Pressestimmen zu Marianne Moore





Sie vertraut die Statik des Gedichts dem gewichtlosesten und semantisch schwächsten Element der Zeile an: der Silbe. So sorgt sie für die permanente Verspätung des Sinnbildungsvorgangs. Der Eigenenergie der Wörter wird Raum gelassen. Die Gedichtsprache vor allem der frühen und mittleren Arbeiten ersetzt die metrische Formung der Wörter durch eine syllabische Ordnung des Verses. Der Geschlossenheit von Sinnbauten, der unvermeidlichen Reduktion komplexer Wirklichkeit im logischen Muster und grammatischen System, der Wahrheit von Tatsachen setzt sie ein offenes Netzwerk entgegen, das die Argumentation an einen Lesevorgang bindet. Er gilt dem ausgelegten sinnlichen Material, das ähnlich wie im Gleichnis das Verstehen in Anschauung verwandelt, ohne freilich jenem untergeordnet zu werden. So wird die begriffliche Feststellung, die das Gerüst ihrer Gedichte ist, um feinste Differenzierung ergänzt.
[...] Ein Glücksfall der Vermittlung und Übertragung fremdsprachiger Poesie, den Eindruck vermittelt die zweisprachige Auswahl auf den ersten Blick. (Sibylle Cramer, Süddeutsche Zeitung)


Im Gedicht Marianne Moores begegnet der Leser einer Kunstsprache, die eine hochverdichtete Alltagssprache ist. Der Demokratisierung des Ausdrucksmittels entspricht die Annäherung von lyrischem und empirischem Ich, das sein Material nicht mehr unabhängig von der Wirklichkeit organisiert. Imagination und äussere Wirklichkeit bedingen einander. Die streng syllabische Vers-zählung bei stufenförmig eingezogenem Zeilenanfang, feinste Echowirkungen des Reims im Innern und am Ende des Verses, eine Vorliebe für Gänsefüsschen, mit denen sie ihre Form der Vielstimmig-keit durchsetzt, die strophische Bindung des Gedichts und eine sprunghafte Beweglichkeit und mutwillige Lebendigkeit des Intellekts, der vorführt, wie glanzvoll und schön (und zusammen mit den Sinnen) der Verstand zaubern kann, wenn er so rein daherspaziert – all das sind Kennzeichen ihres Gedichts.
Mit Vorliebe spricht es von einfachen Dingen, besonders gern von Tieren, Blumen (wahren Blumen-beeten) und Sportlern, aber auch ohne jede Sympathie von Literaturkritikern und ohne Über-schwang, aber in grossartig schlichter Klarsicht von der Poesie oder vom Geist, dem Geist der Poesie. Mal ist er «eine störrische sache», mal eine «verzaubernde». «Der Geist ist eine verzaubernde Sache» überschreibt sie eines ihrer verblüffend einfachen und verstörend hermetischen, bis an die Grenze des Möglichen mit Sinn aufgeladenen Verswerke, dessen begriffliche Bestimmungen («gewissen-hafte inkonsequenz») mehr imponieren als seine Metaphorik. «Imaginäre Gärten mit wirklichen Kröten», beantwortet Marianne Moore die selbst gestellte Frage nach ihrer Poesie bündig – und an den Leser gewandt: « … wenn du in der zwischenzeit einerseits / das rohmaterial der dichtung in / all seiner rohheit und das, / was andererseits ursprünglich ist / verlangst, bist du an dichtung interessiert.» (Sibylle Cramer, Basler Zeitung)


Als Marianne Moore 1972 starb, hinterließ sie ein schillerndes lyrisches Œuvre, aus dem Jürgen Brôcan jetzt eine Auswahl herausgegeben hat. Die 25 Gedichte lassen in ihrer von Reflexionen durchsetzten Bildwelt jene Themen aufscheinen, die Moores Schreiben stets bestimmt haben: das Verhältnis von Wahrheit und Schönheit, von Anschauung und Verstand, von Poesie, Wissenschaft und Moral. Brôcan gelingt es in seinen Übersetzungen, die Leichtigkeit der mooreschen Verse nachzubilden, auch jenes gefährdete Gleichgewicht zwischen Kunst und Natur, von dem das Titelgedicht spricht: 'kein wasser so still wie die / toten fontänen von Versailles.' kein schwan, / mit dunklem blinden blick seitwärts / und gondelnden beinen, so schön / wie jener aus Meißner porzellan mit reh- / braunen augen und gezähntem gold- / kragen zum zeichen, wessen vogel er war. (Stuttgarter Zeitung)



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