Birgit Kempker

Gärtner sind manchmal Chinesen




«Sehen Sie, wir haben einen Künstler im Haus», sagt die
Dame.
«Sie sehen blass aus», sagt der Herr.
Sie hat einen Künstler im Haus, sie ist blass.
«Auch in der Nacht, Friedhelm, höre ich seine Maschine.»
«Wie heisst er?» fragt Friedhelm, früher der Herr der Dame im Haus am See.
«Richard», sagt die Dame, so heisst der Künstler im Haus. Die Dame ist selig.
Man hat schon von manchem Verdrehten gehört, von kleinen Hunden im Park, von Mord in der rue morgue, von Doppelmord, man hat schon von Künstlern gehört.
Als Messdiener hatte Friedhelm der Dame gefallen. Er hat sie vor Ida geschützt. Ida ist die Schwester. Ida wohnt auch im Haus.
Ida hat auch anderes zu tun.
Anderes als im Haus sein, als die Schwester der Dame sein und einen Künstler haben.
Ida ist die jüngere Schwester. Obwohl sie stärker ist.
«Lass meine Liebste in Ruhe», sagte Friedhelm, das war für einen Jungen allerhand, in seinem Alter Liebste sagen.
«Soll ich dich in den Schwitzkasten nehmen?» Wenn er so fragte, tat er es auch und die Schwester, die Liebste, war gerettet damals. Ida sitzt im Schwitzkasten. Ida hat ein Zimmer in der Stadt. Idas kleine Freiheit. Wenn das Haus der Dame am Wannsee liegt, heisst die Stadt Berlin. Wo in der Stadt Ida ihre kleine Freiheit hat, soll niemand wissen.
Wir haben einen Künstler im Haus.
Er schreibt und er liest. Er hackt auf die Maschine. Er ist impulsiv. Er schaut Fussball im Fernsehen.
«Gib mir dein Fernsehen», hat er zur Dame gesagt. Auch wenn das grammatikalisch nicht sauber war.
«Natürlich», hat die Dame gesagt. Ein Künstler muss sich mit
der Welt befassen. Ein Künstler mag sich ausserhalb der Grammatik, aber die Welt, die Welt muss sein. Der Künstler trampelt. Die Dame wüsste gern, für wen. Die Dame weiss es nicht. Der Künstler sieht es im Fernsehen der Dame. Die Dame ruft eine Freundin an.
«Er weiss es», sagt sie «und ich weiss es nicht, auch morgen früh, wenn alles vorbei ist, weiss ich es nicht, er redet nicht.»
«Ob es für uns war. Ob er für uns getrampelt hat. Die ganze Erregung für uns. Ob er zu uns hält, mit einer solchen Freude zu uns, ach Klothilde, das wäre wunderbar. Mit seinen eigenen Füssen.»
Wenn Künstler beim Fussball, wenn Ball ins Tor geht, wenn sie das sehen, wenn die deutsche Mannschaft kämpft, wenn sie trampeln vor Erregung, trampeln vor Lust, überhaupt trampeln, ist das nicht irgendein Trampeln.
Der Künstler trampelt nicht wie du und ich.
Der Putz blättert, die Wände reissen, der Kronleuchter wackelt, es klirrt, wenn Künstler trampeln.
«Wie er sich aufregt, mein Künstler, wie er ausser sich ist», sagt die Dame, legt den Hörer auf, ob es für uns war, ganz egal, ob es für uns war. Er ist nicht so.
Wenn er liest, dann liest er nicht, wie du liest, liest er nicht, er wird es nicht stehen lassen, Randbemerkungen wird er machen, er wird nicht lesen, was du liest, liest er nicht. Es wird ganz anders sein.
Blau ist der Himmel, grün ist die Alb, liest der Künstler, Blumen blühen darin und Sterne am Himmel, schreibt er dazu.
Ach, er ist so berühmt, so überaus berühmt, im ganzen Land und in New York, so überaus berühmt, wir danken Gott, wir danken Gott, he is so famous, so very famous, wie er berühmt, wie er einzigartig, wie er ein Künstler ist, wie er so einzigartig berühmt ist, und wo er herkommt, er kommt aus dem Nichts, was wissen wir, wie unheimlich, wie elegant, wie voller Grazie, ganz Charme, wie wienerisch, wie nebelhaft, wie unergründlich, wie geheimnisvoll, wie duftend seine Herkunft ist. Wie er riecht. Nur glauben sie das nicht, glauben sie niemals, er käme aus der Provinz, glauben sie das nicht.
Er kommt aus der Gefriertruhe. Er kommt aus dem 5. Stock im Kaufhof des Westens, er kommt aus jeder Westentasche, wenn sie aus New York kommt. Er kommt aus dem KDW. Wir ahnten schon immer, es seien Bärentitzen, Zitzen der Bärin im Spiel und wollen nicht Titten sagen, niemals hat ihn so ein Trottel von Heinz, niemals ein Heinz aus der Provinz, keine Frieda, niemals, keine Ida, er ist fürstlich, grossfürstlich, er ist gross geworden. Nicht zu gross. Auch Japaner sind klein. Er soll Japaner sein. Das war das letzte, was wir von ihm hörten. Wenn er nicht so berühmt, nicht so gerühmt, wenn er nicht so ein höflicher, ein korrekter, wenn er nicht so einer wäre, kein Schweizer wäre, kein Herbert aus Bayern, kein Richard wäre, wir würden ihn lieben.
Nicht das. Er ist nicht da, um geliebt zu werden. Dafür sind alle da. Heinz und alle Trottel wie Heinz. Er schreibt: Blaugrün ist der Himmel, grünblau ist die Alb und Blumen blühen darin.
«Und hast du ihn schon mal stürzen sehen?» fragt die Dame «Hast du ihn schon mal bestürzt gesehen?»
Künstler neigen zur Bestürzung. Künstler merken sich nichts. Künstler sind zerstreut. Sie vergessen die Welt. Sie vergessen den Stift, sie vergessen den Stift, die Welt, sie geraten in Nöte, sie stehlen sogar.
