Pressestimmen zu Oskar Pastior





Gedichte unter die Leute bringen, unter eine feste Leserschaft, das hat Pastior immer gut gekonnt, er ist ein alter Rundfunkhase, aus Bukarester Zeiten noch, und er kann seiner Wirkung, der Wortwirkkraft, sicher sein. Und wenn heutzutage, das ist ja öffentlich deutlich geworden seit den 90ern, erneut, und nach langer Durststrecke, welche die Dichterlesung durchgemacht hat, erneut versucht wird, der Stimme des Textes die Stimme durch öffentliche Lektüre wiederzugeben beziehungsweise zu erweitern, dann kann von Pastior gesagt werden, er sei an qualitativer Stimmenarbeit von Anfang an interessiert und durchführend beteiligt gewesen. (Thomas Kling, literaturen)


Oskar Pastior, ein wirklicher Avantgardist: Sein Auftritt mit genialen Anagrammen auf Gedichttitel und -zeilen von Charles Baudelaire zeigte auf faszinierende Weise, wie man zwischen Sinn, Fast-Sinn und Nicht-Sinn balancieren kann. Pastior dekonstruiert Sprache bis auf die Buchstaben- und Lautebene, und was er aus den Trümmern wieder aufbaut, ähnelt manchmal entfernt unserem Idiom, manchmal aber auch einem neuen, nie gehörten, das man aber dennoch zu verstehen meint – beinahe jedenfalls. (Martin Ebel, Tages-Anzeiger)


Jetzt ist er schon fünfundsiebzig geworden, und wenn es mit rechten Dingen zuginge, müsste er der bekannteste Dichter sein. Ist er aber nicht. Pastior ist zu radikal, er sprengt mit seinen gesunden Dichtersinnen die Sprache, bis sie wieder zusammenpasst. Vor sehr vielen Jahren hat er Baudelaires Les fleurs du mal gelesen, jetzt variiert er auf gut oulipotisch Namen, Titel und das Gedicht Harmonie du soir. Erstaunt sieht man, was alles in dieser Dichtung steckt: Viele Sprachen, viel Substanz, viel Musik, viel Tradition. Von Rabelais bis «lemurfassduell», von «hei duo rosmarin» bis «attische rehkeule» übersetzt Pastior die französischen Wörter präzise, dass es sie schaudert, und schüttelt und rührt sie, sie werden «gefeilscht, gefleischt, nein geschleift», bis sie wieder ihre polyglotte Sinne und ihre neue «harmonie du soir» wiedergewonnen haben. Ist das experimentell? Sprachlicher Untergrundkampf? Nein, es ist nur genau. Dass es dann auch noch witzig ist: um so schöner. (Georg Patzer, lesen-leute)


Chlebnikov hatte die Vision einer allgemeinen, sich selbst organisierenden Weltsprache. Hier hat sie sich fortgeschrieben, ist verschmolzen, in eins gegangen in eine Mein-Sprache im Titel ÐMein Chlebnikovð. Insofern ist diese neue Ausgabe ein gewisses Glück, schon wegen der angefügten CD, die das Lesen oder auch Mitlesen, das Nichtverstehen erleichtert. Pastior belohnt es mit seiner osteuropäisch gewärmten, schlichten Stimme eines Märchenerzählers.
Die Gedichte vertragen zwar die oberflächliche Lektüre, danken es aber mehr, wenn man sich auf sie einlässt. Wie gesagt, die Worte blühen auf zu ungeahnten Möglichkeiten. Es fehlen die Worte. (Brigitte Espenlaub, Goetheanum)


Da es sich nicht um eine schnöde Textverrechnung handelt, bedurfte Pastiors Verdolmetschung eines Chlebnikov in allen Aspekten wortkünstlerischen Denkens gleichgesinnten und gleichwertigen Sprach- und Formbewußtseins. Der Titel dieses auch für das ästhetische Sprachdenken Oskar Pastiors so zentralen Bandes ist hierbei Programm. Und gleichzeitig passiert hier mehr als Nachdichtung. So ist etwas Drittes aus Chlebnikov und Pastior entstanden: «Mein Chlebnikov».
Was auf dem Papier zuweilen wie eine Kettenreaktion selbstentfachter Laut- und Wortgebung aussehen mag, ist bei diesem Geschwisterpaar der Poesie die Pyramidenspitze kalkulierter Kombinatorik auf Laut-, Silben-, Wort- und Satzebene – wobei immer ein Rest bleibt, die sich selbst schreibende, die selbstlautende Sprache: Poesie, sinnstiftende Spürbarkeit. […]
Wie kaum ein anderes Projekt dürfte «Mein Chlebnikov» Oskar Pastior die Aktivierung aller multilingualen Vorratskammern und Inventare abverlangt haben. So also ist dieser Chlebnikov eine Erfindung Oskar Pastiors – den Velimir Chlebnikov erfunden hat: Fessel und «Freiheitsrausch», wie Pastior im Nachwort schreibt, zugleich, Animation und Amalgam. Korrekturlesen? «Rätsel, Nebel, Manie – nein, am Leben läßt er!» seinen Chlebnikov, mit diesem sich buchstäblich spiegelblickend ganz einig. Jedem hörenden Leser seinen Pastiorchlebnikov! Diesem Chlebnikovpastior alle lesenden Hörer! (Michael Lentz, Frankfurter Allgemeine Zeitung)


