Peter Waterhouse

Zwischen den Fernen




Rede anläßlich der Verleihung des österreichischen Staatspreises für Übersetzer an Michael Hamburger im Mai 1988.

Sehr geehrte Damen und Herrn.
Indem ich jetzt über Michael Hamburger als den Übersetzer und Dichter sprechen will, werde ich zugleich über andere sprechen. Ich sehe mich von ihm geleitet, begleitet - und diese Erfahrung ist mir lange lieb geworden - in ein Gebiet der Übergänge, in einen Zwischenbereich, in etwas aus Literaturen Zusammengesetztes, nach draußen Gerichtetes. In dieser Landschaft, in der die nationalen Begrenzungen weniger bedeutsam geworden sind und anderes bedeutsamer, kommen aus Michael Hamburgers Sätzen die Namen und die Dichtungen entgegen; Charles Baudelaire, der den Widerspruch Formulierende, der in den Widerspruch Geratende zwischen der ethischen, öffentlichen, kommunikativen Verantwortung der Kunst und der nach Parnassus gehenden, ästhetisch explosiven Kunst, Stéphane Mallarmé, der das Außerkünstlerische zu einer «brutalen Fata Morgana» Erklärende, Arthur Rimbaud, der die Kunst und die Revolte Verwerfende, Paris als das Zentrum Fliegende nach Nordafrika, in ein Schweigen, das sind die ersten, die Michael Hamburger in seiner großen Darstellung der modernen Lyrik, in «Wahrheit und Poesie» (The Truth of Poetry) vorstellt. Von dem Namen Fernando Pessoa habe ich zum ersten Mal in dieser Umgebung, in diesem Buch gehört. Als ich mich mit dem unerklärlichen Gedicht «Un coup de dés» (Ein Würfelwurf) beschäftigte, war mir Michael Hamburgers Satz von den «freischwebenden, unverankerten Bildern» dieser Dichtung stille Unterstützung oder Zuspruch. Als ich auf der Suche war, welche Erscheinung die Nacht ist und welche Erscheinung der Tag, las ich bei Michael Hamburger zum ersten Mal den Satz über «Sapphos Beobachtung über die Abenddämmerung und Hesperus, der sammelt, was der helle Sonnenaufgang zerstreut hat». Das Buch ist geschrieben aus solchen frei hinausgerichteten Blicken, und mit frei meine ich Blicke, die die disparaten Teile nicht zu Harmonie und Lösung führen können. Das Buch sagt nicht «so», «jetzt», «dieser», «Lösung», sondern beruft sich auf etwas eher Topographisches, das aus vielen Punkten oder Orten oder Ländern oder Wörtern zusammengesetzt ist, aus Aneinandergrenzen und Übertretung.
In einem Zwischenbereich liegt auch die Übersetzung, also in dem von Michael Hamburger entworfenen Gebiet, wie ich es lese, das nicht «hier» ist und das nicht «da» ist, nicht «ich» oder «du» und nicht «unser», nicht «an seinem Platz», nicht «endgültig benannt». Man kommt hier wieder zu den Namen anderer, man kann sie nachlesen, es sind viele, und ich will daraus auswählen. Die erste, zu einem Buch gewordene Übersetzung ist eine von Gedichten Friedrich Hölderlins, in England 1943 erschienen, also inmitten des 2. Weltkriegs; geschaffen vom Sohn einer aus Deutschland, Berlin geflüchteten, an einen Nullpunkt mit den Namen Edinburgh ins Englische gekommenen Arztfamilie. Diese Übersetzung ist 1952 in einer erweiterten Fassung erschienen, 1961 kamen ausgewählte Prosaübersetzungen hinzu, 1966 eine große neue Übersetzung, «Poems and Fragments» (Gedichte und Fragmente), die 1980 noch einmal erweitert worden ist. Ich möchte Ihnen keine Einschätzung dieser großen Arbeit geben; ich habe, um das Ganze zu erfassen, keinen Begriff. Ich möchte aber auf zwei Gedichte Ihre Aufmerksamkeit lenken, an denen zunächst Michael Hamburgers übersetzerische Arbeit sichtbar wird, darüberhinaus ein offener Bereich - der Bereich der Dichtung Friedrich Hölderlins - und gleichzeitig eine Sprechweise, die mit vielem in Michael Hambugers eigener Dichtung zum Vergleich einlädt, mit der Sprechweise der hermetischen Lyrik, wenn man einen solchen Allgemeinbegriff für sprachliche Ereignisse verwenden darf, die jeweils von neuem und ohne Hilfsmittel die Möglichkeit der Verbindung zwischen Sprachlichem und Außersprachlichem ausmessen oder prüfen. Das Gedicht ist der 1980 erschienenen Hölderlin-Ausgabe entnommen:


