Peter Waterhouse

Michael Donhauser




In den Gedichten von Michael Donhauser gelingt - nach jenem 'Gewaltakt' - immer wieder die Herstellung/Heilung der Konsistenz durch den Laut; die Gedichte (nicht alle) gehen dazu einen Weg zurück zu einem Laut-Paradies (Rieseln im Wind, Tropfen, Klopfen der fallenden Frucht, Amselsingen, Kiesrollen, Namenklänge). Im Laut ist vollkommener Gewinn; der Laut ist eine schweigsame Sprache.
Die schweigsame Sprache ist aber auch in den Dingen zu hören, zu denen die Gedichte wie zurückzukehren scheinen, die Dinge, weil sie schweigen, können Resonanz entwickeln, die Gießkanne kann ein Rauschen, Röhren, Schäumen, Schwappen haben; doch auch lautlos können sie resonieren, durch ihre Materialität und Gestalt und Dasein und Diesseits. Der Telegraphenmast, indem er gerade nicht lauten oder sprechen kann, resoniert sozusagen die Stille.
Was ist Stille? Die Stille ist die Mitte (wo alles hörbar wird). Die Stille ist das Ohr. Die Stille ist der Widerhall, die Widerhalle, die Empfänglichkeit, Antenne, Hahnschrei. Es dauern noch die Herzschläge der Mutter, die tiefe Sprache, die mit der gesagten Sprache kaum vergleichbar ist.
Die Sprache des Gedichts aber ist immer der gesagten Sprache nahe, sie 'wippt nach', wo die Amsel schon weiter gesprungen ist in ihrem Unmittelbarkeitsrhythmus. Und so muß der Sprache des Gedichts eine Art Dingcharakter gegeben werden, sie muß den Dingen ähnlich werden, der 'Wörtlichkeit der Quitte' angenähert werden, eine Sache werden, daß in ihr wieder der Hall sein kann. Die Sprache muß ein horchendes System werden, kein behauptendes, expressives, sondern ein maßvolles, zurückkehrendes, erinnerndes, zögerndes, verhängtes, transparentes, sich nicht selbst gleiches. Die Sprache dieser Gedichte spricht zumeist nicht, sondern hört. So kann ein ganzes Buch von Gedichten heißen: Der Holunder. (Die Sprache ist Holunder geworden; damit sie umkehren kann, tatenlos sein.) So singen diese Gedichte nicht oder selten, sind meistens sachlich, untrunken. Sie können das Datum des Tags verzeichnen, an welchem der Zweiton eines Vogels zu hören war. 'Bateau ivre', das von Paul Celan als 'Das trunkene Schiff' übersetzte Gedicht, hat in Michael Donhausers Übersetzung (eine außerordentliche Wiederentdeckung der Übersetzbarkeit Rimbauds) den Titel 'Tatenloses Schiff'; nicht der Rausch ist wichtig, sondern das Rauschen, das Zuhören, das Nichtstun; vielleicht ist das dann auch eine Trunkenheit, aber eine von der Sachlichkeit gekommene, so sachlich wie ein Krähenlaut. Rimbaud gesungen: 'Ich weiß wie Himmel bersten, ich kenn die Dämmerungen, / die Strömung und die Dünung, die Woge, die sich bäumt'; Rimbaud zurückgeführt: 'Ich kenne die blitzzerrissenen Himmel / Die Winde, Brandungen, Ströme, den Abend'. Die Winde; Brandungen; Ströme, der Abend - das sind fast Gedichttitel in den Büchern 'Der Holunder' und 'Die Wörtlichkeit der Quitte', Rimbaud übersetzt in den sachlichen Puls von Michael Donhauser. Gesungen: 'Ich folgt und folgt der Horde von wildgewordnen Kühen: / der See, die Klippen stürmte, folgt ich auf ihrem Ritt', nicht gesungen, sondern zugehört: 'Habe Monate verbracht, mit dem Schlag / Dem hohlen der Welle gegen die Klippen'.
Zugehört. Zugehörig. Das also ist das wiedergefundene Selbst: das hörende, im Hören dazugehörende, äußere, sachliche, dingliche, zugängliche; das Selbst als die Zauberformel hörendes und werdendes. «Ich bin eine Zauberformel.» (Vielleicht sind diese Gedichte im Holunderbuch und im Quittenbuch Formeln.)
So war es verständlich, daß das dritte Gedichtbuch von Michael Donhauser im Untertitel 'Liebes- und Lobgedichte' heißen konnte. Aber gerade in diesen Lobesformeln wird das Wiederzufindende schwieriger, flüchtiger, ungewisser; zwar noch klanglicher und lautlicher, doch gerade darum immaterieller. Das Lied der auch in diesem Buch wiedererscheinenden Amsel ist ganz wirksam, darum die Identität noch feiner und intervallreicher: 'Als wärst du und berührbar, von ihrem Lied, oder wie so berührt / Lied du oder du, wo du, die du, wenn du wie und sie es entwirft'. Diese Unsicherheit ist die Bedingung für das Ineinandergleiten. Zuweilen ist die Unsicherheit so groß, daß ganze Ketten von so-Sätzen aufgebracht werden müssen, um der Verschmelzung Gestalt zu geben - das Gedicht 'Zugfahrt' beginnt: 'Daß und alles wie, so und / Und im Stillstand so vergeht und naß, so / Naß und nah.' Vielleicht kann man zuletzt sagen: in solch einem so versteckt sich, sachlich, naiv, das gesamte Klang-Original-und-Potential, nach jenem Gewaltakt. Die Amsel singt; der Dichter sagt so.


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