Trauerfeier
für Hans-Jost Frey




Hans-Jost Frey verstarb am Sonntag, 12. Februar 2023 zuhause in Zürich im Kreise seiner Familie. Die Urnenbeisetzung fand am Montag, 20. Februar 2023 im Gemeinschaftsgrab auf dem Friedhof Fluntern in Zürich statt. Franz-Josef Czernin und Christian Uetz sprachen beim Grab, Monika Kasper und Urs Engeler in der Kapelle. Die Gedichte wurden gelesen von Eva Schestag (Eleonore Frey), Ursula Jucker-Wehrli (Arthur Rimbaud) und Marco Baschera (Dante Aligiheri). Das Porträt von Hans-Jost Frey und die Fotos von der Urnenbeisetzung und Trauerfeier sind von Walter Vorjohann, den Stuhl mit Büchern von Hans-Jost Frey hat ihm die Buchhandlung Calligramme in Zürich gewidmet.





Franz-Josef Czernin
Rede an Hans-Josts Grab

Liebe Eleonore, lieber Patrick, liebe Verwandte und Freunde von Hans-Jost!

Gewöhnlich lernt man einander zuerst persönlich kennen und korrespondiert allenfalls später schriftlich. Bei Hans Jost und mir war es umgekehrt: Ich hatte Hans-Josts «Kritik des freien Verses» und «Studien über das Reden der Dichter» gelesen und ihm, sehr beeindruckt und begeistert von der Lektüre, einen Brief geschrieben und zudem drei meiner Gedichte geschickt, die mir zu dem zu passen schienen, was er über die referentielle Illusion geschrieben hat. Daraus entwickelte sich eine Korrespondenz, die über einige Jahre ging und erst später in einem Band mit dem Titel «Briefe zu Gedichten» bei Urs Engeler veröffentlicht wurde. Da hatte ich Hans-Jost, der Eleonore zu einer Lesung nach Wien begleitete, gerade erst persönlich kennengelernt.

Dass die Schrift am Anfang einer Freundschaft steht, ist wohl eher selten und vielleicht auch, dass eine solche Freundschaft der persönlichen Begegnung standhält, ja durch diese sogar befördert, bestärkt und vertieft wird. Denn Schrift und Literatur bilden etwas wie einen idealen Raum, und persönliche Begegnungen halten oft nicht, was jener Raum zu versprechen scheint.

Bei Hans-Jost war das für mich ganz anders. Wenn jemand der Idealität der Schrift als Person gerecht geworden ist, dann er. Denn die ästhetischen und, untrennbar davon, die moralischen Qualitäten seiner Schriften - die sowohl Literatur zum Thema haben als auch diese sind - fanden sich auch in ihm selbst: Genauigkeit, Feingefühl, ja Zartheit, Anmut und Wohlwollen und, nicht zuletzt, eine Ironie, die sich im Gespräch auch manchmal zu einem ziemlich hintergründigen Humor und zu einer, nie aufdringlichen, Wortverspieltheit auswuchsen. Ich kenne niemanden sonst, der mit seiner so grossen und umfassenden Gelehrsamkeit, mit seinem Wissen und seinen Einsichten so bescheiden und diskret umgegangen ist, der etwa mich, den so viel weniger Gelehrten, weder einschüchterte noch hemmte, sondern im Gegenteil zu Dialogen anzuspornen vermochte, die mir manchmal geradezu platonisch erschienen. Dieser so freundschafliche wie fruchtbare Austausch hat mich, glaube ich, vieles gelehrt und nicht zuletzt auch, dass es am wenigsten darauf ankommt, Recht und Unrecht zu haben, sondern dass beide lediglich Momente sind, deren Konstellation erst zu Erkenntnissen führen kann. Ich werde Hans-Josts Freundschaft, seine Worte, unsere Gespräche, sehr vermissen, und deshalb muss ich hier bekennen, dass für mich die Idealität der Schrift auch so etwas wie eine Hoffnung auf Transzendenz enthält. Indem ich das aber hier sage, meine ich, Hans-Josts Gegenwart zu fühlen, ja beinahe höre ich ihn sagen, dass, wenn das Herz auch voll ist, der Mund doch nicht allzu sehr übergehen soll.