«Wie geplagt ist ein Künstler, ein Künstler wie meiner im Haus», ruft die Dame.
Wie glücklich ist der Botaniker dran, der beim Gang durch die Welt die Welt botanisieren kann.
Der Künstler vergisst, weil er nicht da ist.
Der Künstler steht im Park und wird nass. Wenn er ins Wasser schaut, wird er nass, so ist der Künstler.
«Gärtner», sage ich, «der Rasen vertrocknet unter der Sonne, die Bäume, die Sträucher, die Blumen, aber der Künstler, Gärtner, wir haben einen Künstler im Haus, der Künstler muss trocken sein.»
Der Gärtner hat genug zu tun. Der Park hinter dem Haus zum See. Der Park vor dem Haus zur Strasse, die Risse in den Wänden, wenn der Künstler getrampelt hat, die Klospülung, wenn der Künstler gezogen hat, das Telefon in den Rosen. Der Gärtner hat genug zu tun. «Wie soll ich das alles tun?» fragt er die Dame.
Für einen zweiten Gärtner hat die Dame kein Geld. «Wir schenken ihm ein Gerät», sagt die Dame.
«Wir schenken ihm ein Gerät?» fragt der Gärtner
«Wir verbergen es in einem Medaillon», sagt die Dame. Die Dame weiss, was sich gehört. Der Künstler trägt kein Gerät. Nichts piept, keinen Pieper am Schlüssel, um den Schlüssel zu finden, dem Künstler steht jede Tür offen.
«Ein Gerät, das informiert und beseitigt», sagt die Dame. Die Störung beseitigt. Wir präparieren den Gartenschlauch. Wenn der Künstler zum Gartenschlauch kommt, wird er kein Wasser spritzen.
Der Künstler geht in den Park. Der Gartenschlauch sprengt den Rasen. Das Gerät des Künstlers piept. Wird sich der Künstler das Piepen gefallen lassen? Im Medaillon verborgen der Künstler lässt sich nichts gefallen. Die Geliebte, die Mutter, um den unglücklichen Hals lässt sich ein Künstler die Welt nicht gefallen. Das Piepen muss vor dem Künstler verborgen sein. Die Welt muss informiert sein. Der Künstler kommt. Der Schlauch spritzt nicht. Der Künstler kommt. Es piept. Du würdest den Künstler mit Wasser bespritzen, während er auf den See schaut. Er würde nass da stehen. Du darfst nicht spritzen, Schlauch, jetzt nicht. Der Künstler darf nicht nass da stehen. Der Künstler lebt in einer anderen Welt, in einer trockenen Welt, in keiner nassen Welt. Er würde so erschrokken sein, so heftig vom Wasser getroffen sein, getötet sein, durchs Eis gebrochen und tot.
Einen toten Künstler wollen wir nicht.
Der Künstler ist nicht, wo er ist. Darum klaut er. Er klaut dies und das. Er ist dies und das, der Künstler.
«Darum müssen wir ihn vor Liese schützen» sagt die Dame. Liese heisst der Mops, der Mops im Park der Dame.
Die Dame hat einen Künstler und einen Mops im Haus. Wir müssen sie vor Verwechslung schützen.
«Präpariere den Schlauch», sagt die Dame zum Gärtner. »Und den Hund?» fragt der Gärtner.
Obwohl er ein echter Berliner, obwohl er kein Chinese ist, kann er ein Schlitzohr sein. Gärtner sind manchmal Chinesen, auch in Berlin.
Vielleicht liebt er sie. Ich muss krank sein, schrecklich krank sein, leiden, schrecklich leiden, an einer Liebe leiden, zugrundegehen, Bein abhacken, im Fuss leiden, den ich nicht habe, an Wundschmerz bei Gewitter im Holzbein. Kein gewöhnliches Holzbein, wie Ahab ein Bein, ein Walfischbein, ein Mann mit einem solchen Bein, da sagt sie nicht nein. Wenn ihr euch nicht gefunden hättet, der Wal und sein Kapitän, ich würde dir mein Bein hinhalten wie Ahab sein.
«Beiss rein», sage ich und der Wal beisst rein. Welch ein Triumph, welch ein Spektakel, welch ein Aufsehen, welch ein Ruhm.
Wie stolz würde er sein.
«- Friss, Löwe, für die Kunst, für die Liebe, für meine liebe Liebe», dem ersten Löwen sage ich das, zum Löwen spreche ich so, zum ersten Löwen, der mir begegnet.
Aber erst, denkt Friedhelm, erst das Gespräch fortsetzen.
Das Gespräch macht dumm, sagt der Künstler. Der Künstler würde niemals ein Gespräch mit der Dame haben. Niemals würde es zwischen Künstler und Dame Gespräche geben. Der Künstler hat alle zum Weltdenken, zum Welterkennen notwendigen Tugenden. Unerbittlich ist der Künstler, streng, zornig, aus Eis und Grazie. Kein Gramm zuviel. Kein Gespräch. Es ist mein Plus, mein Vorteil, denkt der Herr, ein Vorsprung, den ich vor dem Künstler habe, der Künstler spricht nicht mit der alten Dame. Das ist mein Plus. Wie sich Friedhelm irren kann.
Dass er nicht mit mir spricht, niemals mit mir spricht, sagt die Dame, zwingt er mich, kraftvoll und männlich zwingt er mich in seinen Geist.
Friedhelm setzt das Gespräch fort.
«Wie war er bestürzt? Wie ist er gestürzt? Wohin ist er gestürzt?» fragt Friedhelm, wie ein Gespräch ist. «Du wirst doch nicht weinen?» fragt Friedhelm. «Du wirst doch nicht weinen wollen?»
Die Dame will nicht weinen. Das wissen wir. Was sollen wir niemals wissen?
«Sind ihm Tränen aus den Augen gestürzt? Hat er sich erkältet? Ist er über den Hund gestolpert?»