VOM ABGRUND NEMLICH / FOR FROM THE ABYSS

Vom Abgrund nemlich haben
Wir angefangen und gegangen
Dem Leuen gleich, in Zweifel und Ärgerniß,
Denn sinnlicher sind Menschen
In dem Brand
Der Wüste
Lichttrunken und der Thiergeist ruhet
Mit ihnen. Bald aber wird, wie ein Hund, umgehn
In der Hizze meine Stimme auf den Gassen und Gärten
In denen wohnen Menschen
In Frankreich
Der Schöpfer
Frankfurt aber, nach der Gestalt, die
Abdruk ist der Natur zu reden
Des Menschen nemlich, ist der Nabel

Dieser Erde, diese Zeit auch
Ist Zeit, und deutschen Schmelzes.
Ein wilder Hügel aber stehet über dem Abhang
Meiner Gärten. Kirschenbäume. Scharfer Othem aber wehet
Um die Löcher des Felses. Allda bin ich
Alles miteinander. Wunderbar
Aber über Quellen beuget schlank
Ein Nußbaum und sich. Beere, wie Korall
Hängen an dem Strauche über Röhren von Holz,
Aus denen
Ursprünglich aus Korn, nun aber zu gestehen, bevestigter Gesang von Blumen als
Neue Bildung aus der Stadt, wo
Bis zu Schmerzen aber der Nase steigt
Citronengeruch auf und das Öl, aus der Provence, und es haben diese
Dankbarkeit mir die Gasgognischen Lande
Gegeben. Gezähmet aber, noch zu sehen, und genährt hat mich
Die Rappieriust und des Festtags gebraten Fleisch
Der Tisch und braune Trauben, braune und mich leset o
Ihr Blüthen von Deutschland, o mein Herz wird
Untrügbarer Krystall an dem
Das Licht sich prüfet wenn Deutschland


For from the abyss we
Began and have walked like
The lion, in doubt and annoyance,
For more sensual are men
In the blaze
Of deserts,
Drunk with light, and the spirit of animals
Joins in their rest. But soon like a dog my voice
Will walk in the heat through the alleys of gardens
In which men and women live
In France
The ereator
Frankfurt, though to speak according to the shape
Of nature's imprint, human nature, I mean,
Is the navel of this earth, our time too
Is time, and of German mould.
But a wild hill looms above the slope of
My gardens. Cherry-trees. A sharp breath, however,
Blows around the holes of the rock. And there I am
All things at once. But wonderfully
Over wellsprings there slenderly bends
A nut tree and Berries like coral
Hang on the shrub above wooden gutters
From which
Originally of corn, but now to be confessed, fortified songs of flowers
As new education from town, where
To the point of pain in the nose
A smell of lemons rises and of oil, from Provence, and it is
The Gascon regions that have given me
This thankfulness. But what tamed me, still to be seen, and fed me
Is love of rapiers and the holiday's roast meat
The table and brown grapes, brown ones and read me, gather me O
You flowers of Germany, O my heart is turning
To crystal that cannot lie, in which
The light is tested when Germany