Alles Gute, lieber Hans-Jost!





Christian Uetz
Für Hans-Jost

Nur wenn du an den Toten
denkst, kann er dich sehn. Nur
wenn du die Trübsal ins Labsal des
Abwesenden tränkst, bleibt er bei dir
zu dir stehn, ungesehn, die ganze sternklare
Nacht. Wie weit immer wir nämlich die Nahkraft
unserer Gedanken mit seinen verbinden, empfangen
wir seine Schwerkraft leichter und leuchtender. Noch
und noch. Schon fliegen wir im schweren Wein
nüchterner zusammen. Wieder und wieder. Es
vermischt sich der Himmlischen Trunkenheit
mit unseren echolots verhallenden Unkenrufen
un und unsterblich, un und un
sterblich.





Monika Kasper
Für Hans-Jost

Liebe Eleonore
Lieber Patrick
Liebe Trauernde um Hans-Jost Frey

crescer l'ador che di quella s'accende,
crescer lo raggio che da esso vene.
Dante, La Divina Commedia, Paradiso XIV, 50-51

Es wächst die Glut, die sich daran entzündet,
Es wächst das Licht, das ausstrahlt von den Gluten.

Diese beiden Verse aus dem vierzehnten Gesang des Paradiso von Dantes Divina Commedia möchte ich über den Rückblick auf Hans-Jost Freys Wirken als Lehrer und in meinem Fall auch als Vorgesetzter stellen, zu dem ich von Eleonore Frey gebeten wurde.
Kurz bevor ich in den 1980er Jahren mein literaturwissenschaftliches Studium begann, lernte ich einen ehemaligen Studenten der Komparatistik kennen. Als er von meinen literarischen und philosophischen Neigungen erfuhr, meinte er mit Nachdruck, ich müsse unbedingt zu Hans-Jost Frey in die Komparatistik gehen. Er sei der Beste. Ich liess mir aber Zeit und belegte zuerst die Fächer Germanistik und Philosophie, in denen ich jedoch nicht recht glücklich wurde. Irgendwie kam mir in der Germanistik durch die seinerzeit bevorzugten Herangehensweisen an literarische Texte die Literatur selbst abhanden, während ich in der Philosophie zwar einige Philosophen näher kennenlernte, jedoch damals nicht die Erfahrung machen konnte, dass in den Lehrveranstaltungen philosophiert wurde. Ich war wohl etwas jung, ungeduldig und noch unwissend, und natürlich kannte ich auch noch nicht alle Dozierenden. Fast wollte ich mein Studium an den Nagel hängen, als mir Hans-Jost Frey wieder in den Sinn kam.
Nach dem ersten Besuch einer Vorlesung von ihm war klar: Dieses Fach will ich studieren und zwar bei Hans-Jost Frey. Sogleich hatte ich erkannt, dass hier jemand vor uns stand, der während des Vortragens philosophierte, wenn auch nicht unmittelbar über philosophische Fragestellungen, aber über Grundfragen der Literatur, die immer auch an Problemstellungen des Denkens und des Lebens rührten. Er hielt damals eine Vorlesung über Romananfänge und Romanenden, in der er mit einem genauen und differenzierten Blick auf die Texte darüber nachdachte, wie und ob ein Roman anfangen und enden kann. Auch wenn es ihm ausschliesslich um die Literatur zu tun war und er diese gerade nicht mit dem Leben vermengen wollte, liessen und lassen sich solche Fragen mit Gewinn auch auf andere Gebiete übertragen. Ich hatte also gefunden, wonach ich suchte und dieser Eindruck verstärkte sich, als ich anfing, seine Seminare zu besuchen. Noch mehr als in den Vorlesungen waren wir Studenten hier die faszinierten Zeugen eines tiefgründigen Denkens, das sich vor unseren Augen und