«Nicht Liese, nicht wieder Liese. Gib nicht immer deinem Hund die Schuld», sagt die Dame.
Das war schon damals der Grund.
«Verlass mein Haus»», schreit die Dame, wie vor Jahren schreit sie:
«Gib nicht für alles dem Hund die Schuld.»
Der Hund aber hatte Schuld. Der Hund war nicht stubenrein. Der Hund hat mitten ins Zimmer der Dame gekackt. Das stört. «Der Hund hat ins Zimmer gekackt», sagte der Herr damals, mehr nicht, sagte Friedhelm, das reichte.
Das reichte, das Unglück. Er wollte doch nur nicht, dass sie ausrutscht, er wollte doch nur kein Unglück, dann kam das Unglück.
«Verlass mein Haus», schrie die Dame. Wenn der Künstler das hört.
Es ist so, sagte Ida zu ihrer besten Freundin in Charlottenburg, die Frau des Heizers in Charlottenburg, tief unten im Schloss, erzählte Ida nicht irgendwem, dass Möpse seltener sind als alte Herren in Berlin. Letztes Jahr starb der letzte Mops in Venedig. Der einzige Mops in Venedig, unsere Liese, letztes Jahr, da hat auch Ida die Nase in den italienischen Himmel gehoben.
Letztes Jahr war das Glück der Damen ungetrübt, es gab keinen Künstler im Haus, der Mops ist ein seltenes Tier, wir müssen sie vor Verwechslung schützen, ein kleines Damenleiden. Und was?
«Lass uns nicht über den Hund, lass uns über den Künstler, lass uns über den Sturz des Künstlers reden. Lass uns das Gespräch fortsetzen.»
«Das Gespräch ist beendet», sagt die Dame, sie winkt, der Gärtner öffnet das Tor, Friedhelm verlässt das Haus. Der Gärtner schliesst das Tor.
Ich muss nur unentbehrlich, wie der Gärtner, wie der Hund, wie der Künstler unentbehrlich sein im Haus der Dame.
Der alte Herr war nicht nur ein alter Herr. Der alte Herr war ein Herr mit Ideen. Nicht, dass er listig war, er war nicht froh. Er griff manchmal zu einer List.
Wenn ich wieder im Haus bin, im Haus am See bin, im Haus am See mit der Dame bin, froh sein, dachte er auf seine alten Tage, so, als sei er damals froh gewesen, als sei alles vergessen, herrlich ist es gewesen, bevor er es sagte, bevor er «kacken» sagte. Es würde so herrlich sein, auch wenn es nicht herrlich war, so dumm war er nicht, der alte Herr, ich war nicht froh als ich jung war.
Auf solche alten Tage noch froh sein wollen, das war schon ziemlich dumm. Was damals geschah, der Sturz des Künstlers war ungewöhnlich.
Etwas so ungewöhnliches wird sie nicht zwischen Tür und Angel, nicht im Tor erzählen, nicht, wenn ich sie frage danach und es nicht wissen will.
So war es hinter dem Haus, zwischen Haus und See war es so. Das Tor, das der Gärtner schloss, lag vor dem Haus.
Zwischen Tor und Haus lag ein Park.
Das war der zweite Park. Hinter dem Haus ging die Sonne unter. Immer, wenn hinter dem Haus die Sonne untergeht, im Winter und im Sommer, kocht sich der Künstler Eier.
«Von was ernährt sich der Künstler?» wird die Dame gefragt
«Oh», sagte die Dame «von Allerlei. Von Palmenherzen, Strausseneiern, Radieschen, Rapunzeln, von so Allerlei» sagt sie.
Auch die Dame weiss nicht, was der Künstler isst.
Der Künstler isst nicht, auch im Haus der Dame nicht, einfach so, irgendwo, wo er gesehen ist.
Immer dann, wenn ihn niemand sieht, die Sonne untergeht, im Sommer und im Winter, sitzt die Dame auf der Veranda, schaut in die untergehende Sonne, denkt an keinen, nicht an den Künstler denkt sie, auch an ihn nicht, nur heisse Zitrone und Honig.

Zwölf Eier aus dem zwölfer Pack. Gibt zwölf in den Topf, gibt Wasser dazu, dass alle Eier bedeckt sind, zündet den Gasherd, stellt Topf auf Flamme, verlässt die Küche. Wir wissen nicht, was er tut. Er telefoniert nicht, er lacht nicht, er rast nicht auf und ab. Die Kronleuchter klirren nicht, die Wände reissen nicht.
Er striegelt sich, vielleicht striegelt er sich, striegelt seinen glänzenden Harschwanz und bindet ihn fest, noch fester, und hüpft hin und her, zwischen Schultern hin und her, der Schwanz. Dann kochen die Eier. Und platzen. Weisses ins Wasser. Weisse Bällchen, klein wie Lychees, fein wie Lychees, keine Lychees, keine Früchte im Wasser, die stösst auch der Künstler dann und wann mit der Zunge nicht an.
Diese kleinen runden feinen, diese deinen, liebe Klothilde, lieber Fritz, wenn ich deine, kleine, feine, deine Klothilde in meine kleine feine Zungenhöhle, in mein Zungenröllchen schlürfe, dabei ist der Künstler kein Jäger, jagt keinen Fuchs, jagt keiner Lunte nach, leckt das Schwänzchen, schmeckt das Schwänzchen, die Lunte, den Fuchs und frisst ihn.
Wer Eier kocht, wer Eier isst, der stösst noch nicht mit der Zunge, stösst nicht an kleine weiche schneckenweiche muschelfeuchte Teile, nicht unser Künstler im Haus.
Der Künstler im Haus hat anderes zu tun. Anderes als
Geschlechtliches. Man hat schon vom Abschnüren der Hoden gehört, von Hornochsen, Ochsentrotteln, Provinzhoden, Hodenprovinzlern, von Hottentotten, nicht, dass das alles kein Thema wäre, wir haben einen Künstler im Haus.