Was für eine Landschaft. Ich lese darin die Wüste, die Hitze, die Gassen, Frankreich, Frankfurt, Gärten, Kirschbäume, Fels, Nußbaum, Beeren an den Sträuchern, Zitronengeruch, die Provence, die Gascogne, zuletzt das isolierte Wort «Deutschland». Vielleicht bin ich nicht der einzige, der danach fragt, von welcher Landschaft das Gedicht spricht und wie es sich aus Orten, Regionalem, Einzelheiten zusammensetzt und aus Unvereinbarkeiten, bis es zur Durchlässigkeit, zur Lichtdurchlässligkeit eines Kristalls findet. Das Licht prüft sich an diesem Kristall, auch das Licht kommt von überallher, zu einem Augenblick der Extreme. Wirklich arbeitete Hölderlin 1802 als Privatlehrer einige Monate in Frankreich, Bordeaux. Aber das Gedicht ist kein abbildendes, scheint nicht etwas zu berühren und zu benennen, sondern bewegt sich zwischen den Fernen, bildet sich aus diesen, in einer Übersetzung zwischen den Fernen.
«Allda bin ich/Alles miteinander.» Auf zwei Zeilen verteilt steht der Satz in der Mitte des Gedichts. «And there I am/All things at once.» Die Teile sind ineinander übersetzt oder alles ist ineinander übersetzt; nicht einzeln und definiert und benannt und bekannt, sondern in den Zustand der Übersetzung gebracht, der einer der Unsicherheit ist, der Nichtbestimmtheit und mit weniger Fundament. Ich glaube, in dieser Bewegung vieler Gedichte Friedrich Hölderlins kann der Beginn einer Übersetzung liegen oder die Anregung zur Übersetzung. Nicht viel mehr als 10 Jahre wahrscheinlich hegen zwischen diesem Gedicht und einem Brief von John Keats, auf den sich Michael Hamburger wiederholt berufen hat. Vermutlich im Dezember des Jahres 1817 schrieb Keats an seine Brüder George und Tom, und seine Gedanken kreisten um die Unzufriedenheit mit vielen Gesprächen der zurückliegenden Tage und über das, was in der Kunst bedeutsam ist und dann über eine plötzliche Einsicht: «& at once it struck me, what quality went. to form a Man of Achievement especially in Literature & which Shakespeare possessed so enormously - I mean 'Negative Capability', that is when man is capable of being in uncertainties, Mysteries, doubts, without any irritable reaching after faet and reason», «und auf einmal wurde mir klar, welche Eigenschaft es brauchte, daß einer etwas schaffen kann, gerade auch in der Literatur, und wovon Shakespeare so erfüllt war - ich meine 'Negative Befähigung', das ist, wenn einer fähig ist, in Unsicherheiten zu sein, in Unerklärlichkeiten, in Zweifeln, ohne dem ärgerlichen Ausstrecken nach Faktum und Vernunft». Anstatt den Begriff «negative capability» mit dem deutschen «negative Befähigung» zu übersetzen, könnte ich auch, etwas freier, sagen «Zwischenbereich» oder mit Hölderlin, «Kristall». Ich möchte Ihnen ein weiteres Gedicht von Friedrich Hölderlin vorlesen und die Übersetzung ins Enghsche, ein Gedicht mit Zwischenräumen.


HEIMATH / HOME

Und niemand weiß

Indessen laß mich wandeln
Und wilde Beeren pflüken
Zu löschen die Liebe zu dir
An deinen Pfaden, o Erd`

Hier wo - - -
und Rosendornen
Und süße Linden duften neben
Den Buchen, des Mittags, wenn im falben Kornfeld
Das Wachstum rauscht, an geradem Hahn,
Und den Naken die Ähre seitwärts beugt
Deih Herbste gleich, jezt aber unter hohem G
ewölbe der Eichen, da ich sinn
Und aufwärts frage, der Glokenschlag
Mir wohlbekannt
Fernher tönt, goldenklingend, um die Stunde, wenn
Der Vogel wieder wacht. So gehet es wohl.