Ohren entwickelte. Auf alles, was Hans-Jost Frey von den Studierenden an Beiträgen entgegenkam, reagierte er nicht primär aufgrund seines enormen Vorwissens, sondern immer auf anfängliche Weise und äusserst präzis. Wenn ich jeweils innerlich etwas unordentlich in seine Veranstaltung kam, war ich nach drei Stunden - Hans-Jost Frey gab übrigens als einziger mir bekannter Dozent in Zürich auf freiwilliger Basis dreistündige Seminare - war ich also nach drei Stunden hellwach, und alles sass wieder am richtigen Ort. Es waren nicht so sehr die Denkresultate des Unterrichts, die diese klärende Wirkung hervorriefen, sondern der Denkprozess, durch den seine Sitzungen führten. Die Bedeutung, die Hans-Jost Frey dem Denkprozess auch in seiner lehrenden Praxis gab, hat mit seiner Auffassung von Literatur und Sprache zu tun. Literarische Texte sind für ihn eine besondere Redeweise, das heisst, was in ihnen gesagt wird, lässt sich nicht von der Art ihres Sagens ablösen. Oder in seinen eigenen Worten: Literatur ist «weniger ein beliebiges Reden über besondere Gegenstände als ein besonderes Reden über beliebige Gegenstände.» Es versteht sich daher von selbst, dass literarische Texte auch eine Herangehensweise verlangen, die ihren Prozesscharakter berücksichtigt. Vielleicht darf man im Sinne von Hans-Jost Frey sogar sagen, dass sie bei einem solchen Vorgehen in ihrem Wesen erst in den Blick treten. Der je spezifische Vollzug des Sagens und Denkens schlägt sich allerdings auch im Gesagten nieder. In einem Aufsatz zu Rimbaud fasst Hans-Jost Frey diese Konsequenz in die Worte: «Wenn du bei allem, was du sagst, mitdenkst, dass es gesagt ist, dann wirst du anders reden und anderes sagen.» Durch dieses andere Reden und Anderes sagen war mir die Literatur wieder zurückgegeben, und im Unterricht hatte diese Haltung zur Folge, dass wir als Studierende nicht nur dem sich so klar vollziehendem Denken von Hans-Jost Frey beiwohnen konnten, sondern dass wir von ihm auch immer wieder auf scheinbar geläufige und nebensächliche Formulierungen oder manchmal nur auf ein einziges Wort aufmerksam gemacht wurden. Es waren sprachliche Details, die die meisten von uns überlasen, die aber oft den Blick auf grössere Textzusammenhänge eröffneten oder textinterne Widersprüche zutage brachten, die ihrerseits ein tieferes Verständnis des jeweiligen Werks vermittelten.
Hans-Jost Frey war in seinem Unterricht streng, aber freundlich. Von seinen Studentinnen und Studenten verlangte er eine genaue und intensive Beschäftigung mit den Texten. Er konnte oft lange warten, bis die Antworten kamen, die er für die angemessenen hielt. Dadurch entstanden Phasen der Stille, die ich manchmal als unangenehm empfand, die mir aber im Nachhinein als wichtige Momente des Lernprozesses erscheinen, in denen unerwartete Einsichten entstehen konnten. Immer wieder liess Hans-Jost Frey einer Diskussion auch freien Lauf. Gelegentlich verzettelten sich dabei die Voten, aber er wusste die divergierenden Linien des Gesprächs jederzeit auf fruchtbare Art aufzugreifen und in weiterführender Weise zusammenzufassen.