Dass sie kochen, dass sie so weit sind, die Eier, wie er es weiss, wissen wir nicht, er kehrt zurück, von Mördern weiss man das, was wissen wir von Richard Gott? Er kehrt zurück, die Eier im Topf, Eiwasser mit kleinen weissen Kugeln, nimmt den Topf vom Feuer. Schüttet Wasser, schreckt ab, gibt sie zurück in den zwölfer Pack, Ei für Ei, zwölf Eier und verschwindet.
Kurz, bevor die Blicke der Dame in der Sonne, die untergehende Sonne hinter dem Horizont ganz und gar verschwunden ist, sind die Eier des Künstlers in Sicherheit.
Pflaumenweiches kleines grosses Pflaumenpfläumchen, kritzel kratzel Härchen Pflaumenhäutchen, schlagen Pflaumen gegen After im bayerischen Wald, bleiben Augen nicht trocken, schnappt das gierige Arschloch, hätte ganz zu geschnappt, wenn das mit Pfläumchen klappt.
Wir haben einen Künstler im Haus. Wir essen Pflaumen gern. In Hefe Pflaumen drücken, wir würden Schlagsahne schlagen und Bauchweh bekommen, wir würden den Künstler bitten zu Tisch, wir würden duften, Ida und ich. Wir dürfen nicht.

Immer hinter dem Haus, zwischen Haus und See, auch wenn ihn die Dame dort sieht. Er will gesehen sein.
«Er ist so verkannt», sagt die Dame, das gefällt dem Künstler. Er murmelt leise Verse. Er wechselt das Standbein. Er schreitet vier Schritte den Abhang hoch, dann bleibt er stehen, dann murmelt der Künstler, dann wechselt er wieder das Standbein. Die Nase stösst ins Gestrüpp. Dornen zerkratzen das Gesicht. Das Gesicht des Künstlers. Der Künstler hat ein Thema. Ein einziges Thema, ganz und gar. Nur dieses Thema, Eis.
Nicht etwa Speiseeis.
Er steht zeitig auf am Morgen, das ist kein Thema für die Nacht oder den Nachmittag.
Mit den ersten Vögeln, aufstehen, Eisvogel, Vogelspatz. Immer früh am Morgen, gegen fünf und vier steht der Künstler auf. Wenn es draussen dunstig ist, nicht kalt, kälter als am übrigen Tag, beginnt der Künstler sein Werk.
Der Künstler hört gerne Musik. Er geht nicht gerne ins Strandbad. Dem Künstler ist es immer zu heiss. Der Künstler hat sich ein Becken zum Plantschen gekauft, darein setzt er seine Füsse und kühlt sie. Den Gummischwan nennt er Johannes, das inspiriert.
Wenn es heiss ist, läuft der Künstler den Abhang runter um Fahrtwind zu kriegen, immer in die Dornen mit der Nase zuerst.
«lda», ruft die Dame «komm schnell. Schon wieder ist er in die Dornen gerannt.»
Der Künstler schnuppert an Dornen, als ob es Blumen wären. Als sei er in die Dornen gerannt, als sei er den Abhang runter, auf die Dornen zu, in die Blumen gerannt, die Dornen sind.
Wenn es heiss ist, bindet der Künstler sein Haar. Wie Frauen sich die Haare hochbinden, auch das ist der Künstler.
Er geht auf und ab am Gestade, in die untergehende Sonne. Hin und her. Hat er die Eier vergessen? Dem Künstler ist es zu eng in der Welt. Er ist in Rage, er ist in Aufruhr, er ist heftig bewegt, geht hin und her, zeichnet in die Luft. Sein Kopf geht dem Körper voran. Er weiss nicht, ob er es so oder so sagen soll. Ob er es überhaupt sagen soll. Sein Rücken krümmt sich von hin zu her immer mehr. Er wird schneller. Der Gang länger, Schritte grösser, stockt er, geht er, langsam hin und her. Das muss die Welt erfahren. Von was muss die Welt erfahren? Vom Eis.
Von Eis und Schnee. Von einer Grossmacht, von einer grossen Macht, von einer Gewalt, von einer gewaltigen Grossmacht am Nordpol, von Schnee und Eis.
«61 Grad über dem Horizont, über Berlin, unser Berlin, Schwester», sagt Ida. Warum Eis und Schnee? Warum muss die Welt von Eis und' Schnee erfahren? Warum uns Berlinern von Steinklötzen, Eisklötzen reden?
«23 Grad», sagt die Dame, nur das, nur 23 Grad.
Ida sieht die Schwester verloren. 23 Grad und sie kocht, die eigene Schwester kocht bei 23 Grad über dem Horizont, wie sie verloren ist. Grad ist nicht Grad. Eine Frau ist kein Kochtopf. «Du bist verloren, verfallen bist du», sagt Ida, zerrt die Schwester aus den Flammen. Das war dumm. Bei 23 Grad verkokelt keine, auch eine Dame nicht, auch in Liebe nicht. Wer köchelt, wer knuspert, wer kokelt denn nicht, sowieso?
Und wenn ich dich in der Pfeife rauche, lachst du dann immer noch? Und wenn dich der Teufel schmaucht? Wenn er ganz ohne Schnitzel und Böhnchen in seiner Höllenhöhle sitzt und dann?
Wie heiss wird es in der Hölle sein? Die Höhle der Hölle, die Pfeife, im Höllenmund. Das wäre was. Mitten im Teufel. Das sähe auch Ida ein, dass das was wäre, endlich.
Aber 23 Grad. Angenehme Temperatur.
23 Grad über dem Horizont steht die Sonne am Nordpol, sagt die Dame. Was ist angenehm? Soll das angenehm sein? Wer redet von Temperatur? Du würdest zu Friedhelm passen. Ihr würdet euch das Thermometer zwischen die Backen pappen, froh und zufrieden. Hinten und vorne.
