Birgit Kempker

Mein schönstes Osterreich




Ich steig mit nassen Beinen aus und fühl mich 8 Minuten alt, frisch aus dem Flugzeug, ins Osterreich rein geworfen, wie das Kälbchen im Stall, dass der Vater, die Nonne und ich, nebeneinander, wir drei, an einem Sonntagmorgen, bei seinen ersten Versuchen bestaunten.

Ich setz den Fuss auf drauf zu und da ich schon mal in Osterreich ertrunken bin, fast, mit 7, im Familienurlaub, zähl ich schnell meine Jahre ab: 35.

Der Jäger hatte mich aus dem See gefischt. Damals. Als das Wasser aus den Lungen kam, schlug ich die Augen in die Augen des Vaters. Der wollte darin eine Dankbarkeit sehen. Wie es in solchen Augen aussieht, die fast hinüber sind, was gebrochenes, quasi.

- Meine Augen sind nicht nass geworden, sag ich mit 7 nicht das, was der Vater hören will.

Ganz ruhig. Ich bin 35 Jahre alt. Hier ist nur ein Thema der Grund, dass ich da bin. Eine Frage. Ein Kongress vielleicht. Ein Symposium. Ein Spezialgebiet. Die Antwort liegt geschrieben im Koffer. Sicher.

Hinter der Ankunft les ich meinen Namen auf der Pappe, in der Hand einer Frau, hochgehalten. Der Flugzeugtee sammelt sich und die Nieren stechen: Osterreich. 1963. Na warte. Ich lass mich von keiner Erscheinung in eine Untiefe führen.

Die Frau hält mir die Tür auf. Sie lenkt den Wagen. Sie sieht fast aus wie ich. Darauf fall ich nicht rein. Ruhig Blut, meine Liebe, sag ich zu mir.

Das Hotel liegt am Fluss. Das Zimmer hat keine Aussicht. Die Handtücher sind weiss. Auf dem Tisch liegt ein Plan.

Draussen ist es dunkel. Ich renne los. Quer durch den Park auf eine Mahlzeit zu. Weiterschreiben. Jetzt hab ichs. Ein schönes Thema. Osterreich will mein Ertrinken. Schon immer.

Ich platze vor Glück. Hier findet sich schwer ein Ausdruck dafür. Ich glühe vielleicht. Ich knall das linke Knie auf den Ast. Das platzt. Das Blut tropft auf den Schuh. Die Hose klebt. Ich lache. Denn soviel Doofheit: Ertrinken im Park, das schafft selbst Osterreich nicht mit mir.

Hat es andere Methoden? Was ist der Auftrag? Will es mich austauschen? Will es mich bei sich im Himmel haben? Will es mit mir Knödel essen? Liebt mich Osterreich?

Heiss. Ganz heiss. Der Kellner rupft ein Astchen aus der Hose. Der Koch verbindet mein Knie. Er sei nicht da, von dem ich noch gar nichts weiss, sagen sie in der Runde, für die ich hier vorgesehen bin. Die mich mit meinem Namen kennen. Und vom Foto.

Zuerst war nichts. Nichts zwischen uns. Ich sah ihn. Und er sah mich, mit diesen frühen Augen. Das wusste ich da noch nicht. Ich zählte schnell meine Sinne zusammen. Automatisch macht das die Natur und hechelt nur Kühlung über die Zunge in die bedrohten Gebiete.

Ich sitz auf einem Stuhl. Leute neben mir. Er gefiel mir äusserlich nicht. Nicht besonders.

Am Anfang war ein Wort von ihm und noch eins. Immer so fort in mein Ohr. Nicht an mich. Nur für mich. In meinen Stromkreislauf, in meinen Herzrhythmus rein, der mich jetzt wohl jagen soll, wenn da der Sitz der Gefühle ist, dann, ich weiss nicht mehr die Reihenfolge, wo ich hin soll mit mir.

Ich weiss nicht, wann ich mich zum ersten Mal verloren sah, in ihm. Dass ich du bin. Falsch. Ich war ich. Falsch. Gänzlich weggeputzt von der Platte war ich nur noch du.

