Oskar Pastior

Herauskommen, erscheinen





Erscheinen als Herauskommen.
Mein Debüt – ja welches? Nach Jahrzehnten hinterhergefragt, was es mir denn bedeute, heute. Bloß daß ein Debüt, das wirklich eines wäre, dem Involvierten nie mehr oder immer nur bevorsteht (sowie die Geburt, so wie der Tod).
Also wart ich wohl zur Zeit noch immer auf mein zweites, grundsätzlich nächstes Debüt; stecke demnach immer noch im ersten fest wie mittendrin.
Mit anderen Worten. Es gibt ja wirklich keine Wiederholung. Alles in der Zeit ist etwas anderes. Und anders anders auch. Veröffentlichung findet manchmal Wochen, manchmal Jahre nach der Textentstehung statt – Bezugssysteme aber ändern sich mitunter über Nacht. Wenn ein ZK z.B. irgendwo irgendwas beschließt (beschlossen hat, sechziger Jahre, Bukarest), das die Bedeutsamkeit und Hierarchie von Wörtern (Redeweisen, Gangarten, Definitionen) plötzlich anders festlegt, greift der Ukas primär sofort ins Publikationsgeschehen ein, sekundär sogar in spätere Textentstehungsaggregatzustände davon betroffener Autoren – und sei es auch nur, daß sich ihnen das Nackenhaar sträubt. Je ismenreicher (niederträchtiger) das Klima im Land, umso prekärer der Begleitumstand, daß Texte, sobald sie publiziert worden sind, den Makel einer obrigkeitlichen Sanktionierung weghaben. Was Wunder, wenn dann angesichts des grundsätzlich ewigwährenden Debützustandes auch das Karussell der Erwartungen & Befürchtungen sich schneller drehte; diese besondere Mischung; deren Kitzel:
Mach aus der Identität dir keinen Götzen.
Als ich da wegging (Frühjahr 1968), war wieder ein Debütband Gedichte unterwegs, mein dritter. Längst ausgewählt, austariert, eingereicht, geprüft und akzeptiert, gesetzt und wohl auch schon im Druck, Redaktion für deutschsprachige Literatur im Bukarester Staatsverlag ESPLA. «namenaufgeben» sollte er heißen, im doppelten Sinne einer Hausaufgabe, lösungs- und/oder ablösungsmäßig. Der Titel, kleingeschrieben über einem Bruchstrich, sollte unter dem Bruchstrich optisch verkehrt gespiegelt einfach symmetrisch erscheinen. Insgesamt rund 160 Manuskriptseiten stark, sollte der Band alles seit dem vorigen von 1965 («Gedichte», Jugendverlag Bukarest) Entstandene in 7 Kapitel gegliedert enthalten:

Etwa im Windsprengel
Oh, wie beruhigt Timur schläft
Ich könnte dich entführen
Und wird man mich fragen
Und immer noch dies seltsame Licht
Breite des Lebens
Prager Etüden

Dies Debüt hat in der Tat dann gar nicht stattgefunden. Vom dreiwöchigen Studienaufenthalt in Wien war ich statt zurück nach Bukarest weiter in die Bundesrepublik D gefahren – und hatte von da dann nach weiteren drei Wochen Schnuppertour ebenfalls und ganz unspektakulär die Rückreise in die vaterländischen Gefilde einfach nicht mehr angetreten. Es war ein minimalistisches Handeln durch freiwilliges Nichthandeln – quasi im Vorgriff auf spätere lipogrammatische Verfahrensstrategien. Aber natürlich ein großer Schritt für meine Menschheit.
Wie ich später erfuhr, ist nach meinem so vollzogenen Übertritt in den Westen einiges in Bukarest passiert und anderes auch eben nicht. Meine Frau hat sich scheiden lassen; ich wurde wegen Republikflucht zu 2 Jahren Gefängnis verdonnert; der Kondukator C. mußte seine für den Frühsommer anberaumten ambulanten Eisenbahngespräche mit auserwählten Künstlern und Intellektuellen ohne mich absolvieren (Paul Schuster, Minderheitenprosa, der als Lückenbüßer für mich Minderheitenlyrik, die von der Ehre, die ihr in Abwesenheit gedroht hatte, ja gar nicht wußte, einsprang, hat mir die Geschichte sehr viel später in Berlin erzählt); «namenaufgeben» aber ist vermutlich gleich eingestampft worden, jedenfalls nie erschienen; mein Name hingegen – wie der Buchtitel es angeboten, ja suggeriert hatte wurde fristlos namenlos und offiziell aus der rumäniendeutschen Literatur getilgt.
Dies nicht stattgefundene Debüt von 1968 hat, wenn ich so überlege, mir und für mich mehr bedeutet als alle Erstpublikationen vorher und nachher. Ich bin wie der Reiter überm Bodensee (gerade noch rechtzeitig! höchste Eisenbahnl) entkommen, am Leben geblieben, zumindest bis jetzt.
Ein bestimmter Teil, zirka ein Dutzend Gedichte aus «namenaufgeben», ist bald ins erste hiesige, ins Suhrkampbändchen «Vom Sichersten ins Tausendste» (1969) eingegangen, zäsurlos, in der Tonlage von damals und zusammen mit anderen angefangenen Dingen noch aus Bukarester Manuskripten.
Weitere Teile aus «namenaufgeben» will ich jetzt mit rund vierzigjähriger Verspätung dem ersten Band der Werkausgabe anvertrauen, die bei Hanser herauskommt, eine anders gebündelte Art von Debüt jenes alten Missing Link und Bukarester Oberkieferknochens undsoweiter undsofort, was über seine Qualität nichts sagt, aber ein wenig über die Debütfrage hinausgeht.

Berlin, im Dezember 2004



Für Quereinsteiger: Zur Hauptseite von Urs Engeler Editor