«Oh Gott», schreit Ida. Wie er leiden muss. Unser junger Mann, 23 Grad über dem Horizont, so schräg fällt das Licht der Sonne. Dass es noch gerade seinen Bauchnabel berührt. Nicht wie bei uns, 61 Grad, mitten auf den Kopf, mitten durchs Herz scheint die Sonne, nicht wie in Berlin, am Nordpol muss es schrecklich sein.
Dieser gewaltige, dieser herrliche, dieser eiskalte Kopf ohne Sonne.
Ida kauft Wolle. Ida strickt. Was strickt Ida? Sie strickt dem Künstler eine Mütze für den Kopf, nicht irgendeine Mütze, eine Pudelmütze strickt Ida, ungefärbt, ganz Natur, vom Schaf.
Ida ist eine Frau der Tat. Sofort, mit Herz, mit von der Sonne
beschienenem Herzen, 61 Grad über Berlin und in Ida, ist Ida eine Frau mit Herzensgüte, mit Herzensbildung. Das würde niemand sagen. Das würde niemand hören. Eis und Schnee, das hört die Welt.
Oh Gefrornis, Frostboden mein, sagt der Künstler, mein ewiges Eis, mein Eisbein, dass er vom Schwein spricht, Schweine gibt es im Eis nicht. Der Künstler liebt seine Beine.
Ein Mann, vom Nabel abwärts beschienen, sein Thema, wie er sagt, der Gegenstand seiner Vernarrtheit -, Eis, ist der eiskalte Kopf, nicht Liebe, nicht Bein, nicht Schwein, nicht die Beine lieben, nicht wie Schweine lieben, nicht Eisbein.
Er sei so tief, es sei so weiss, zu künstlich, zu wirklich künstlich, zu weiss, zu weiss, was mehr vom Eis als Weiss?
Das Äusserste, das aber sei zu künstlich, zu weiss wie Eis, nichts hinzuzufügen, es sei so kalt, so ausserordentlich kalt, er sei so hysterisch, er sei so kalt, hysterisch, weibhysterisch, mehr noch, wie ein Weib, ein Waschweib, ein Superwaschweib, ein Quatschweib, ein Superquatschwaschweib. Ein langes Wort.
Das war seine Macht. Es war die Macht von Eis und Schnee, 23 Grad über dem Horizont.
Wenn die Dame ganz helle, ganz lichte Momente hat, weiss sie es, sie hat keinen Künstler, sie hat einen Spitzel im Haus, ein Künstlerspiönchen, ein Schnitzelböhnchen, einen winzigen bösen Spion.
Das kam so. Das würde jeder verstehen. Das würden alle verstehen, wenn es alle wüssten.
Nicht, dass sie einen Spion hat, Spione haben ist wichtig. Wer einen Spion hat, muss wichtig sein, auch nicht, dass sie keinen Künstler, viele haben keinen Künstler im Haus und sind wichtig, aber das, dass es etwas zu spionieren gibt. Es gibt also etwas, das nur der Künstler weiss und wir nicht wissen dürfen. Und was?
Wem wäre das nicht peinlich, wo Kleist schon tot umfiel, wo einer, mit Schlittschuhen einer ins Eis brach, das alles nicht, damit es später peinlich ist, da zu wohnen, wo dieses geschah.
Wo sie ihr Ende fanden, da soll niemand etwas peinlich sein. Auch wenn sie am Wannsee sassen und das Schlimmste beschlossen. Und was? So dumm ist er nicht. Er ist nicht so dumm, es zu verraten. Auch sollten wir es vor Verwechslung schützen.
Vielleicht ist sie geizig, vielleicht macht sie abends ins Bett. Vielleicht pinkelt sie sich die Hosen nass. Die Maus, nicht die Dame.
Wir wollen nicht sagen, das Dreisteste ist, dass er es weiss, dass er es sagt, dass er es zugibt, dass er es wagt, einer Dame zu sagen, dass er es weiss, dass er es wirklich wagt einer alten Dame ins Gesicht zu sagen, nicht der Maus, die Dame. Das ist noch nicht alles.
Dass er es sagt, dass er es weiss. Dass er sie also erpresst. Und was?
So dumm ist er nicht.
Das ist noch nicht alles.
Dass er es sagt, dass er es weiss und sagen würde, wenn sie ihn nicht lässt, nicht Künstler sein lässt im Haus am See, den Spion, mein süsses kleines Spiönchen, mein Böhnchen. Was ist schon dabei?
Sie fällt tot um, wenn es die Welt erfährt.
Und was?
Sie fiele nicht um, sagst du. Sicher, sicher, was weisst du?
Sie weiss nicht, ob er es sagt, ob er es nicht schon gesagt hat. Und wie er es sagt. Und wie er es schon gesagt hat. Und wem, und wie er es sagen wird, in welcher Gesellschaft.
Hör zu, alte Dame, wenn du ihn nicht lässt, nicht Künstler sein lässt, hat er nichts als das eine zu tun, er feilt, feilt an dem, wie er es sagt und es kommt der Tag und er sagt es.
Und es ist das Spitzeste überhaupt, was jemals eine Feile gefeilt hat.
«Es tut mir so leid», schreit der Künstler ins Telefon. Der Agent sitzt in New York. Es soll alles weitläufig sein. Seine Herkunft ist ungeklärt, wenn so etwas zu klären ist, ist es immer New York, New York oder Rom, man munkelt auch Wien, das glauben wir nicht. Besser New York, wegen der Welt, wegen der Welthaltigkeit, keine Provinz, New York, da wartet der Agent, besseres als New York, Wien, das glauben wir nicht, besseres als New York ist ihm nicht eingefallen.
Er wartet auf das Werk von Eis und Schnee.
«Es muss ihnen nicht leid tun», sagt der Agent. Das weiss er doch, wie schwierig so eine Geburt, so eine Ausgeburt, so eine unerhörte Ausgeburt von einem unerhörten Werk, wie unerhört schwierig sie ist. Und heiss ist es in Berlin.
Es genügt nicht, einen Künstler haben im Haus, genügt nicht. Wenn du einen Künstler hast, dann hast du auch einen Agenten. Sag nicht, du weisst nicht warum, sag nicht, sie soll ihm nicht helfen.