And no one knows

But meanwhile let me walk
And pick wild berries
To quench my love for you
Upon your paths, O Earth

Here where
and thorns of roses
And sweet lime-trees give out their fragrance
Beside the beeches, at noon, when in the yellowish cornfield
There is a whisper of growth, by the straight stalk,
And the ear inclines its neck to one side
Like autumn, but now beneath
The oaks' high vault, where I ponder
And question heavenward, the stroke of the bell,
Familiar to me,
Rings out from afar, with a golden ring, at the hour when
The bird's awake once more. Then all is well.


Die Offenheit und Leichtigkeit und Durchlässigkeit, mit der das Gedicht auf seinen Titel, auf das Wort «Heimat», antwortet, hat im Englischen eine sehr feine Entsprechung bekommen, nämlich das Wort «whisper». «Das Wachstum rauscht», so steht es im Deutschen. «There is a whisper of growth», so steht es im Englischen. Rauschen/whisper. Die Übersetzung verschiebt, ganz geringfügig, den Ton in den Bereich des Sprachlichen, die Antwort Vorenthaltenden. Die Übersetzung ist bereit, hier in übertragene Sprechweise zu wechseln, was das Rauschen bei Hölderlin nicht ist, doch zugunsten einer ganz am Rand der Sprache liegenden, am Rand der Artikulation und Benennung liegenden Zone der Loslösung, zugunsten eines wenig definierenden Flüsterns, das zu der Seligkeit der letzten Gedichtzeile gehört, zu ihr hinfährt: «So gehet es wohl», «Then all is well».
Michael Hamburger hat im Vorwort zu der Hölderlin-Übersetzung «Poems and Fragments» eine Haltung des Übersetzens vorgeschlagen, auf deren Begründung ich eingehen möchte. Ich könnte diese Haltung, in der hier verwendeten Sprechweise, als eine bezeichnen, die, im schönen Sinn des Worts, nach einem Zwischenergebnis strebt. Zwischenergebnis heißt in diesem Sinn, aus dem Anderen, das die Fremdsprache ist, nicht das Eigene. machen, sondern eine Übersetzung im wirklichen Sinn des Worts machen. So verstanden stellt sich die Übersetzung gegen die Verkapselung im Eigenen, auch gegen das Ich, gegen die Grenze, gegen den inneren Sinn der Nationalsprache, gegen das Funktionieren der eigenen Sprache, gegen diese komische Gewißheit des «wir sind wir» (eine vermutlich deutschsprachige Erfindung, die mit ihrem Panzer gegen Blick, Wahrnehmung, Fluß wohl einer der dumpfsten Momente von Sprache ist). Keine freie Übertragung ins Eigene, also kein Gedicht, das dem eigenen Opus und der eigenen Individualität einverleibt wird, soll die Übersetzung sein; aber auch keine Form der Wörtlichkeit, da sie keine rhythmischen Möglichkeiten erlaubt. «Something inbetween» nennt Michael Hamburger seine Entscheidung, und die könnte man wieder übersetzen in eine Wendung wie «ohne festgelegtes System» oder in «wechselhaft» oder «ohne allgemeinen Begriff» oder «lebendig». Es geht hier wenig um Regeln und Lehrsätze, aber um die Aufmerksamkeit. Jede Stelle in der Sprache ist unterschieden, selbst eine Wiederholung ist eine Unterscheidung. Das bereits Erkannte wird man jeweils auf das Zuerkennende nicht mehr anwenden können; und bereits ein solcher Satz ist schon falsch, und man soll ihn nicht anwenden.
Der Bereich außerhalb des Eigenen, außerhalb der Definition, der Bereich der Übergänge und Unbestimmtheit kann einer der Krise sein. Man kann im Falle der Dichtung von Friedrich Hölderlin von einer Krise sprechen, wobei ich hier mit Krise den Zustand meine, der außerhalb der Identifikationen und identifikatorischen Entscheidungen hegt, während im Griechischen, präziser vielleicht, die Entscheidung selbst die Krise ist, nämlich das griechische Wort «krisis» entspricht dem deutschen Wort «Entscheidung». Michael Hamburger hat 1981 eine Auswahlübersetzung von Gedichten von Rainer Maria Rilke veröffentlicht, «An unofficial Rilke», also «der unbemerkte Rilke», und hat die Auswahl begründet mit seinem Interesse vor allem an denjenigen Gedichten Rilkes, die in einer Phase der Krise und Desorientierung geschrieben wurden. Zwischen 1908 und 1922 gab Rilke keine neue Gedichtsammlung heraus, war ein Buch und Konsistenz nicht möglich. Aus diesem Zeitraum und der Zeit bis zu Rilkes Tod 1926 wählt Michael Hamburger aus. Ich möchte Ihnen das Gedicht «An Hölderlin» vorlesen, eine Art Krisengespräch mit dem Dichter ist es geworden.


