer. So hin
und her, zerbrechlich, außer Kontrolle, fern
von Dingen; so unwissend leicht, den Wünschen
irrtümlich verwandt, und "doch" entwöhnt -
kläglich; der Gedanke überläuft mich heiß "und"
kalt.

Das Sonett von Francesco Petrarca (CXXXII) spricht von den gegensätzlichen Empfindungen in der Liebe (Se buona, ond'è l'effetto aspro mortale? / Se ria, ond'è sìdolce ogni tormento?) Diese schwierige Zuneigung, zu etwas Ungewissem, ist in der Übersetzung übersetzt in den Bereich des Sprachlichen und in die Frage nach dem Signifikat. Die Übersetzung des Sonetts denkt über den Gegensatz von Sprachlichem und Außersprachlichem nach, in diesem Nachdenken gelingt es, glaube ich, das Außersprachliche in Form der Aussparung zu... (sehen, zeigen, rufen, lieben?) In einer der Vorstufen des Gedichts übersetzt Oskar Pastior den Vers "Ch'i' medesmo non so quel ch'io mi voglio" mit "seh ich, / wird mir bewußt / daß ich ja selbst das Objekt meiner Wünsche nicht kenne." Die fragende Haltung des Ich und die nicht festlegbare Haltung (?) des Du sind da augenscheinlich kein Gegensatz, das Signifikat spielt in den Signifikanten. Diese Erfahrung blitzt auf in den letzten Worten des Texts: heiß "und" kalt. Das den Gegensatz markierende "und" steht in Anführungsstrichen geschrieben, ich denke es mir als relativiert, beinahe außer Kraft gesetzt, auf etwas zeigend? Dieses "und" in Anführungsstrichen stellt wohl auch die Frage nach der Ansprechbarkeit oder Aussprechbarkeit des Gegenüber-Namens Laura (LAUdando; REal; TAci/LAUdare; REverire; O). Man kann auch sagen: das Du ist das gesprengte Ich - also man soll die Augen öffnen.

Wo das Gedicht spricht, ist jedes Wort des Gedichts ein diskreter Punkt, unverfestigtes Etwas - "O Zeichen überstürzenden Gewässern, / Wenn die Woog in Silberwolken auffliegt, / Irisbogen, so ist meine Freude.-:" Empedokles öffnet hier ja die Augen sehr weit und sieht; er sieht - aber er steht an keinem Wasser-, er sieht die (welche?) zu einzelnen Wassertropfen zerstäubende Woge, er sieht zugleich etwas zum Auge Gehöriges, und dieses reimt sich im Gedicht auf die Woge: Irisbogen. Und daraus schließe ich: das Augenöffnen ist ein Blick aus der Identität, in die Heterogenität oder ins Spektrum. (In ihrem Film "Der Tod des Empedokles" geben Danielle Huillet/Jean-Marie Straub den zitierten drei Versen ebenfalls den Wert des intensiven Augenblicks; unmittelbar nach dem dritten Vers endet der Film, schließt sich das Auge, wird es auf der Leinwand schwarz.)
Es gibt eine Geschichte der Entstehung dieser drei Verse von Hölderlin. Man kann sie in der großen Ausgabe von Dietrich Sattler finden, und es ist in diesem Fall eine Geschichte des Auges und des Sehens. Im ersten Entwurf des "Empedokles" lautet die Stelle, vereinfacht:

O Iris Bogen über stürzenden
Gewässern, wen die Woog in Silberwolken
Auffliegt, ist, doch, wie du bist, meine Freude.

Wie du bist, ist meine Freude, sagen die Verse; von diesem Du (dem Wort) führt, man sieht es im Faksimile der Handschrift, ein Bogen zum linken Rand des Blattes, und zwar bis zu einem Wasserzeichen, das im Papier eingelassen ist ("Honig &Zoonen"), genau bis zum Z des Wortes Zoonen. Die Entdeckung dieses Zeichens im Papier führt zur Ersetzung des Wortes Irisbogen durch das Wort Zeichen und zur Verschiebung des Wortes Irisbogen in den dritten Vers. Mit zusätzlichen kleinen Korrekturen lauten die Verse dann:

O Zeichen über stürzenden Gewässern,
Wenn die Woog in Silberwolken auffliegt,
Irisbogen, so ist meine Freude.

Der irisierende Bogen, der aus den Wasserteilchen gebildet ist, der Regenbogen, ist zugleich ein Irisbogen, eine Regenbogenhaut, etwas Augenförmiges. Die Welt schaut mit einem spektralen Auge zurück, es berührt sich in diesem Zurückblicken das Gegensätzliche. Aus dieser Begegnung des Gegensätzlichen, aus diesem offenen Blick, findet Hölderlin dann zum Zeichen im Papier, dem Wasserzeichen: er sieht es; nämlich er sieht etwas, das gar nicht zum Text gehört, und aktiviert, belebt dieses Nichtdazugehörende. Das ist sein Blick in die Heterogenität. Im Kommentar zur tragischen Ode spricht Hölderlin von der "Erfahrung und Erkenntniß des Heterogenen", und Empedokles selbst ist der Zauberpunkt des Heterogenen. Um ihn ist es hell. (Seine Richtung ist der Weg zur extremen Helligkeit im Vulkan.) Empedokles öffnet die Augen, er bricht die erste "Innigkeit" auf, zum Fremden hin, so weit als möglich, bis zum "Reinen". Zur Geschichte dieses Sehens gehört, glaube ich, das Wasserzeichen auf Blatt 15 2 des Quartbuchs, in dem der erste Entwurf geschrieben steht.
Ach ja, Bachwindung. Ach ja, Blitzbeginn. Ach ja, Himmelslicht. So beginnt ein Gedicht wohl; wie wenn es sich zur Begegnung bringen würde, zur Befreiung von sich selbst, eine Art: schau, dort! Ich kenne viele Gedichte, die so beginnen; unvergleichlich. Sie kommen los von dieser Macht des Ich und halten sich offen.

Juni, Juli 1988


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