Bei was?
Dies ist keine Kriminalgeschichte.
Die Dame hilft dem Künstler wo sie nur kann.
Nichts wäre schlimm, wir bräuchten uns keine Sorge machen. Es ist nicht so. Es ist nicht irgendein Verbrechen. Sie ist nicht irgendeine Dame. Sie ist eine Mittäterin, es ist ein Verbrechen gegen die Dame selbst, die Mittäterschaft der Dame ist ganz unerhört.
Nicht dass er sie würgt, keine Augen quellen, keine gequollenen Augen vom Würgen des Künstlers der Dame, das verstünden wir, es wäre nicht so, dass wir es nicht verstünden, unerhört, würden wir sagen, ganz unerhört, aber wir wüssten es, so unerhört wäre es nicht. Was nicht alles kann Liebe sein.
Ganz gleich, die Liebe, was sich gehört, wühlt sich, so sehr wühlt sie sich, mit Zunge, mit Fingern, mit Faust, mit allen sieben und tausend Öffnungen, schliesst sich, dreht sich, wälzt sich, nur Auge, Mund, Riesenschlund, Zittern, Bibbern, Lendenwibbern, es wibbert die Lende, jawohl, zuckt der Mund, fährt Zunge ins Herz, Herzlippen, Lippenherz, schleckt, schmeckt, beschwere sich keiner, schlimmert den Mund auf, Fischmaul, spitz auf, Blutzunge schnellt gegen Felsen, mein Hecht, mein Karpfen, mein Pirat. Wieviele Öffnungen hat die Welt? Was mir gefällt?
Was alles der Dame gefällt ist unerhört. Es zuckt und knistert, im Geschlecht. Auch das ist zu sagen. Es ist nicht das, was niemand wissen darf.
Und was?
Das Werk von Eis und Schnee. Was für einen Grund sollte er haben? Der Agent kann warten. Nicht immer in die Tiefe, es soll nicht immer in die Tiefe gehen. «Du stösst auf Grundeis», sagt Ida. Und das ist der Grund. Ein Mann, bei dem du nur auf Grundeis, auf Grundeis stossen kannst. Die Dame dachte sich das mit Ida. Ich verheirate sie, denkt die Dame, wozu ist sie jünger und stärker als ich. Dann wird er es lassen, eingemauert, eingefriedet, liebevoll, liebevollst im Schoss der Familie, wird er er im Schoss der Familie verspeist. Wir schlecken ihn weg.
Ida will nicht, obwohl sie nichts weiss. Sie wusste dies, sie schlägt eine gute Partie, sie schlägt einen ganzen Künstler aus, das imponierte der Dame, auch wenn es nicht so war, das konnte Ida nicht wissen, was wissen wir?
«Man schlägt keinen Künstler aus, nur wegen Grundeis einfach aus», sagte Friedhelm zu Ida.
Das war zu der Zeit, als es noch etwas war, die Liebste des Künstlers sein. Wer wünscht denn heute wem so etwas?
Friedhelm hätte den Künstler gerne unter Dach und Fach gesehen, nicht gern unter dem eigenen Dach, in diesem Fall, wie er wünschte, seit Jahren sich nur das eine wünschte, das Wohnen im Haus am See, Ida, die Schwester der Liebsten, nicht, dass es ihr wirklich zu wünschen wäre, zur Not auch unter der eigenen Decke, das Paar, Ida, der Künstler ein Paar. Haben sie schon einmal den Eisspitz eine Lady befruchten sehen? Das glaubt ihnen keiner. Nicht hier. Wenn wir schon hier sind. Wir kommen nicht aus der Provinz.
Der eine metzelt den anderen ab. Das ist New York. Das ist überall. Das ist Fallingbostel, Holzminden, Lappland, Grönland, das ist tiefste Provinz. Das ist der Mond und die Sonne, wie sie eifersüchtig sind. Eisspitz taut auf, in Lady. Wenn der Eisspitz schmilzt. Das wäre die Temperatur. Das Glück. Das hat Ida nicht verdient, nicht Ida. Nicht das.
Und was?
Der Künstler wird Ida sein Ja-Wort nicht geben, daran ist nicht zu denken. Schon weil er Damen nicht liebt, keine Dame, er liebt keine einzige Dame. Auch einen Bruder, einen Ider nicht. Ein Vermählter sein, zur Familie gehören, es hätte soweit kommen können, zum Reparieren hätte es führen können, zum Renovieren, zum Tapezieren, zum Betonieren, zum Mauern des Turms, zum Abschleifen der Säulen, zum Hämmern auf dem Dach, dass es nicht durchregnet ins Frühstückszimmer. Zum Wanken, zum Schwanken auf dem Gerüst, dem Maurergerüst. Das hätte zur Liebschaft geführt. Maurer liebt Dame. Zu was sowas führen kann. Zur Maurerliebschaft. Der Maurer wird zum Rüsseltier, durchs Fenster ins Zimmer in die Dame gerüsselt, schwankt das Gerüst.
Das wäre nur der Anfang gewesen. Man weiss ja wie so ein Maurer in seinen Hosen sitzt. Was ein Maurer mauert, das sitzt.
Der Maurer, den ich meine, schwimmt in der Hose, der Gürtel kichert, wir lieben ihn. Störzchen, heisst er. Kleiner, sagt sie. Wir wissen aber, dass er so klein, nicht sein kann. Den Maurer, den ich meine, liebe ich.
Der Gärtner hat genug zu tun. Mit dem Garten zwischen Haus und See hinter dem Haus, dem Garten zwischen Haus und Strasse vor dem Haus. Mit der Einfahrt, der Ausfahrt, dem Präparieren des Gartenschlauches, dem Beseitigen des Hundeaas.
Seit dem, seit der Zeit, als wegen einem einzigen Wort ein ganzer Mensch zum Haus raus, geschmissen wurde, heisst das Aa, was der Hund macht, Aa.