AN HÖLDERLIN / TO HÖLDERLIN

Verweilung, auch am Vertrautesten nicht,
ist uns gegeben; aus den erfüllten
Bildern stürzt der Geist zu plötzlich zu fällenden; Seen
sind erst im Ewigen. Hier ist Fallen
das Tüchtigste. Aus dem gekonnten Gefühl
überfallen hinab ins geahndete, weiter.

Dir, du Herrlicher, war, dir war, du Beschwörer, ein ganzes
Leben das dringende Bild, wenn du es aussprachst,
die Zeile schloß sich wie Schicksal, ein Tod war
selbst in der lindesten, und du betratest ihn; aber
der vorgehende Gott führte dich drüben hervor.

O du wandelnder Geist, du wandelndster! Wie sie doch alle
wohnen irn warmen Gedicht, häuslich, und lang
bleiben üim schmalen Vergleich. Teilnehmende. Du nur
ziehst wie der Mond. Und unten hellt und verdunkelt
deine nächtliche sich, die heilig erschrockene Landschaft,
die du in Abschieden fühlst. Keiner
gab sie erhabener hin, gab sie ans Ganze
heiler zurück, unbedürftiger. So auch
spieltest du heilig durch nicht mehr gerechnete Jahre

mit dem unendlichen Glück, als wäre es nicht innen, läge
keinem gehörend im sanften
Rasen der Erde umher, von göttlichen Kindern verlassen.
Ach, was die Höchsten begehren, du legtest es wunschlos
Baustein auf Baustein: es stand. Doch selber sein Umsturz
irrte dich nicht.

Was, da ein solcher, Ewiger, war, mißtraun wir
immer dem Irdischen noch? Statt am Vorläufigen ernst
die Gefühle zu lernen für welche
Neigung, künftig hn Raum?


To stay, among things most familiar even,
we are not permitted; from the image fulfilled
our minds too suddenly rush into those to be filled; there are
no lakes till eternity. Here
falling's the best we can do: tumble over
from the mastered feeling into the guessed at, onward.

To you, glorious one, who adjured it, for you a whole life
was the urgent image, when you pronounced it
the line closed like a fate, in your gentlest even
a death inhered and you entered it; but
the god walking ahead led you out and across.

You roaming spirit, mote roaming than any! How all others
are at home in their snug, warm poems, house-proud, linger
in narrow analogies. Interested parties. You only
move like the moon. And, below, it lights up and darkens,
your nocturnal landscape, the sacredly startled
which through leave-taking you perceive. No one
gave it away more nobly, gave it back
to the whole more undamaged, more undemandingty. So
too for years no longer counted devoutty you played
with infinite joy, as though it were not inside us
but, belonging to none, lay about
in the tender grass of this earth, left behind by celestial children.
Oh, what the best aspire to, you, undesiring, laid
brick upon brick: it stood up. But its very collapse
left you composed.

How, after one so timeless has been, can we
still mistrust the earthly? Rather than earnestly learning
from provisional things the feelings for what
inclination to come, in space?


