Peter Waterhouse

Straum




Ach, hätte ich in der englischen, in der Sprache des Landes geschrieben, das in diesen Jahren zwei Kriege geführt hat.
Ich habe gelebt in der Stadt der Salzfäßchen. Wie oft sind wir gesessen neben der Hauptallee, vor der frei und wertlos zusammengesteckten malaysischen Hütte? Darüber der Mond. Die westlich in die blauen Wälder sinkende Sonne spiegelte unbeweglich apfelgroß im Glas der Straßenlampe, fast Reisverkauf auf dem rosa gemalten Holz der Ausschank; die violett gepackten Schokoladen, die roten Dosen mit Getränk. Die Wimpel der Eismarke wippten so leicht im Wind; man hätte mit einer Hand das gelbe und rußige Wellendach in die Höhe heben können; der werbende Schriftzug, deutsch, war Fremdsprache mit dem Zaun und dem Windschutzblech und den da eng aufgestellten Tischen und Sesseln. Und es kamen, mit Wünschen, Gäste mit dunkelblau gemalten und gesenkten Auglidern und glitzernden Strümpfen und uns unbekannten Wörtern, eine so erhöhte Aufmerksamkeit für Kiesel, Rost, Frühling, Licht, Kinder, Wiese war hier und hat nichts angepriesen. Die Händler und Diebe wurden beschützt. Da saß auch einer mit einem Zauberstab.
Vom Westen kommend habe ich vom Osten herein den Weg in die Stadt gefunden. Unter teuflischer Aufsicht? Unter Aufsicht der violetten Tauben und Flugzeuge? Unter Aufsicht der Autobahnen und Fahrer? Unter Aufsicht der Blumen? War nicht überall rote Erde und ich hörte, teils geflüstert, teils im Echo, teils hinter den nächsten Sträuchern, teils als Täuschung, die Wiesensprache? Sprache der Tieflinge? Auf was hörte ich da?
Wir saßen, es wurde Abend. Licht in der Hütte, die Tafeln Schokolade leuchteten nicht länger, auch drüben die Bäume nicht. Die Kommenden hatten jetzt die Mäntel zugeknöpft, die Fortgehenden knöpften ihre Mäntel zu. Knöpfe. Kämpfe.
Immer stärker der Reisgeruch, immer noch duftendere Körner. Leicht also ruckte die Hütte, schlief ein. Keiner von uns beiden hatte Recht, vielleicht wurden wir ein bißchen zu groß und zu alt. Jedenfalls waren wir aufrichtig genug, hinzuhören, versus Ost, und wir nannten was wir hörten die irakische Musik. Wie Nachrichtensprecher saßen wir nebeneinander und hörten.
Vielleicht geschah in diesem vergangenen Jahrzehnt der Dichtung ein Wiederaufmerksamwerden auf die Inseln und das Insellicht, auf die Zischlaute und pazifischen Laute und auf das durchscheinende Wörterbuch, auf das unansehnliche Wort und auf die kleine Gaunerei. So war es vielleicht ein Jahrzehnt des Vertrauens der Dichtung, nach welchem anderen Jahrzehnt? «Die Dichtung hat sich ein bißchen zu ihren Gunsten verrechnet.» Vielleicht eine Sabah-Dichtung des Hügellands mit tief eingeschnittenen Flußtälern, unerschlossenen Wäldern, Schwemmland-Ebenen, Sibu und Miri. «Zu ihren Gunsten verrechnet, zu ihrer Reismenge, zu ihrer Lichtgestalt.» Natürlich, die Türsteher! Das Feuilleton! Ich war beschützt in der Stadt der Salzfäßchen. Manchmal sagte einer: Da bekomme ich Angst vor Österreich.
Die Prater Hauptallee im Frühjahr war unser Pandämonium. Jeder dort Gehende, das ist gewiß, jeder dort Gehende kämpft dunkel mit sich. In den Gesprächen wird da viel Zeit gelassen, daß jeder dunkel mit sich kämpfen kann. Wo in Europa noch würde man solche Kleidung finden? In Manila fliegende Händler, so in Wien fliegende Wiener auf der Prater Hauptallee. Vielleicht Trägerdienste in Manila, Schuhputzen, Autobewachen, Wegzeigen, aber auf der Hauptallee in Wien der meerblaue Pullover mit dem darunterschimmernden kirschroten Hemd, der viel zu kleine Hut über einem Rechthabergesicht, die violetten Strümpfe unter der Kutte einer dunkel mit sich Kämpfenden, in Manila Dienstangebote, in Wien unlösbare Rätsel eines Sonntagnachmittags. Im fernen Osten der Allee leuchtet das weiße Lusthaus, Ende der Meinungen und des Lippenlesens. Hier ist nichts exzentrisch. Eine philippische Stimmung; Pferde sind nahe. Usu vulgata, in den allgemeinen Gebrauch gekommen, ad pradnium invitare volgo, nicht Volk sondern vulgär, objektiv - was ist das Vulgäre? - das Universum.
Vielleicht das Vulgäre der Dichtung. Wer von der verschwundenen Leserschaft spricht oder klagt, der spricht nur wieder völkisch. Aber dichterisch, objektiv, vulgär, habe ich das nicht in Gedichten der letzten Jahre gelesen? Hinzeigen darauf? Nein, verwisch deine Spuren, verwische deine furchtbaren Spuren.


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