Von ganz aussen, wo kein Haus zu verlassen ist, lässt sich alles sagen, vor dem Tor. Vor dem Tor hat er ins Zimmer gekackt. Dann sag es laut, ganz laut und heiser, als hättest du es schon Wochen gesagt, so sagst du, bell heiser, leiser, wie Liese bell es ins Haus, vor dem Tor, keiner schmeisst dich raus, keiner lässt dich nicht ein, keiner wird grausam sein, Idalein.
Die Dame hätte sich nur einmal aussen, aussen vor das Tor.
Vor den Garten zwischen Haus und Strasse, auf die Strasse vor das Tor zum Haus, noch weiter, noch weiter, nach New York, nach New York fliegen sollen, es laut sagen sollen, in New York, nicht zuhause, nicht im Haus, nicht vor dem Haus, weit vor dem Haus in New York.
Ich lache und pinkle mir die Hosen nass, ruft sie, steigt ein ins Flugzeug und aus in Berlin. Der Spuk hätte ein Ende gehabt. Es muss nur einmal gesagt sein. Aber so weit, so weltweit denkt die Dame nicht. Denkt sie, ein Ausflug nach Charlottenburg, nach Dresden oder Fallingbostel, zum Heidegrab von Hermann Löhns, Holzminden, wo die Luft gut ist, das Trinkwasser schlecht, denkt sie, so ein Ausflug schon sei es gewesen?
Denkt sie, sie könne in Dresden, Hildesheim, Wien, lachen und Pinkeln, vor den Toren von Berlin und keiner weiss, niemand hat es gesehen?
In Dresden stört es keinen, keiner fragt danach. Hat sie schon einer gefragt, in Dresden gefragt: «Verzeihung, wenn sie lachen, pinkeln sie sich die Hosen nass?» So was fragt keiner in Dresden, das fragt kein Heinz und keine Grete, das fragt keiner in der Provinz.
Die Provinz, das wäre das Letzte, kein Ort, wo es die Dame sagen würde, sie bleibt sitzen in Berlin und hat einen Künstler im Haus.
Der Künstler glaubt daran. Er hat sich daran gewöhnt. Künstler sein. Künstler über Eis und Schnee. Und hat es vergessen. Wie ein wirklicher Künstler ist er vergesslich. Ist das Geheimnis, wenn es ein Geheimnis gibt, ist es das. Er hat lange vergessen, was er der Welt sagen muss. Ein Künstler vergisst alles.
Und alle glauben es, der Gärtner, Ida, die Dame, Friedhelm, der Polizist, bis auf weitere Beobachtung glauben es alle.
Wie er es angestellt hat? Wie er es zustandebrachte?
Wie sie in seine Hände kam? Sie Jahre und Jahre erpresste, zwischen die Hände nahm und presste und presste und heute noch, wie er das zustandebrachte, keine Scham, keine falsche Scham, wenn wir ihn Erpresser nennen, zwischen die Hände nehmen und pressen, schämen wir uns nicht.
Einmal hat er einen Witz gemacht, sie hat gelacht, es ist passiert, er hat es gesehen. Sie pinkelt sich die Hosen nass, einer hat es gesehen. Da hat er gedacht, ich habe einen Witz gemacht, sie hat gelacht und das habe ich gesehen, was keiner wissen darf, weswegen sie tot umfallen würde, was niemand glaubt, dann hat er das von Mäusen und Pinkeln gedacht. Wenn das wer wüsste, lacht sie nicht mehr, niemals mehr, hat er gedacht, dass sie jetzt, wie eine kleine Maus zwischen seinen Händen sitzt und piepst.
Das wäre das Ende im Haus am See, wenn er presste, das Mäuschen presste und das Mäuschen piepsen würde. Er hat nicht daran gedacht, nicht daran, dass auch sie nach New York fliegen könnte und es in den Wind schreit und alles wäre vorbei. Es muss nur einmal gesagt sein.
Und was?
Dumme bumsen besser, sagt der Spiegel, hätten sie das gedacht?
Es wäre doch gelacht wenn sich daraus nichts machen liesse, wenn sich daraus kein Geschäft machen liesse, wäre es gelacht, hat er gedacht.
«Doch, doch», schreit er ins Telefon, es tut ihm leid, er habe
das voraussehen können, das Klima nicht günstig, zu heiss, es sei zu heiss. Er könne nicht über Eis, es sei zu heiss, nicht über Eis jetzt reden.
Gerade der Hass auf die Sonne, der Hass als Motor, als Motor und einzige Antriebskraft, sei er brauchbar, der Hass, das einzige brauchbare überhaupt für den Künstler.
«Ist es nicht zu heiss?» fragt der Agent
«Nein, ich sage doch», sagt der Künstler «ist es nicht zu heiss?» fragt der Agent.
Dann fragt der Agent, dann sagt der Künstler. «I wo», sagt der Künstler. Er ist nämlich auch Bayer. Es soll dort nette Menschen geben, Herbert z. B. Es können nicht alle nett sein in Bayern.
«Sie können von Pelzen, von langen molligen Pelzen schreiben», sagt der Agent.
«Von Pelzen? Niemals Pelze. Ich gebe nicht Ruhe, nicht Ruhe bis ihr meinen Namen ruft», ruft er, bis ihr meinen Namen rund um die Welt sollt ihr meinen Namen rufen. Richard Gott.

Früher waren alle unter einer Kappe von Eis begraben. Früher waren wir schlimm dran.
Am südlichen Rand der Eisdecke jagten Jäger der Steinzeit, folgte dem Mammut und Rentier. Wir haben schlimmeres hinter uns.
Kühl wie Jean-Baptiste-Elie de Baumont wird er zu eisbedeckten Spitzen der Alpen stossen, hofft der Agent, kalt wie Eis war Elie de Baumont, als er ins Herz der Jura stiess. Was sagte Alexander dazu? «Wenn sie zu den fossilen Fischen zurückkehren wollen, leisten sie uns einen grösseren Dienst als ihre eisigsten Betrachtungen», sagte Alexander und irrte. Humboldt irrte. Irren wir?