Als ich 1992 meine Lizentiatsarbeit abgeschlossen hatte, fragte mich Hans-Jost Frey in der Sprechstunde, ob ich seine Assistentin werden möchte. Nie im Leben hätte ich mit einem solchen Angebot gerechnet und dies erst noch von jenem aussergewöhnlichen Lehrer und Literaturwissenschaftler, dem bis heute uneingeschränkt meine grösste Verehrung und Bewunderung gehört. Ich musste meinen ganzen Mut aufbieten, um diese Chance zu ergreifen. Dass ich mich für diesen Weg entschied, habe ich nie bereut. Die Zeit meiner Assistenz zählt zu den glücklichsten Phasen meines Berufslebens. Vom Einstellungsgespräch her ist mir eine Äusserung Hans-Jost Freys in Erinnerung geblieben: «Ich bin mir bewusst», sagte er, «dass Sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zu mir stehen. Das hat seine Gefahren. Ich werde aber mein Bestes geben, damit es nicht zu Problemen kommt.» An dieses Versprechen hat er sich gehalten, und was mich betrifft, hätte ich mir keinen besseren Vorgesetzten wünschen können. Hans-Jost Frey vertraute mir, er liess mir viel Freiheit und Raum für meine eigene Forschung. Sein Verhalten mir gegenüber war wohlwollend, jederzeit für Probleme des Arbeitsalltags ansprechbar, aber auch etwas distanziert. Wir blieben bis zum Ende meiner Assistenzzeit beim Sie. Beides empfand ich gerade aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses als sehr angenehm.
Hans-Jost Frey war auch sonst ein eher verhaltener Mensch. Doch sein Auge war hellwach und voller Konzentration, in seltenen Augenblicken liess es auch die innere Glut erkennen, die seine Beschäftigung mit der Poesie in ihm anfachte. Er sprach langsam und entfaltete in ruhiger Weise Schritt für Schritt seine Gedanken, die von weit her kamen und weit hin gingen. Bei dieser bedächtigen Gangart wurde das «Anderswo», eine von Hans-Josts Formulierungen für das Eigentümliche der Literatur, sichtbar. Das «Anderswo» ist für ihn keine greifbare Utopie oder gar ein konkretes Jenseits, sondern es ist, wie eine andere Umschreibung von ihm lautet, «der Himmel der Abwesenheit, auf den die Literatur den Stern zeichnet, dessen Linien alles mit allem verbinden». Die Abwesenheit ist zwar ein Fehlen von allem, was wir zu greifen wünschen, aber wer sie wie Hans-Jost durch sein begreifendes Denken hindurch und über dieses hinaus zu schauen vermag, in dem wächst, wie es in Dantes 14. Gesang heisst, «die Glut, die sich daran entzündet, / Es wächst das Licht, das ausstrahlt von den Gluten.» Und dadurch erblickt er den Stern, dessen Linien alles mit allem verbinden. Enthalten also Dantes Verse «crescer l'ador che di quella s'accende, / crescer lo raggio che da esso vene» nicht die Essenz des einzigartigen beruflichen Wirkens von Hans-Jost Frey sowohl für ihn als auch für all diejenigen, die sich am Licht schulen konnten, das er ihnen so reichlich auf den Weg mitgab? Diesen Versen und weiteren, die mit jenen in Resonanz stehen, hat er ein Kapitel in seinem Buch Dante gewidmet, das den Titel «Licht im Licht» trägt. Hans-Jost Freys Wirken war ein solches Licht im Licht, und er bleibt für immer dieses Licht in all dem Licht, das er in seinen Schülern, Kolleginnen, Kollegen und allen, die ihm nahestanden, entfacht hat. Ich danke ihm hier für alles, was ich bekommen habe, aus ganzem Herzen. Was ich entgegennehmen durfte, war für mich mehr als nur anregend, es war wegweisend.





