Peter Waterhouse

Zu Michael Donhausers Gedichtband "Sarganserland"



Das ist ein Gedichtband von einer Landstraße (und von ein paar anderen Straßen und Boulevards). Einer Straße mit einer Kurve, mit Schotterrand, mit Gras zum Ruhen und Liegen. Vielleicht ist es eine Schnellstraße, doch in diesem Buch wird sie anders verzeichnet, in dieses Buch wird die Straße halbblind eingezeichnet, während eines Schwächeanfalls, schwindend, nachlassend, mit der Hand vor den Augen oder in den Augenblicken des Vergessens. Der lange Schwächeanfall - oder Gewaltverlust - an dieser Straße, der Taumel - vielleicht hat der Geher Anis getrunken oder von einer der vielen Dolden - führt aber in eine Verstärkung, ist wie ein bestimmtes Heilmittel. Die Klänge des Straßenrands werden gestärkt, dass dort Namen sind und "Blumen als Namen", die "lismen" werden gestärkt und hörbar, also nie zuvor gehörte und gleich wieder präsente Klangblumen, Sonnen und Dahlien gibt es am Straßenrand. Was ist diese Verstärkung? Die Augen sind ja geschwächt und mit der Hand geschützt, also ist die Energie der Blumen, Gräser und Kieselsteine größer, sie beginnen zu zeigen, die Farben beginnen zu sagen, die Stangen beginnen zu zeichnen, sogar folgendes kann man sagen: die Blätter beginnen zu sein und die Tische in den Gärten, und der Verkehr beginnt "rötlichblau" zu sein. Die Straße wird hier nicht beschrieben als "ländlich und staubig", sondern sie selbst gibt sich "ländlich und staubig", das heißt, sie scheint sich so zu schmücken und ins Licht zu legen. Die Straße wird sarganserisch. Plötzlich sind da "Wohnlager", "Kamillen" und "Kieswerke", aber nicht gezeigte, sondern Zeigen und Sichtbarkeit zersetzende, fast Rost erzeugende, und statt richtiger Wege gibt es hier neue Unabsichtlichkeiten und Wahllosigkeiten. Wahllos unabsichtlich zwischen "Wäschestangen" und "Bahnhofsbänken".
Die Kurve, die die Straße macht - ist das ihr Taumel, ihre Schwäche? Trinkt die Straße dort Anis? Ist dieses ein Buch vom Benzin? Wo fährt man hin mit diesem Benzin? Ist es ein großes Reiseziel? Ja, zu "Zellophan und / Sternenhimmel / Sphärenkreise / Filterstummel". Und in welcher Verfassung kommt man dort an? So: "Kam und an: bemoost, verrußt, war / Schweiß und Schlaf und stand als / einer der steht bei seiner Tasche im / Staub, es summte, etwas verloren / sangen ein paar Vögel, welches // Wort, fragte ich, würde das erste hier / sein, oder rauchte, schaute und die / örtliche Straße entlang, wo kein / Mensch nur war, die Blumen im / Schotter wankten, bewegt von // Weither". Wie ist es dort in einem der innersten Himmelskreise? Dort ist die Reisetasche, bei der man steht, dort ist die Straße örtlich, man schaut sie entlang, dort ist kein Mensch nur.
Am Ende dieses Buches wird es ganz ganz ganz spannend - es schließt mit der Prosa "Umgebung": Jetzt wird erkennbar, nein erkennbar ist das falsche Wort, es liegt ja die Hand auf den Augen, jetzt wird gesagt: die Landschaft liegt da um uns sphärisch, sie umgibt, das heißt: ist gegeben, ein Geschenk? Die Straße macht eine kleine Kurve, wird sie da schwach, taumelig, sphärisch, dreht sie sich da zum Himmel (wie man eine Zigarette dreht?), wölbt sie sich da, sind dort ein paar Töne der Sphärenmusik?
Dieses Buch führt in die sphärische Welt und die Atmosphäre (die einen himmlischen Körper mit einer Hülle umgibt), hüllt uns in Pistazien, Scherben, Wäschestangen, Hallen, Aschen, lismen, Zweige, Regen, Schuppen, Gärten, Bänder und Drähte.
Eines jener Bücher, die, in der Hülle der Sprache, weit über die Sprache hinaus gehen.


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