Eine Eisdecke überwälzte grosse Elefanten, Flusspferde, gigantische Fleischfresser.
Glühende Katastrophisten stürzten sich in die Sinflut, in Höhlen, Spalten, diluvialen Sand, suchten nach Resten von Mensch und Tier.
Glühende Katastrophisten stürzten sich auf das Skelett einer Hure, rostrot gefärbt, geziert mit Elfenbeinstücken.
Sie stürzten in die Höhle von Paviland. So irrte Humboldt.
«Die Gletscher kommen», schreit der Künstler und breitet seine Arme aus, zum Gruss, dem Gletscher zum Willkommensgruss, dem Gletscher öffnet er weit die Arme, soweit, das von einem Mann ohne Oberteil, ohne Körper, oberhalb des von der Sonne beschienenen Nabels kaum zu erwarten ist.
Was auf ihn zukommt, ist kein Gletscher, ist das Zweiglimmergneisgranit von Angermannland, ist das Geschiebe aus der Kiesgrube an der Seidelstrasse in Berlin Tegel und hätte ihn begraben, hätte er nicht einige Bemerkungen an den Rand geschrieben, ist ihm der Haarschwanz aufgesprungen. Wieder mit dem Stift in den Garten, den Abhang runter, mit der kleinsten notwendigen Verzögerune wieder am Ort des Einfalls und Fahrtwind.
Der Künstler auf der Schwelle zum Wunderbaren. So war es. So wäre es gewesen.
Er steckt mit dem Stift die Haare. Den Haarschwanz hoch zu einem Japanergesteck. Notiert mit der Nadel, was ihm einfiel. Das hat er versucht, Künstler versuchen alles. Notiert mit der Nadel, steckt fest mit dem Stift, wie ungeheuer sympathisch und hilflos, wie er die Welt verwechselt, wie er sich alles erkämpft, von Grund auf erkämpfen muss, nichts steht fest für den Künstler, er schwimmt im All, mit dem Kopf voran, wenn diese Künstler nicht solche Köpfe hätten, hätten sie andere, stossen an, im All, überall, Schweine im Weltall, da kommt er, Miss Piggy!
Er taumelt, zweifelt, kichert, krabbelt, verwechselt alles, denn nichts ist immer wieder mit dem Kopf an die Welt. Wieviele Ecken hat die Welt? Was mir gefällt? Wieviele Hörner hat der Künstler?
Wie geht er, wie steht er, mit welcher Grazie, wo ist der Charme, mit welcher Überlegenheit, mit welchem Gefühl, Gefühl der Überlegenheit, der Auserwähltheit, der Einzigartigkeit, trägt er sein Horn und sein Geschick?
Die Haare werden vom Stift gehalten. Der Einfall kommt nicht zu Papier. Der Künstler kratzt mit der Nadel. Der Künstler ringt mit der Welt, mit Dingen, die ihm nicht helfen wollen, die Welt zu notieren, Dinge, die natürlich nicht helfen wollen. Der Stift hält das Haar. Kann man das erwarten, von einem Stift? Mehr als wir erwarten durften. Die Welt ist freundlich heute. Der Künstler ringt. Wenn er eines nicht ausstehen kann, knapp hinter der Sonne, ist es eine freundliche Welt. Das ist mir Wasser im Tank, sagt er, wie gerne würde er die Welt durchflitzen.
Ultradrögsepp, Saumichel, Präsidentenschwein, Staatstrottel, Staatsdienstverweigerer, sagt er zum Stift.
Da kam der Gärtner und ein Polizist.
Der Gärtner war wieder Chinese. Der Künstler mit Bleistift im Haar sah japanisch aus.
«Das ist der Japaner», sagt der Chinese, die Polizisten greifen zu.
«Was tut ein Japaner in unserer Stadt?» fragt der Polizist. Auch wenn das Haus am Stadtrand liegt. Auch wenn wir in Berlin sind. Es war nicht irgendein Japaner. Irgendein Japaner hätte ruhig und friedlich leben können, auch in Berlin. Es war ein Künstlerjapaner, im Haus am See mit wechselndem Gesicht. Die Polizisten verstehen kein chinesisch, nicht japanisch, nur deutsch und englisch, etwas. «Auf Leben und Tod?» fragt der Polizist. «Auf Leben und Tod», sagt der Japaner. «Das Letzte in meinem Leben war, ich sagte, Herr Polizist, auf Leben und Tod.» «Na, na», sagt der Polizist, «noch sind wir nicht tot. Noch zappeln wir. Bürschchen, zeig her. Geschriebenes.» Der Japaner zeigt her. Was zeigt er? Nichts zeigt er her. Er zeigt das dicke Buch. Eine Klassikerausgabe, aus der DDR, zeigt er her. So war er.
«So, so, aus der DDR», sagt der Polizist. Der Polizist hat eine Tante aus Dresden. Man kann nicht nur Schlechtes von Polizisten sagen.
Der erste Satz war: deckenbezogenem Polster und schnarchte im Schlafe.
Der letzte Satz war: erwachte und sah, was da vorging. Gepackt von Entsetzen, neunter Gesang.
«Neunter Gesang», schimpft der Polizist, der es mit den Nerven hat. «Das ist schon voll, dein Gebetbuch. Und was schreibst du? Was macht ein Japaner in Berlin?»
Dem Künstler fehlen die Worte.
«Ich schrieb und ich schrieb nicht. Mein Stift funktioniert nicht. Er versagt mir den Dienst. Sie sollten ihn verhaften, Stift verhaften, Herr Polizist.»
Der Polizist greift dem Künstler ins Haar. Der Haarschwanz fällt zwischen rechtes und linkes Schulterblatt. «Gerät schreibt», schreibt er mit Stift in Vergil. «Gärtner in Ordnung, kann sich irren, irren ist menschlich, Japaner sieht aus wie Chinese. Wir beobachten weiter.»


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