Urs Engeler
Trauerrede füür Hans-Jost Frey

Liebe Eleonore
Lieber Patrick
Liebe Trauerfamilien
Liebe Freundinnen und Freunde von Hans-Jost Frey

Es ist ein trauriger Tag. Wir nehmen Abschied von Hans-Jost Frey. Jede und jeder von Ihnen wird liebe Erinnerungen an ihn haben. Diese Erinnerungen und die erfüllten Augenblicke, die sich mit ihnen verbinden, machen diesen Tag aber auch zu einem glücklichen und dankbaren. Wir leben im Licht dieser Erinnerungen und Hans-Jost lebt mit uns. Wir verdanken ihm vieles, was über diesen Tag hinaus währen wird.

Ich möchte mit Ihnen ein paar wenige lichte Augenblicke teilen, die ich mit Hans-Jost Frey erlebt habe. Kennengelernt habe ich ihn als Student am Seminar für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Die Stunden mit Professor Frey haben in der Regel mit Schweigen begonnen, und so bitte ich Sie um einen Augenblick der Stille und des Gedenkens.

Als Student liebte ich diese schweigenden Anfänge, die lange dauern konnten, bis jemand sich getraute, die Stille zu brechen. Die Stille gab Zeit, sie gab Ruhe und Konzentration, den Text, über den zu sprechen wir eigentlich gekommen waren und der vor uns auf dem Tisch lag, wieder und wieder zu lesen. Ich hatte auch Zeit, den verehrten Professor zu beobachten, wie er oft auch ganz unprofessoral auf seinem Stuhl kippelte, den Schlüsselbund in den Händen, den Kopf zwischen den Schultern, den Blick auf dem Blatt Papier vor sich. Darin, in dieser Haltung, in diesen Momenten gespannter Aufmerksamkeit auf den Text, lag für mich eines der wesentlichen Dinge, die ich von Hans-Jost Frey gelernt habe, und auf die ersten Worte der Lektüre zu hören, die das Schweigen gebrochen hatten, und sie zu befragen und zu verbinden mit den Worten des Textes, die wir still gelesen hatten. Das erlebte ich als Hans-Jost Freys Kunst: hören zu können, genau hören zu können, genau und aufmerksam zu lesen und zu hören, auf die Worte des Textes und auf die seiner Studenten, und sie beide aufeinander zu beziehen und mit- und durcheinander zu entwickeln und verstehen: die Kunst eines Gesprächs, das leicht und bestimmt und zufällig wie ein Spaziergang ist, Schritt für Schritt, mit stehenbleiben, sich umdrehen, weitergehen, wieder stehen. Stehen und gehen, lesen und reden, lesen und schreiben, leben und schweigen. Und die dritte Lehre, schliesslich, war zu sehen und verstehen, wie Texte das, was sie sagen, tun, und wie sie das, was sie tun, sind. Das klingt verwickelt, doch stand dieser Augenblick das Da-Seins und des So-Seins am Ende einer stillen Lektüre und im Gange eines verwickelten Gesprächs immer ganz einfach und klar da - bevor die neu entstandene Stille wieder gebrochen und das Gespräch neu aufgenommen wurde. Diese Augenblicke der Einfachheit und Klarheit bedeuteten für mich ankommen: der Text war bei sich und wir bei ihm angekommen, und Hans-Jost Frey hatte uns auf seine ebenso bestimmte wie freie Weise dahin mitgenommen.

Später habe ich als Verleger mit dem Autor Hans-Jost Frey arbeiten dürfen. Was für ein Geschenk. Ich habe seine Bücher immer als das Zentrum meines Verlagsprogramms verstanden, und er wiederum hat meine Unternehmungen mit grosser Zuneigung begleitet. Unser erstes gemeinsames Buch, «Lesen und Schreiben», ist aus seiner letzten Vorlesung an der Universität hervorgegangen. Es ist, wie alle seine Bücher, voller kurzer, wunderbar auf den Punkt zugespitzter Sätze. «Lesen geschieht in der abenteuerlichen Offenheit des Nichtverstehens. Lesen ist nicht Deuten. Lesen ist eine Verständnisaskese und versucht, das Gesagte des Geschriebenen auf alle seine Möglichkeiten hin offen zu halten.» Zu lesen, was Hans-Jost Frey geschrieben hat, ist tatsächlich ein immer offenes Abenteuer von unabsehbarer Konsequenz. In seinen Texten beschreibt er, was es bedeutet, etwas in einer ganz bestimmten Weise zu sein und zu tun. Dabei dachte er immer von den grundlegenden Dingen aus und begann mit den einfachsten und grundsätzlichsten Verhältnissen, um dann Schritt für Schritt ihre Konsequenzen zu entwickeln. Ich kenne nichts, was auf so diskrete Weise von so großer Radikalität ist. Das hat, natürlich, nicht allen gefallen. Davon hat sich Hans-Jost Frey aber nicht beirren lassen. Was er zu sagen hatte, hätte er auch geschrieben, wenn niemand es gelesen hätte. Und tatsächlich hat er aus eigenem Antrieb wenig veröffentlicht. Ein paar seiner Bücher habe ich, wie er es nannte, «aus dem Papierkorb» geholt. Ich bin mir sicher, die Bücher von Hans-Jost Frey werden auch in Zukunft die richtigen Leserinnen und Leser, denen sie wichtig sind, finden.