«Keiner/... gab sie ans Ganze/heiler zurück» - es ist hier von Landschaft die Rede - und im englischen Gedicht heißt es: «No one/... gave it back/to the whole more undamaged». Dieses deutsche Wort «heiler» wird im Englischen ersetzt durch eine gar nicht heile Wendung «more undamaged». Ich denke, hier reagiert der Übersetzer und reagiert die fremde Sprache in zerbrechlicher Weise auf eine Form deutscher Idealsprache. Für das einzelne, emphatische, heilige Wort von Rilke wählt der Übersetzer eine nicht heilige, eine sich durch Negation relativierende, eine lange, fast geduldige, nachdenkende, weniger schöne Lösung. «More undamaged» ist ja selbst beinahe «a damaged expression», «beschädigter Ausdruck», die Wortform klingt nicht mit dem deutschen oder englischen Inhalt mit, sie antwortet mit einem Zweifel diesem deutschen Wort «heil». Seiner Rilke-Übersetzung hat Michael Hamburger wiederum einen Kommentar beigegeben. Aus diesem gehen Zweifel hervor, die ähnlich jenem sind, den ich hier in der Übersetzung des Worts «heiler» gefunden habe. Sie ließen sich zusammenfassen als Frage nach der Geschlossenheit der Kunst und nach der Verantwortung des Künstlers jenseits dieser Kunst. Oder: Rilkes «negative capability», «negative Befähigung» in der Dichtung war in Bereichen sozialer, politischer Verantwortlichkeit eine Unfähigkeit. Oder: Aus dieser Krise, aus diesem Konflikt ließe sich die für die Dichtung notwendige Anspannung gewinnen. Ich glaube, Michael Hamburgers Übersetzung Rilkes ist ein Nachdenken über den behauptenden Habitus bei Rilke und über die Verführungskraft oder Suggestion dieses Behauptens. Die behauptende Rede hat in sich ein Element der Krisenüberwindung, das zugleich das Subversive außer Kraft setzt. Wie soll man denken über ein Positionswort wie «heil»? Ich glaube, man kann zu der Anschauung kommen, daß die Sprache der Setzung bei Rilke letztlich «positive ability» ist und damit dem angeklagten «warmen Gedicht» ziemlich nah.
Zehn Jahre vor «An unofficial Rilke» sind Michael Hamburgers Übersetzungen von Gedichten von Paul Celan erschienen. Ich denke, die Beschäftigung mit dieser Dichtung ist die Beschäftigung mit dem ganz Fremden, das sich nicht in Bestimmungen auflösen läßt. Celans Dichtung steht, glaube ich, außerhalb der Fixierung; vielleicht ist es gerade diese sprachliche Desintegration, die sich für das Übersetzen eignet. Vielleicht ist sie aufgrund ihres instabilen Zustands im Original eine gute Voraussetzung für jene Instabilität der Übersetzung. Vielleicht ist so gesehen Übersetzung überhaupt der Weg ins Freie. Und vielleicht war Michael Hamburgers Rilke Auswahl der Versuch, zwischen den eindrucksvollen synthetisierenden, synästhetisierenden Rhythmen in Rilkes Dichtung das Lebendige, ins Freie Weisende zu finden. Ich finde jetzt, in den Celan-Übersetzungen, zu einem Kristall zurück, aus dem Gedichtband «Mohn und Gedächtnis»:


KRISTALL / CRYSTAL

Nicht an meinen Lippen suche deinen Mund,
nicht vorm Tor den Fremdling,
nicht im Aug die Träne.

Sieben Nächte höher wandert Rot zu Rot,
sieben Herzen tiefer pocht die Hand ans Tor,
sieben Rosen später rauscht der Brunnen.


Not on my lips look for your mouth,
not in front of the gate for the stranger,
not in the eye for the tear.

Seven nights higher red makes for red,
seven hearts deeper the hand knocks on the gate,
seven roses later the fountain begins to plash.