Wo Steins fluktuierende Englischumdrehungen buchstäblich unübersetzbar bleiben, bedarf die Übertragung eines kongenialen Sprach(er)finders wie Oskar Pastior. Probat feinsinnig und -stimmig trägt Pastior Steins «Reread Another» (1921) als «Nochmal den Text ein anderer» vor und umfasst damit schalkhaft den Ursinn des Textes mitsamt der Übertragungspoetik. (Christiane Zintzen, Neue Zürcher Zeitung)


Oskar Pastior hat den Buchstabenkosmos auf so vielen Bahnen durchmessen, dass er über die Stellung der Gestirne am Wörterhimmel genau Bescheid weiss. Um die Fixsterne der Grammatiken kreisen die semantischen Felder der Texte in grossen Suchbewegungen und bilden immer neue Figurationen. Das Teleskop des Buchstaben-Astronomen ist ständig auf das Weltall der Worte gerichtet. (Stephan Krass, Neue Zürcher Zeitung)


Seit nunmehr dreissig Jahren brütet Oskar Pastior in seinem Sprachlaboratorium über neuen alchimistischen Verfahren zur Herstellung poetischer Aggregatzustände der Sprache. In unermüdlichem Experimentiereifer setzt er seine «kleine Kunstmaschine» in Bewegung: Hierzu benutzt er eine grosse Zahl von Wörterbüchern, sein autobiographisch gespeistes Archiv mit Versatzstücken der indoeuropäischen Sprachwelt – und wechselnde poetische Regelprogramme, mit denen seine Kunstmaschine gefüttert wird. (Michael Braun, Basler Zeitung)


Wie kommt Sprache überhaupt in Gang? – und was hält sie in Bewegung? Eine bewußt erfahrene Mehrsprachigkeit, das Augenmerk immer auf den anderen Ausdruck, den Ausdruck des anderen gerichtet, schärft Oskar Pastiors Bewußtsein für die eigenen Sprachmöglichkeiten, für den Klang und die Zwischentöne der eigenen Wörter, aber auch für die diversen Vernutzungen der Sprache. Der ideologisch belasteten, ästhetisch wie politisch kontrollierten Sprache setzt Oskar Pastior ein Sprachspiel entgegen, das nach allen Regeln der Kunst Subversion betreibt. Er redet nicht mittels Sprache über etwas, er redet nicht erklärend, botschaftend, abbildend, vermittelnd. Er vollzieht alles, was er zu sagen hat, direkt am und mit dem sprachlichen Material. […]
Oskar Pastior sieht und hört, nimmt wahr, wie Jalousien aufgehen, Jalousien zugehen, wie Augen und Füße sich bewegen. Besonders natürlich die Hand, die schreibt. Und überträgt diese Wahrnehmungen Schritt für Schritt auf die Sprache, auf den Klang, den Buchstaben, auf Worte und den Rhythmus, so als würden nun Buchstaben wandern, Klänge fließen oder Worte sich drehen und wenden. Es sind Emotionen, Gemütsbewegungen ja auch, die sich hier zusammenlesen.
Schreiben ist beschwören, wie er selber sagt: «Heraufbeschwören, zitieren, vorführen, beim Wort nehmen, es am Beispiel packen, es übersetzen, übertragen, verteidigen und hochhalten. Die Willkür, mit der es für diverseste Interessen benützt wird – auch von mir – erkennbar machen, exorzieren.» Nehmen, vorführen, zitieren, übertragen und hochhalten, aber auch verteidigen und exorzieren sind Verben, Tuwörter, mit denen Oskar Pastior sein Beschwören benennt, und sein poetisches Verfahren in Schwung hält. […]
Was Pastior mit dem sprachlichen Material treibt, sein unablässiges Sich-in-den-Text-verlieren, wie er den Sprachleib befühlt und reizt, sind erotische Zuneigungen zur Sprache. […]
Der Text bannt durch seine Sinnlichkeit. Klangkörper, die Emotionen erregen, Kopfsprünge ins abenteuerliche Labyrinth des eigenen Denkens. Der Leser verliert immer wieder den Sinnboden unter seinen Verstandesfüßen. Das, womit wir am unbedenklichsten umgehen, das alltägliche Sprechen, reisst auf zu Abgründen. Pastiors Texte lassen ihrem abstürzenden Leser aber sogleich Flügel wachsen. Die Erotik der Wörter ist ihre Sogkraft, die Spannung ihrer Bedeutungsfacetten; ihre Sinnlichkeit entlädt sich mitten in der Tabuzone des begrifflichen, abstrakten Denkens. Geisteslust und Fleischeslust sind eins geworden. Oskar Pastior lädt ein zum Sprachbankett. (Christina Weiss)


