Ghérasim Luca




Ghérasim Luca wird 1913 in Bukarest geboren, wo er in einem liberal jüdischen Milieu aufwächst. Schon sehr jung kommt er mit mehreren Sprachen in Kontakt, insbesondere der französischen, welche als die Literatursprache schlechthin gilt und jene Kultur repräsentiert, die bekanntlich bereits von einem anderen Rumänen – dem beinahe zwanzig Jahre älteren Tristan Tzara – glühend angefochten wird.
Die deutsche Geisteswelt, die vornehmlich unter dem Einfluss der Kulturmetropolen Wien und Berlin steht, ist zu Beginn der dreissiger Jahre, der Zeit seiner intellektuellen Entwicklung, in Bukarest omnipräsent. Luca studiert früh die Schriften deutscher Philosophen und lernt die Diskussionen kennen, welche seine Reflexionen über die Psychoanalyse nähren; eine Entdeckung, die sein Freund Dolfi Trost, der selbst psychoanalytisch geprägt ist, nachdrücklich unterstützt. In der Folge arbeitet Luca mit verschiedenen «frenetischen», surrealistisch orientierten Zeitschriften wie etwa «Alge» oder «Unu» zusammen. Ende der dreissiger Jahre beginnt sich sein Interesse jedoch auf den Surrealismus von Paris zu konzentrieren, in dessen Umfeld auch seine Freunde Jacques Hérold und Victor Brauner aktiv sind. Er korrespondiert mit André Breton, lehnt aber ein Treffen anlässlich einer Reise nach Paris ab. Vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs überrascht, zieht er es zu seinem Schutz vor, nach Rumänien zurückzukehren.
Nach dem Krieg, in der kurzen Zwischenphase relativer Freiheit vor Beginn der Herrschaft des Sozialismus, erwacht Lucas Engagement für Literatur und bildende Kunst zu neuem Leben. Gemeinsam mit einigen Freunden gründet er eine surrealistische Gruppierung, richtet eine eigene Druckerei und Ausstellungsräume ein, verfasst Flugschriften und beginnt, Kunstobjekte zu sammeln. Im Wunsch, mit seiner Muttersprache zu brechen, entscheidet er sich endgültig für das Französische als Medium künstlerischen Ausdrucks. 1952 verlässt er Rumänien, um fortan in Paris zu leben.
Schon bald werden seine Gedichte, Zeichnungen und Collagen (die sogenannten «cubomanies») von der Zeitschrift «Phases» veröffentlicht. Luca schafft regelrechte Buchobjekte, an denen sich auch Jacques Hérold, Max Ernst und Piotr Kowalski beteiligen. Vom Verlag «Le Soleil Noir» ermöglicht, entfacht sich in den siebziger Jahren diese Affinität zu Objekten mit beinahe magischem Charakter, wie sie Luca vorschweben, erneut. Als erstes Ergebnis dieser fruchtbaren Zusammenarbeit erscheint, in Kombination mit einer von Luca selbst besprochenen Schallplatte sowie einer Skulptur Kowalskis, 1973 «Le Chant de la carpe».
Überhaupt erweist sich im Zuge seiner Arbeit in und an der Sprache – der rumänischen sowohl als der französischen – die lautliche Ebene als von zunehmend zentraler Bedeutung: jene von Gilles Deleuze beschriebenen eigentümlichen Effekte des Stotterns, die Lucas Texte durchziehen, deren Inszenierung und Präsentation «unter vollem Körpereinsatz» im Rahmen öffentlicher Lesungen, von denen einige, beispielsweise jene in Amsterdam oder New York in den sechziger Jahren, legendär geworden sind.
Einsam, vertieft in seine Studien und Forschungen zur Sprache, jedoch zusehends verstört und beunruhigt durch die wachsenden rassistischen und antisemitischen Tendenzen in Frankreich, nimmt sich Luca im Januar 1994 in Paris das Leben.



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