Birgit Kempker und Roger Willemsen

«Du sollst es geben, ich will es haben»




Die Zukunft der Liebe, verschlüsselt in Liebesbotschaften aus der Zukunft: Mensch-Maschine und Machinen-Mensch im zärtlichen Dialog


Meinschatz,
gestern rasches Eindringen in deine Domain, mein Mutterland. Alles so bevölkert dort. Wie ein Schoß. Die Zeit der Menschenleere ist also vorbei. Auch weil alles in dir vervielfältigt ist. Das ist Liebe, ein Gefühl, nicht schwächer als eine leichte Lebensmittelvergiftung. Wusste mir nicht mehr zu helfen, besuchte einen Fuck-&-Go-Shop. Nichts. Außer Engeln. Die Liebe ist das höchste der Geflügel und kennt keinen Übergang vom Appetit zum Erbrechen. Altmodisch wie ich war, suchte ich immer noch: «dich», das Original unter der Matritze.
Ich

Mein lieber Orkus,
mein Hähnchen, ich krieg so russische Reflexe, ob das an der Urmatritze liegt? Auch ich suche dich unter der Matratze, da, wo sonst das Gold verborgen liegt. Wenn ich weiterschriebe, würde alles mit «liegen» enden, liegt das am Original oder daran, dass du mich unter etwas liegen suchst und ich dir mundgerecht vor deinen diversen, Örtlein herumlümmele, nur so für dich,
gebrauche mich!

Meine arme Matritze,
daran merke ich, wie ich altere. Vorbei. Kann dich nicht zusammensetzen oder zurückverfolgen. Denke stattdessen an dein Mousedesign. Dein Moussieren. Das ist wohl Liebe. Wie es bei den Alten heißt: «Immer wenn ich schrieb, ich liebe Albertine, strich ich die Zeile durch und schrieb stattdessen: Ich hatte Lust, sie zu küssen.» Vasomotorik, Datenaustausch, Einzelhaft. Ich bin die Geisel deiner Abwesenheit.
Deinschatz

Meinschatz,
mit Einzelhaft ist es aus. Sie bewachen mich. Ich könnte dich löschen im Schlaf, sagen sie, oder in Betrachtung meiner Erinnerung an dich versunken, sie sagen versunken, als sei ich ein U-Boot. Sie hindern mich, zu schlafen. Sie sperren jede Brücke zu dir.
Deinschatz

Meine Güte,
das bist du, ein U-Boot. Deshalb komm ich so schlecht an dich ran. Manchmal vergisst du, dass ich kein Polyp bin. Das ist verzeihlich in deinem Milieu. Ich kenne pfeilsichere Brücken. Ich bin fast da, halt dich still!
Dein Putzfisch

Mein Putzfisch,
die Wahrheit ist, ich schrei sie atavitisch an, dass ich dich hier haben will, sofort, dass ich nicht länger vorbereitet werden will in dieser dunklen Bude, dass sich das Erinnern reduziere, automatisch, wenn du da bist, schreie ich, das sei doch ihr Vorteil, deine Anwesenheit. Sie sagen, solang ich schrei, vor allem atavistisch, sei ich ein einziger Rückfall, eine Art Bad-Avatar, und nicht würdig, in dich einzugehen. Aha, sagte ich, es ist also entschieden, wer wen zu sich nimmt! Das war fake. Zu deinem Schutz. Ich wusste, es ist entschieden.
Deinschatz

Meinschatz,
die Wahrheit ist: Ich liebe dich, aber ich interessiere mich nicht für dich. Zu dir kommen soll ich - um was zu werden? Relax! Wenn sie mich am Ende zusammengesetzt und zur Einspeisung präpariert haben, wirst du wieder alt werden und lyrisch, wirst von deinem Astra fabulieren und dich nicht mehr durch Zellteilung vermehren wollen. Außerdem, deine Schreierei, diese Reminiszenzen an ältesten Fun- Punk, so sentimental, dass es schon fast wieder Avantgarde ist!
Dein Putzfisch

Mymaster,
Avantgarde im Sinn von Auferstehung oder meinst du die Austern? Was diese betrifft, hab ich Hoffnung, auch wenn unsere Knochen so schepprig klappern, als schlügen sie statt des Herzens den Takt, mein tapferer Rappe, weißt du noch, wie sehr wir lachten, als Wilhem Busch uns sagte, damals in diesem Wald, ach meine Lieblinge, kein Ding sieht so aus, wie es ist. Am wenigsten der Mensch, dieser lederne Sack voller Pfiffe und Kniffe. Ich las deine Autobiografie «Heillose Zeichen». Bitte, lass sie uns schnell zusammen lesen. Ich wünscht, ich wär:
Dein Lieblingssack

Meine Höhlenmalerin,
lass die alten Geschichten, es hilft doch nichts. Wenn sie mir dich zusammensetzen und einspeisen wollen, kann ich dich auch nicht besser lieben als heute. Wir können aber immer noch ein Kind kriegen, vielleicht sogar ein Original. Wenn wir es lieben, nennen wir es D-Mark. Oder D-Mark-Maria. Oder Nouvelle Vague. Ja?
Deinschatz