Im Innersten der Übersetzung ist wohl die Vergeblichkeit und ist die Übersetzung eine Auseinandersetzung mit der Unerreichbarkeit, vielleicht mit den «sieben Herzen». Mit welcher Unerreichbarkeit? Ich habe die im April dieses Jahres auf Deutsch erschienenen Erinnerungen Michael Hamburgers an die Jahre 1924-1954 gelesen, sie haben den Titel «verlorener einsatz». Es ist eine besondere Autobiographie, nämlich eine der Selbstzurücknahme und der Relativierung des Erreichten. Wenn es etwas wie eine streng undogmatische Geste gibt, so habe ich diese bei Michael Hamburger gefunden, ich empfinde sie als eine radikale Haltung. Im Epilog zu «A Mug's Game», «verlorener einsatz», steht zu lesen:

Im späteren Leben tritt eine Befreiung ein. Was Arno Schmidt «den vierten Faktor» nennt, tritt zu dem Ich, dem Über-Ich, und dem Es hinzu und schmunzelt oder lacht sogar laut und unverschämt auf über ihre albernen Streitereien. Der Aufseher meiner früheren Jahre war ein Pedant, einer, der die Sachen immer wörtlich nahm und auf Tatsachen beharrte. Selbst das bißchen an Erdichtetem, was ich unter dem Schatten seiner Herrschaft produzierte, ließ nur ein beschränktes Maß an Freiheit zu, wenn es darum ging, die reale Grundlage meiner Dichtung herauszufiltern und zu verwandeln. Der vierte Faktor ist Relativität und Clown und hat für die Wahrheit nicht sehr viel übrig - es sei denn für die Wahrheit der Dichtung. Wenn ich ihm nachgegeben hätte, hätte er aus dem Material meines Lebens lauter Wortspiele und aus den Menschen, die darin vorkamen, Charakterspiele gemacht, auch aus mir selbst. Er hätte dem Aufseher die Zunge herausgestreckt, seine Dokumente, die chronologische Reihenfolge und die Syntax durcheinandergebracht. Allein schon die Vorstellung einer Autobiographie findet er absurd, da er so etwas wie ein «Selbst» oder eine literarische Gattung außer der, die er «Schreiben» nennt, gar nicht anerkennt. Und das Leben, die übrigbleibende Komponente im Wort Autobiographie, sucht er in Epiphanien, in Augenblicken der Erleuchtung oder der Zusammenfügung, wo das «Selbst» sich selber am unähnlichsten sieht.

Und zwei Seiten weiter, in einem Selbstdialog, steht:

Aber hänge nicht zu sehr an der Vorstellung, es würde reichen, Vertriebener zu sein. Der nächste und schwierigere Schritt ist, Deine Person zu vertreiben. Verlege sie. Verliere sie. Vergesse sie. Und fang' an, Dich zu bewegen. Das ist der Punkt, an dem eine Autobiographie wahrhaft posthum wird - und nicht mehr das Schreiben wert.

Dieser Punkt der Bewegung oder Durchsichtigkeit oder Sprengung kann aber gerade im Geschriebenen liegen. Ich finde ihn in einem Gedicht von Michael Hamburger, das von einer Bewegung «from glare to glade» spricht, von einer Bewegung «von Leuchten zu Lichtung», und diese Lichtung ist, denke ich, eine Art Nullpunkt und zugleich ein Ort der in weiten Sichtbarkeiten stehenden Aufmerksamkeit. Ich möchte das Gedicht jetzt nicht als ein für diesen Autor typisches vorlesen, und vermutlich ist es ein solches nicht, sondern Augenblick der Intensität und darin nicht auf etwas aufbauend, etwas fortsetzend, ein Ziel beweisend, und seine Identitäten stellt es nicht zur Position, sondern zur Dis-Position. In dieser Dis-Position sehe ich Zusammenhänge mit dem übersetzerischen Werk von Michael Hamburger, zum essayistischen Werk, zum übrigen lyrischen Werk, aber es braucht diese Zusammenhänge nicht.


