Stefan Weidner

Schöner Nebel
Der grosse iranische Dichter Shamlu in einer kleinen Auswahl


Neue Zürcher Zeitung, 18. Dezember 2002

Grosse Lyriker, die in nichteuropäischen Sprachen schreiben, kommen selten noch zu ihren Lebzeiten in den Genuss einer Übertragung. Der Iraner Ahmad Shamlu hatte es immerhin zu mehreren Beiträgen in deutschen Anthologien und Literaturzeitschriften gebracht, bevor er im Juli 2000 fünfundsiebzigjährig starb. Dass ein eigenes Buch von ihm, und auch ein kleines nur, erst jetzt kommt, verwundert trotzdem. Denn berühmter als Shamlu kann ein Autor in seiner Heimat nicht sein, und selbst wenn man bedenkt, dass so manche Dichtung, die im Persischen wie reiner Gesang klingt, in der Übersetzung kaum der Rede wert ist, so beweist die jetzt bei Urs Engeler vorgelegte Auswahl, dass Shamlu auch auf Deutsch noch ein sehr grosser Dichter sein kann.
Schwäche und Stärke zugleich des deutschen Shamlu ist die oft nur diffuse Bedeutung, die inhaltliche Vagheit der Texte, die zuweilen anmuten wie im Traum gestammelt. Das erste Gedicht des «Blaues Lied» betitelten Bandes, als wollte es die Tonart der Unbestimmtheit für den Rest der Auswahl vorgeben, trägt den Titel «Nebel». Ein orientalischer Nachfahre Trakls scheint zu sprechen, wenn es dort heisst: «Müde die Wüste mit stummen Lippen gebrochenem Atem / Im Fieberwahn des Nebels rinnt ihr Schweiss aus jeder Öffnung.» Was später mit Entschiedenheit als soziales Engagement zutage tritt, versteckt sich hier noch in der expressiven Metaphorik eines personalisierten waste land. Deutlicher wird der soziale Anspruch im Refrain eines anderen Textes, der lautet: «Zwei Kinder im Hof vor welchem Haus, wärmt sie jetzt ihr Traum vom Feuer? / Drei Kinder in welcher Pflasterbodenkälte? / Hundert am Hang welchen taufeuchten Bergs?» Indessen ist auch hier das Leid eher in einer Kunstwelt als in der Realität angesiedelt, wenngleich es dadurch womöglich nur umso stärker zur Geltung kommt.
Zwar hat sich Shamlu gerade in seiner Frühzeit immer auch als Erwecker des Volkes verstanden, doch sein Sinn für sprachliche Bilder hat ihn weitgehend davor bewahrt, in Parolen zu dichten und der bitteren iranischen Wirklichkeit allzu sehr auf den Leim zu gehen. Berühmt wurde er 1957 mit einem balladenhaften Gedicht, das im Ton volkstümlicher Legenden allegorisch von der Erleuchtung und Befreiung des Volkes erzählt. Der Ruhm, den er sich in den Zeiten des Schah-Regimes als Dichter des Volkes erwarb, verlieh ihm selbst zu Zeiten der Mullahs, als er nur noch wenig schrieb und sich weitgehend zurückzog, weitgehende Immunität. Wie viele persische und arabische Dichter seiner Generation berief er sich auf Lorca. Aller westlichen Einflüsse ungeachtet wurde ihm jedoch nachgesagt, am meisten von Hafis beeinflusst zu sein. Ihm gelang der Balanceakt, die persische Sprache von der Bürde traditioneller Rhetorik und Poetik zu befreien und ihr zugleich verpflichtet zu sein wie sonst nur wenige der Modernen.
Ahmad Shamlu gilt daher nicht nur als einer der eingängigsten, sondern auch als einer der schwierigsten Dichter persischer Sprache. Wie dieses Paradox möglich ist, kann dank der dem Buch beigelegten CD auch der deutschsprachige Leser ansatzweise nachvollziehen. Die teils von Shamlu selbst, teils von einem persischen Sprecher vorgetragenen Verskaskaden machen deutlich, wie sehr diese Gedichte von ihrer Melodik zehren und dass sich ihre Leistung an der Intensität der Stimmung bemisst, die sie verbreiten, weniger am nackten Inhalt, dessen Symbolgehalt sich dem Uneingeweihten ohnedies kaum erschliesst. Shamlus Poetik wäre daher in westlichen Kategorien am ehesten als romantisch zu beschreiben. Farhad Showghi hat diese Sprachgebilde behutsam, in knapper Diktion und doch mit genügend innerem Leuchten übersetzt, so dass zusammen mit den Tonaufnahmen ein nachhaltiger Eindruck dieser fremdartigen poetischen Diktion und der ihr zugrunde liegenden Gefühlswelt vermittelt wird.


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