Die intensivste und vielleicht schönste Zeit mit Hans-Jost habe ich in den letzten Jahren und in den vergangenen Wochen verbracht. In den Gesprächen ging es kaum mehr um Literatur. Oft sassen wir einfach da, ohne Text und in Gedanken, und schwiegen miteinander, oder ich erzählte ihm von unseren Haustieren, von den Katzen und ganz besonders von den Hunden. Hans-Jost liebte diese kleinen alltäglichen Geschichten, und sein stilles, glückliches Lächeln beim letzten Besuch mit dem Hund, als Florimond ihn ganz leicht mit der Nase an der Hand berührte, werde ich nie vergessen. Ich werde Dich nie vergessen. Ich danke Dir, lieber Hans-Jost, für Deine Freundschaft. Und ich danke Ihnen, dass Sie uns heute begleiten.





Eleonore Frey
zum beispiel

der verlust reisst ein loch in die luft. erstickt die stimme.
löscht die zukunft. tilgt was ist: so räumt er auf, bis nichts
mehr im raum steht als er selbst. so steht er auf dem neuen
jüdischen friedhof in prag. steht er da als ein grabmal im
schnee und heisst zum beispiel franz kafka. so liegt er unter
dem weiss geäderten, schwarz beschrifteten stein.

so steht er da, der verlust. ein name auf einem stein. so bleibt
er stehen, schwarz auf weiss, bis das erinnern sich durchsetzt
gegen seine allmacht: verstohlen schleicht es sich ein in die
gräser, die die ränder der gräber mit dem grünen sommer
verknüpfen. färbt es, mutiger jetzt, die sonne am horizont rot.
beharrlich, stetig tastet es sich voran. sucht im echo der gebete,
der klagen nach einer stimme. findet eine gestalt im körper
eines hungerkünstlers oder eines kübelreiters. schweift dahin,
dorthin, bis es - weg-von-hier - entschlossen zu wort kommt
und wort für wort sich eine zukunft baut aus dem, was nie war.





Arthur Rimbaud
L'Eternité

Elle est retrouvée.
Quoi ? - L'Éternité.
C'est la mer allée
Avec le soleil.

Âme sentinelle,
Murmurons l'aveu
De la nuit si nulle
Et du jour en feu.

Des humains suffrages,
Des communs élans
Là tu te dégages
Et voles selon.

Puisque de vous seules,
Braises de satin,
Le Devoir s'exhale
Sans qu'on dise : enfin.

Là pas d'espérance,
Nul orietur.
Science avec patience,
Le supplice est sûr.

Elle est retrouvée.
Quoi ? - L'Éternité.
C'est la mer allée
Avec le soleil.





Dante Aligiheri
Paradiso, XXX, 100-123

Lume è là s ù che visibile face
lo creatore a quella creatura
che solo in lui vedere ha la sua pace.

E' si distende in circular figura,
in tanto che la sua circunferenza
sarebbe al sol troppo larga cintura.

Fassi di raggio tutta sua parvenza
reflesso al sommo del mobile primo,
che prende quindi vivere e potenza.

E come clivo in acqua di suo imo
si specchia, quasi per vedersi addorno,
quando è nel verde e ne' fioretti opimo,

sì, soprastando al lume intorno intorno,
vidi specchiarsi in pi ù di mille soglie
quanto di noi là s ù fatto ha ritorno.

E se l'infimo grado in sé raccoglie
sì grande lume, quanta è la larghezza
di questa rosa ne l'estreme foglie!

La vista mia ne l'ampio e ne l'altezza
non si smarriva, ma tutto prendeva
il quanto e 'l quale di quella allegrezza.

Presso e lontano, lì, né pon né leva:
ché dove Dio sanza mezzo governa,
la legge natural nulla rileva.