Pressestimmen zu Ghérasim Luca





Lucas kompromisslose, dabei höchst ergiebige Spracharbeit ist weit mehr als blosse Spielerei, es ist eine besondere Art von Wortphysik – «hermetisch offen» –, die sich mit unterschiedlichsten Mitteln und Methoden ihre eigene Metaphysik schafft. (Felix Philipp Ingold, Neue Zürcher Zeitung)


Die Mixtur, die das Spiel mit der Sprache, die Freude an der Form, mit einem so schonungslos wie realistischen Blick auf die Wirklichkeit verknüpft, macht dieses Buch zu einem ungemein ergiebigen Lektüreerlebnis. (Thomas Combrink, titel-forum.de)


Als «Wortarbeiter» ist Ghérasim Luca durchaus zutreffend charakterisiert, denn dem einzelnen, dem kontextfrei gesetzten Wort und dessen vielfältigen – semantischen wie klanglichen – Schattierungen gilt sein vorrangiges Interesse. Als Sprachverrückter ist er zugleich ein Sprachverächter, der jeder sprachlichen «Kommunikation» und vollends jeder sprachlich durchgesetzten «Wahrheit» zutiefst mißtraut. So meidet er denn auch konsequent sowohl diskursives wie metaphorisches Reden, das lediglich eine jeweils vorbestimmte Bedeutung zu transportieren hätte. Lucas poetischer Impulsgeber und zugleich sein Arbeitsmaterial ist das Wort als solches, das Wort in seiner puren, zumeist ambivalenten Laut- oder Schriftgestalt, und ebendiese sinnlich faßbaren Sprachqualitäten nimmt er zum Anlaß vielfältiger Ableitungen, Variationen und Permutationen, die ihrerseits – gleichsam autopoetisch – einen unvorhersehbaren, ja unerhörten Eigensinn gewinnen können. (FAZ)


Lucas Poesie ergibt sich nicht dem Nonsens in seiner landläufigen Bedeutung als bloßer Albernheit, sondern nutzt das Potential des Unsinnigen und Widerständigen in der Überzeugung, dass «man dem Absurden nur/ durch das Absurde entrinnt». So ausgelassen und komisch seine Poesie zuweilen ist, so deutlich ist stets der philosophische Ernst, der ihr zugrunde liegt, und so bestimmt er gegen «eure rattenration wehleidigkeit» zu Felde zieht, so bestimmend ist andererseits sein nüchterner Blick auf «das Sein des Scheiterns und das Scheitern des Seins/ doppelte Leiter/ die nur dazu dient einen Sarg/ auf einen Sockel zu hieven». Der existentiellen Sinnlosigkeit setzt Luca daher die Sinnlichkeit des Körperlichen und der Sprache entgegen.
Ein Gedicht wie «Das Körperecho» ist ein Fest fürs Ohr und eine nahezu unwiderstehliche Liebeserklärung an beide: «zwischen dem hof deiner hüften und dem haus deines hauchs/ zwischen dem hader deiner leiste und den leisten deiner adern/ zwischen den schenkeln deines streichelns und dem harzduft deines herzens/ zwischen dem gelingen deiner gelenke und der nummer des namenlos glatten/ nabels deines schattens».
Angesichts der Virtuosität, die Luca im Jonglieren mit den Partikeln der Sprache zur Schau stellt, scheint ein Übersetzer von vornherein auf verlorenem Posten zu stehen. Um ein wort- und sinngetreues Übertragen kann es kaum gehen, wohl aber um ein Teilhaben an der Lucaschen Sprachlust. Und tatsächlich schlagen die drei Übersetzer – Mirko Bonné, der für die eine, sowie Theresia Prammer und Michael Hammerschmid, die für die andere Hälfte der Auswahl einstehen – die erstaunlichsten Volten und machen vielfach aus der Unmöglichkeit ein Gelingen. Nicht der geringste Reiz der Lektüre besteht deshalb im Nachvollziehen der Schritte, die vom französischen Original zur deutschen Fassung führten – was schließlich im Vergleich zweier Übertragungen ein und desselben Zyklus’ gipfelt, die in der Buchmitte aufeinander treffen.
Der Leser ist immer wieder eingeladen, über den heiklen Punkt zu reflektieren, an dem eine entfesselte Semantik im Leerlauf zu enden droht. Es ist an ihm zu entscheiden, wie weit er Luca in den sprachlichen Freiraum zu folgen bereit ist: «In einer der entlegensten/ Gegenden meines Geistes/ wo ich mein Lager aufschlug, am Fuße des Buchstabens/ auf einer Höhe von Null Fuß/ segelt eine kleine Anzahl/ ganz ungewöhnlicher Ideen/ die nicht aufzugreifen einem Frevel/ gleichgekommen wäre/ im Fluge meiner Unaufmerksamkeiten». (Jan Wagner, Frankfurter Rundschau)



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