- Mutter Gottes, das hat doch auch damals geklappt, mit uns, unter Wasser, du Liebe: bitte für mich, ich ertrinke.

Er redet den Berg runter ins Hotel von Kindheit in mein Ohr. Sich schämen. Details. Wir wundern uns gegenseitig. Wir setzen uns an eine Bar. Wahrscheinlich mit einem Dritten daneben. Ich mach ihm Augen, dem Dritten, der doofen Kartoffel, heisst es so später in einem Brief an mich? Nein.

- Ich bin du, sag ich. Gegrüsst seist du Maria, ich will in den Himmel. Er zählt an den Händen Freundinnen ab. Ich schau immer den Dritten an.

Das bisschen Schlaf dann verrenkt mir den Fuss in der 1. Nacht. Ich komm kaum aus dem Bett raus damit. Versuchs nur, Osterreich! Der Apotheker will auch mein Knie wegen dem Zusammenhang sehen, ohne den er sich das hier nicht denken kann, mit dem Fuss, nach meiner Beschreibung. Dabei schlag ich die Stirn auf die gelben Hustenbonbons. Wieder Blut.

- Hör mal, Osterreich, sag ich, ich habs schon mal geschafft. Lass mich los. Auch dem Apotheker reichts. Wenn meine Stirn ein Vogel wär, die flög zu dir. Na na. Da bietest du schon deinen Arm und heissen Kakao morgens um 5 auf dem Markt, erst mal natürlich fremden Mädels an. Dann ist meine Stimme weg.

- Bitte heisse Milch mit Honig, liest du dem Kellner mein Gekrakel vor.

Weiterschreiben? Lucas liest meine Sätze aus dem Koffer dazu. Ich sitz daneben. Auf Fragen reich ich Zettel hin. Die werden vorgelesen.

Die 3. Nacht. Ich schau meinen Arm an. Den er im Regen gestreift hat. Ich stell mit seine Hand vor.

- Da bin ich, sagt er. Ich möchte in dir verschwinden.

Ich war von dir umarmt und wusste nicht, wie ich hineingekommen war. Siehst du: wir lassen los und fassen an. Ich möcht dich fressen. Ich auch.

Wir wollen alles wieder haben. Hände. Wortlose Gegenden. Alles. Du fehlst in meinem Mund, sagt er. Nimm mich weg. Zieh dich aus. Wenn wir bloss dicht aneinander dran waren. Ich will mit nichts an mit dir liegen. Das sollst du auch noch schön finden, du Sau. Krieg mich doch, du Leib. Wir verkommen in diesen Temperaturen.

Du bist so heiss. Du bist so kalt. Gib mir die Hand. Wo du bist bin ich. Wer solche Sätze sagt ist tot. Mach dies Gesicht. Bis Ruhe ist. Ich will das Weisse von deinen Augen sehn. Mich darin verwunden. Dann urinieren. Du bist so schön, wie niemand, der es schon vorher war. Zappel nicht. Ich will von dir trinken. Du kriegst meinen Atem. Du liegst mir am Herz. Wir suchen den anderen im eigenen Mund.

Bitte fass in meine Hose, sagen wir. Ich schenk dich dir, sag ich: Arme und Beine. Da hast du deinen Hals, sagt er. Da ist eine Logik drin: was ich küsse ist schön. Ab, weg mit dir, Platz für dich, mein Leben, sagen wir.

Halt mich mal da. Du wirst in mir schon vergehen. Ich will daran sterben. Sonst ist es nicht. Zappel nicht. Mein süsses Gift. Meine Freude.

Ich will dein Gesicht umwerfen, das nur so heiter aufgeht, wie es traurig ist, wagen wir. Dein Arm trägt meinen Kopf und umgekehrt. Wir wachen auf und lächeln. Du bist so weit, sag ich. Da pass ich rein.

Da bleibt mein Leben stehn und läuft ohne mich weiter, immer weiter zu dir. Du bist das Ende von mir. Mein Saum. Mein Alleräusserstes. Ich bin mit dir geschnitten, sagen wir.

Sag meinen Namen auf. Du blödester Tod, den ich kenne. Das bist du. Der mein Leben ist. Zappel nicht. Nach sowas kommt nichts mehr.


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