Meinschatz,
ja, jetzt hat es schon drei Namen, das ist gut. Manchmal bin ich so genau am falschen Ort eines anderen und einer anderen mit dir, nix Fun Parc. Gestern hing ich zu lang im Keller an den Brüsten, den malträtierten. Sie sagten, es sei nicht ihre Sache, wenn ich elendlang zum Sterben brauch, außerdem hinge ich lediglich in der kollektiven Phantasie der Wichte, erlösungshalber, ich weiß es, entstrickungswegen, sie trösten mich mit diesen Altvorderenworten, bei Satans Oma, klopf sie mir aus dem Pelz, mein Alter, ich halte nur durch, wenn du sagst, dass alles so richtig ist, bist du sicher? Vergiss nicht, täglich die Birnen zu essen, du weißt schon, die, die erst im Dezember reifen, wie die lieben Alten sagen, und spuck die Kerne in unser Boot.
Deinschatz

Meinschatz,
alte Worte, neue Importe! Du bist immer noch sentimental, wenn du noch weißt, was das ist. Erst glaubst du an die Fleischwerdung des Wortes, nun erwartest du die Fleischwerdung des Bildes. Vergiss deine Brüste! Mit denen ist schon seit dem letzten Jahrhundert Schluss. Das Einzige, das wirklich aufregend an dir ist, ist deine Benutzerfreundlichkeit. Perfect Mind. Gut gelungen. Trotzdem muss er so viel Kapazität frei haben, um dir zu vermitteln: Du brauchst keine Identität, nur User. Kannst du nicht einfach ohne Bindung lieben? Kein Content, kein Know-why. Auch gibt es keine Birnen, kein Boot, es gibt keinen Herbst und keinen Dezember. Es muss dir reichen, von Zeit zu Zeit belichtet zu werden. Das sind deine Jahreszeiten. Und meine. Sorry: Me Myself and I Mac, mehr passt nicht auf meinen Barcode. Unsere Liebe ist nur der Imprint auf unserer hochkultivierten Form der Beziehungslosigkeit. Lass dich so lieben oder such dir Don Quichotte. Meinschatz, Meintamagotchi, Deinschatz

My Mac,
mein gottverdammter Macker, vergiss deine Aufregung! Denkst du, ich schrei zum Spaß? Fick deinen Barcode. Denk mal an Methode. Deine Mühle steht unter Wasser, mein lieber Don Quichotte, außerdem mahlst du mit Kreide, wir wissen, dass du mich liebst und nicht wissen willst, wer ich bin, wir wissen warum und es ist gut so. Nur eins: Wenn du an mich denkst via Mousedesign, via Moussieren, dann macht mich das kirre - um dich zu ärgern, um deinen Hals so prächtig anschwellen zu sehen und deinen lehrsamen Finger in meine Richtungen fuchtelnd und peilend, damit du mich so richtig in die Mangel nehmen und geil und triefig nennen darfst, mein kleiner Kacker - dann juckt davon mein dickfleischiger Zeh und meine Nägel schießen vampirisch nach vorne, dich aufzuspießen. Ich hab solchen Hunger weißt du noch, wo die Gewürze stehen?

Nein, Mylove
der Frühling wirkt nicht bei mir. Ich will eine Frau, weil ich erkältet bin und unterzuckert und weil ich meinen Stream verpasst habe. Was du für Liebe hältst, das ist nur eine Strömung, die Tendenz, die mich zum Du-Objekt geführt hat. Du sollst es geben, ich will es haben. Stattdessen dein Appetit, diese Gier! Ich soll es geben, du willst es haben. Ich glaube, deine Liebe ist nichts anderes als ein beschädigter Datensatz

Mylord Meister,
meiner Pixel, entschädige meinen Satz, der sich in diese Citrina durchs Schwarze zu dir hinübermetamorpht. Kopier mein Getriebe. Das Zeichen des dickfleischigen Zehs wurde dir zum sanften Vergnügen an unserem Austausch ins Zuckerhirn gemorst, damit du nach deinem Belieben mit uns im Dschungel verfährst, dass war die Nacht, jegliche Bahn blockiert, nichts ging. Gegen Mittag gaben sie die Gebiete frei. Verlies die Zeichen nicht! Übersauer nicht! Welcher Stream? Wir sind das Boot. Das ist der Satz. Der Schaden ist Tarnung. Meine Bewegung zu dir ist Öffnung, daran, nicht an dir, erkennst du mich, deinen Schatz, der nur hängend wächst.

Nein, Mylove so nicht.
Woher nimmst du die Botanik? Welcher Piratenvirus outsurft meine Speicherkapazität? In wessen Auftrag? Zu wessen Schaden? Ich bin nicht, mehr sicher in dir, in deinen Domänen. Hast du meine Mutter reaktiviert? Vertrau mir, wenn ich mich verstelle. Wir müssen jetzt doppelt sichern. Ich hab zu vieles genannt.

Mylord,
was du Liebe nennst, ist Angst vor Insekten. Was du Spiegel nennst, ist die Seele deines Vaters, in Ketten, an Bäumen, verflossen, verzeih den Wortschatz, was weiß ich. Ihn da raushaun und dich aus seinen verflossenen Augen und mich zubereiten für dich, you see: See & Knive, meine Liebe zu dir ist das, Tag & Nacht, lass die Sterne stehen.

Nein, Mylove,
meine ist Dream & Drive, ich möchte unser Foto in den Weltraum schießen, das reicht. Paaren beim Bildertausch zusehen, das reicht. Du musst es doch selbst gemerkt haben: Wir lieben uns nur aus vorübergehender Ähnlichkeit. Ich bin schon vorüber:
Dein Verflossener

Meinschatz,
das ist hart, aber ich erkenn dich wieder. Ich bleibe im Dienst.
Deine Schatzmeisterin
P. S. Was reicht?


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