Kurt Aebli

Einleitung (Gerücht)





Überzeugungen jeglicher Art sind für Wellenberg nichts anderes als Unreinheiten des Denkens. Es geht in seinen Augen aber darum, die Gedanken vom Unrat, zu dem sich die intellektuelle Bequemlichkeit nicht selten mit einigem moralischem Dünkel bekennt, zu befreien. Natürlich bleibt auch ihm nicht verborgen, dass Überzeugungen in mancher Hinsicht nützlich sein können, als Mittel gegen die Einsamkeit, als Transportvehikel in gesellschaftlichen Belangen, doch ihm geht es nun einmal nicht in erster Linie um Nützlichkeit. Er ist kein besonders praktisch veranlagter Mensch. Wenn er in der Gesellschaft das Minimum an Ansehen erreicht hat, das zum Überleben notwendig ist, dann einzig dank seiner Unbeugsamkeit, mit der er allem Praktischen und Nützlichen aus dem Weg geht. Für viele grenzt ein solches Gebaren ein wenig an Starrköpfigkeit. Aber auf diese Mittelmäßigen kommt es ihm eben nicht an. Hätte er jener bezüglich seiner Lebenseinstellung vorherrschenden Meinung Beachtung geschenkt, wäre er auf seinem Weg ja schon bei den ersten Schritten gebremst worden.


Überall bilden sich in der Gesellschaft Gruppierungen, Parteien, von denen er sich fernhält, aus denen er sich selbst ausschließt. Er vertritt nichts, nicht einmal sich selbst. Das nackte Nichts.


Vom Glauben an gesellschaftliche Utopien, welche die Stelle der früheren religiösen Dogmen eingenommen zu haben scheinen, hat ihn die Geschichte geheilt, die sogenannte Weltgeschichte ohnehin, und die bescheidene Geschichte seines ganz persönlichen Lebens nicht weniger.


Eigentlich sollte ich mich scheuen vor grundsätzlichen Äußerungen, notiert er einmal, eine Einsicht, die bei ihm zu der vielleicht übertrieben anmutenden Vorsicht führt, sich überhaupt zu äußern. Ob er sich nun äußert oder nicht, was für eine Rolle spielt das im Grundsatz? Von grundsätzlichen Fragen loszukommen, stellt für ihn eine erhebliche Schwierigkeit dar. Trotz aller Bedenken hat er sich anscheinend dafür entschieden, sich zu äußern. Vermutlich fatale Entscheidung, zustandegekommen auf der Grundlage der stets als gegeben angenommenen Möglichkeit, Äußerungen, die gemacht worden sind, wieder zurückzunehmen. Sein Spezialgebiet. Hier maßt er sich ohne Umschweife an, eine Art Experte zu sein.


Jedenfalls scheint er sich darin zu gefallen, ein Gerücht zu bleiben, etwas vom Hörensagen Unbekanntes, schattenhaft, ungreifbar, unwirklich. Eine Unwirklichkeit, wie sich zeigen wird, von beträchtlicher Hartnäckigkeit.


Sympathie, unbehindert, unwillkürlich. Wie handle ich sie aus hier?


Unwillkürlich, wie im Frühjahr die Blüten austreiben. Also anfänglich. Wie man sagt. Sagt man so, markiert man den Zug eines Kreislaufs mit einer Kerbe. Fängt etwas an? Wie blicke ich die Szene hinein, die Begehren und Eifersucht heißt? Hätte ich die Dramatik aufbringen müssen? Habe ich sie heimlich aufgebracht, vielmehr: schon im Ansatz verdrängt? Habe ich ein Verbot verdrängt?

Aus: Der ins Herz getroffene Punkt


Für Quereinsteiger: Zur Hauptseite von Urs Engeler Editor