Wer die Gelegenheit hat, Oskar Pastior als Rezitator seiner Gedichte zu hören, wird eine eigenartige Erfahrung machen: Geöffneten Ohren beginnen die Texte zu singen und sofort verstehbar zu werden, auch wenn die Worte sich gegen den Begriff stemmen und den Versen jeder alltagssprachliche Sinn fernzuliegen scheint. Pastiors rhapsodischer Vortrag, dessen virtuose Leichtigkeit auf akribische Vorbereitung schliessen lässt, verrät die kalkulierte Ökonomie der Texte, wobei sich in den Wortmelodien und dem Rhythmus die unaufdringliche Präsenz kompositorischer Regeln hörbar mitteilt. Das Suggestive, ja Soghafte dieser Textpartituren setzt sich in der Lektüre der Gedichte fort. Und erst allmählich entdeckt man deren kryptische Vielfalt, das Spiel mit dem Potentiellen und den Potenzen der Sprache, ihren unausgeschöpften Reserven, aber auch ihren verlorengegangenen Selbstverständlichkeiten. (Jörg Fischer, Basler Zeitung)


Pastior ist Magier und ein verspielter Komödiant, Prestidigitateur und ein im Nebel- Stochastiker. Das heißt: er läßt nicht das Erlebnis, sondern den ZUFALL, den es für einen gläubigen Atomisten und Kabbalisten seines Schlages eigentlich nicht gibt, sprechen, um ihm dann mit allerlei Reglements, Selbstfesselungskünsten und spitzfindigem Spiel ins Wort bzw. in den Rücken zu fallen. Dem reinen Automatismus der Surrealisten (falls es so etwas überhaupt gibt) zieht Pastior den Somnambulismus der Regeln vor. (Gabriele Killert/Richard Schroetter, Deutschlandfunk)


Als «Oulipote» macht er sich die Spielregel zu eigen, um in seiner Sprache selber zu spielen. Die Auseinandersetzung mit den Verfahren Chlebnikovs ist allerdings ernsthaft, so ernsthaft, dass Chlebnikov in Pastiors Poetik-Vorlesungen regelmäßig den Ehrenplatz erhält. Als ehemaliger Zwangsarbeiter in der Sowjetunion ist der deutschsprachige Siebenbürger ja im Russischen unfreiwilligerweise bewandert – anders als im Italienischen, mit dem er aus Petrarca pastiarke Bastarde fabrizierte. Das macht aus Seinem Chlebnikov Unseren Chlebnikov – einen Besessenen, der, wäre seine Sprache deutsch gewesen, geschrieben hätte wie Pastior ihn schreibt. (Ute Eisinger, literaturkritik.de)


Mein Chlebnikov hat Pastior seine Nachdichtungen genannt und «sein» ist der russische Dichter in mehr als einem Sinne: Chlebnikov, der Futurist und Sprachmagier, gehört zweifellos zu Pastiors poetischen Ahnen. Nachdichtend hat sich Pastior den großen Russen zu eigen gemacht, denn übersetzen im traditionellen Verständnis lässt er sich nicht: Chlebnikovs futuristische Dichtung lotete den Reichtum der russischen Sprache in nie dagewesene Tiefen aus, sie ist Sprachschöpfertum und Spracherforschung zugleich. Magie und Wissenschaft schießen in ihr zusammen; sie war es, die Linguistik und Literaturwissenschaft epochale Impulse verlieh – man denke nur an die Formale Schule, die ihre ersten Instrumente an ihr schliff, oder an den Strukturalisten Roman Jakobson, für den Chlebnikov schlicht der «größte Dichter des Jahrhunderts» war. (Brigitte van Kann, Deutschlandfunk)


Der Band «Mein Chlebnikow», trägt zu Recht das besitzanzeigende Fürwort im Titel. Pastiors Variationen sind Nachdichtungen, in denen sich die eigene poetische Kraft ausdrückt. Im Extremfall wächst die Aneinanderreihung von wenigen ausgesuchten Worten bei Chlebnikow zu einem seitenlangen Furioso an, in dem Pastior «eine alchemistische, mikrosynthetische, sozusagen Ðhüpfendeð Strategie des somnambulen Findens relationaler und vektorialer ÐOffertenð im Deutschen» realisiert. Nun, beim lauten Lesen klingt das lustvoll anspielungsreich, es entwickelt sich schnell ein eigentlicher Leserausch. (Beat Mazenauer, Der kleine Bund)


Mit dem neuen, bibliophil gestalteten Gedichtband im Verlag Urs Engeler Editor wird Pastiors Chlebnikov endlich wiederentdeckt.
Nun schenkt Oskar Pastiors Vortrag seinem Chlebnikov eine sanfte Stimme, die Stimme eines Erzählers, die behutsam ins Ohr passt. Sein Akzent, sein Ausdruck, dieser Klang, das alles ist märchenhaft. (Oliver Ruf, die tageszeitung und literaturkritik.de)


Eine lesens- und hörenswerte Textbegegnung, die zu einem anderen (Sprach-)/(Nach-)Denken anzuregen vermag. (Edith Konradt, Siebenbürgische Zeitung)


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