Dorothea Dieckmann


Alles ist Arbeit
«Normal» – Michael Stauffers dritter Streich


Der junge Schweizer Michael Stauffer ist vieles: Stückeschreiber, Hörspielautor, Sänger, Performer und Schriftsteller dazu. Darum muss man ihn nicht gleich in Werbemanier zu einem «Multitalent» erklären; oft findet sich ja ein derartiges «Crossover» dort, wo Künstler oder Kleinkünstler unbeschwert von offiziellen Kulturkategorien agieren, und damit fern vom etablierten Kulturbetrieb, fern vom Feuilleton. Ist das der Grund, warum sich dieses überschlug, als Stauffer vor fünf Jahren sein erstes und vor drei Jahren sein zweites Büchlein veröffentlichte? «Schriftsteller bleiben!», wurde dem Autor aufgegeben, und dem Zeitungsleser, das Buch «unverzüglich» zur Hand zu nehmen. Mehrfach wurde mehrfaches Lesen empfohlen, und in einer Ankündigung erklärte ein bekannter Buchhändler nur halb ironisch, die Wände seiner Wohnung mit Stauffer-Kopien gepflastert und mit den schönsten Sätzen die Bettwäsche bedruckt zu haben.

Witz und Schrecken
Welche Sätze wohl? Vielleicht solche: «Es gibt zwei Möglichkeiten: Sich den Herausforderungen stellen oder sie nicht annehmen! Beides ist einfach.» Schwieriger ist es zu unterscheiden, was eine Herausforderung ist und was nicht. Die Lektüre ergibt: Michael Stauffer ist, dem Kultverdacht zum Trotz, tatsächlich eine – und gehört damit unter den zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren zur Minderheit. Seine kleinen Prosakunststücke, der Form nach nichts als die Monologe sehr alltäglicher Rollenträger, entfesseln Witz und Schrecken. Im ersten Buch sprach ein so garstiger wie hellsichtiger Neurotiker, im zweiten eine verlassene Frau, im dritten nun ist das erzählende Ich gewissermassen zu sich selbst gekommen, als «Ich-AG»: «Man muss immer bei sich selber anfangen», doziert der überzeugte Arbeitslose Marcel im Jargon des Self-Managements.

Er, der Erzähler dieser Selbstauskunft unter dem Titel «Normal», hat den Job verloren und widmet sich, verfolgt von seinem Arbeitsvermittler, der Ausübung und Erfindung neuer «Beschäftigungsmöglichkeiten», je absurder, desto «normaler». Diese Vorgaben sind so simpel wie fruchtbar. Marcel ist einerseits ein Verweigerer, indem er den Leitbegriff der Arbeitsgesellschaft ad absurdum führt («Ich habe viel Arbeit, die keine ist. Alles ist Arbeit.»), andererseits ein Pionier der Anpassung an neokapitalistische Maximen wie Kreativität, Flexibilität, Selbstverantwortung und Eigenregie.

Dieses Paradox wird zugleich poetologisch wirksam: Indem die Pflicht zur Neigung erklärt wird – und umgekehrt! –, bekommt die schöne Zwecklosigkeit wieder ihr Recht. Und damit sind wir bei Stauffers Kunst.

Marcels Selbsterfindung, Lebensphilosophie und Arbeitsbeschaffung führen von exzentrischen Morgenriten (einen im Wasser aufbewahrten Schokoladenriegel im Mund zergehen lassen) bis zur Gründung einer «Vereinigung für Normales Glück». Über allerlei Vorbereitungen wie hydrobiologische («Trinkprotokolle») und wetterkundliche Forschungen («Manchmal denke ich, dass es ausreicht, vom richtigen Wetter zu träumen»), Werbung («Die Synthese aus Organspende und Hinduismus ist eine geniale Idee»), Finanzierungspläne («Spenden nehme ich auch»), Evaluationskonzepte («Auf jeden Fall werden es Tiere sein, die die Menschen einordnen»), Kundenakquisition («diese ehrgeizlosen Menschen, die nicht wissen, was machen mit dem Leben») und Anmietung eines Hauses in Frankreich («ich muss ein Haus in einem Ort mieten, der etwas mit Napoleon zu tun hat») wird das Projekt schliesslich in die Tat umgesetzt: Die Mitglieder versammeln sich auf einer Lichtung, um gemeinsam im Regen Wasser zu lassen.

Als Teil des Experiments, das die Werte von sinnvoller Arbeit und sinnlosem Nichtstun auf den Kopf stellt, folgen diese Einfälle konsequent einem dadaistischen Konzept, in dem die phantasievolle Trivialität des Zufalls über die niederdrückende Trivialität der utilitaristischen Gewohnheit triumphiert. Der Erfolg ist garantiert. So wird Marcel aus seinem «mittelmässigen Sachbearbeiterjob» entlassen, weil er eingegangene Briefe mit Kaffeetropfspuren sortiert und eine Praktikantin nach eigenen Vorstellungen einweist: «Wenn Affen Bananen schütteln, sobald der Chef auftaucht, dann ist das Arbeit.» Dass er gegen Ende den weinenden Arbeitsvermittler trösten muss, der im Dienst dieses Arbeitsbegriffs an der vorgeschriebenen Vermittlungsquote scheitert, ist da nur folgerichtig. Die Minikapitel des provozierenden Emanzipationsprozesses etablieren die pure Aktionskunst: «Es geht nicht darum, etwas zu tun, das nützt, sondern es geht darum, etwas zu tun, das geschieht.» Unzählige solcher scheinbaren Lehr- und Bekenntnissätze werden auf den 78 Seiten geprägt. Ihren Charme gewinnen sie aus mündlicher Unbeholfenheit, der entwaffnenden Tautologie von Nullaussagen und dem entlarvenden Effekt, wenn die Propagandaklischees von Motivationstraining, Therapie und Sektenesoterik parodiert werden.

Das reicht von «Ich liebe die Sonne, auch wenn sie nicht scheint» über «Man muss es sich nicht schwieriger machen, als es ist» bis zu «Wenn das hilft, dann ist das doch gut». Kennzeichnungen wie Nonsens oder höhere Albernheit treffen diese Sprache nur halb, denn sie gewährt mehr als die mechanische Entlastung blosser Witzelei.

Kraft der Komik
Die Hebelwirkung dieser Poesie verdankt sich der ursprünglichen Kraft der Komik, die den aggressiven Impuls gegen die bleiernen Konventionen und Tabus in befreiende Energie umwandelt. Allerdings, das Lachen ist schneller vergessen als die Wirkung der vorangegangenen Bücher. Der bösartige Sermon des Débuts und die weibliche Klagerede in «Haus gebaut, Kind gezeugt, Baum gepflanzt» waren schärfer, bitterer und näher an den düsteren Verhältnissen, die nach den lapidaren Antworten eines Michael Stauffer rufen.





Für Quereinsteiger: Zur Hauptseite von Urs Engeler Editor