THE GLADE / DIE LICHTUNG

1
All day in the glare, on the salt lake's beaches,
All night in a fever, shaking.
That's done with. My travels are over.
Somehow I'm here: glade in a dense wood.

Leafage makes lace. The shadows are of it, in it,
The season is everymonth.
White sorrel around me, and white anemone,
Foxglove purple, strawberry red.
Apple shapes, pear shapes have lasted all winter.
And the snow gleams above dry moss.

You don't see it, you cannot see it,
Travelling still to a town the guidebook foretells:
How it is to have gone and returned and gone
And returned and forgotten to go
And forgotten the route and the place
And be there again, and be everywhere.

Stay with me, love, till my fingers have traced the landscape
On your body and into your mind.

2
May we lie there, you ask; and how long.
By the hour, for ever, on a bed leased
From the turning trees and the conifers.
Leaving again and again,
Again and again left
To the dark and the whorled light.

Can you bear the silence between us?
You're, of it, love, you are in it.
I fondle the silence between us
When I touch you and when I have lost you.

So late, nothing can part us:
We belong to the glade.


1
Taglang im Leuchten, an den Salzsee Stränden,
Nachtlang im Fieber, geschüttelt,
Das ist vorbei jetzt. Zuende die Reisen.
Ich bin also hier: Lichtung tief im Wald.
Laub erzeugt ein Gewebe. Die Schatten daraus, und darin,
Jahreszeit Irgendeinmonat.
Weiß rundum der Klee, und weiße Anemonen,
Fingerhut purpurn, Erdbeere rot.
Diese Formen der Äpfel und Birnen blieben winterlang ganz.
Und der Schnee glänzt über trockenem Moos.

Du siehst nicht, wie das ist, kannst es nicht sehen,
Immer noch unterwegs zu der Stadt die dein Plan dir voraussagt:
Fortgegangen zu sein und wieder zurück und wieder fort
Und zurück und zu gehen vergessen
Und vergessen den Weg und den Ort
Und da zu sein wieder, und zugleich überall.

Sei bei mir, Geliebte, bis meine Finger die Landschaft berichten
Auf deinem Körper und in deinen Sinn.

2
Sollen wir da ruhen, fragst du; und wie lang.
Einzelne Stunden, für immer, auf einem Bett das uns erwächst
Aus Konifern und den werdenden Bäumen.
Es immer wieder zu verlassen,
Überlassen immer wieder
Dem Dunkel und dem umwundenen Licht.

Erträgst du die Stille in unserer Mitte?
Du bist ja daraus, Geliebte, bist ja darin.
Ich streichle die Stille in unserer Mitte
Indem ich dich spüre und ich dich verloren hab.

So spät, nichts kann uns trennen:
Wir gehören der Lichtung.

Es gibt die berühmt gewordene Preisrede mit dem Titel «Der Meridian». Mit dieser versuche ich zum Schluß zu kommen, den es nicht gibt. Der sie gehalten hat, war zugleich auch Übersetzer, und er sprach in dieser Rede von etwas, das nicht mit sich selbst identisch ist, das gar keinen rechten Namen hat als den Namen «das Andere» und gar keinen rechten Platz als den «in der Nähe eines Offenen und Freien» und das auch im Ablauf der Rede. eher nur elliptische Gegenwart hat. Und er sprach davon, wie mit Sprache in einem Befremdungsprozeß und Exzentrierungsprozeß eine Begegnung erfahren werden kann, aber das ist nicht mehr Sprache, sondern ein «Gegenwort», etwas aus den Erklärungen und Greifbarkeiten Gelöstes, etwas, das nicht «hier» ist, etwas im Konflikt Lebendiges oder, wie es Paul Celan dann sagt, «es ist ein Schritt». Ich glaube, auch die Übersetzung kann ein solcher Schritt sein, ich glaube, im gleichen Zeichen eines nicht ermeßlichen Identitätsentwurfs und darin ihre Verantwortung suchend steht die übersetzerische Arbeit Michael Hamburgers, der heute den Österreichischen Staatspreis für Übersetzer 1987 erhält.


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