Birgit Kempker






Lieber Egon

Eben noch sass ich in der Badewanne und jetzt gehe ich mit nassen Haaren durch die Stadt und es ist kein lauer Tag heute. Das Kind wächst, auch ich werde älter und die Tage kürzer. Zwei Schritte weiter habe ich mir eine Lilie gekauft, denn ich weiss nicht wie ich mich zeichnen soll, heute.

P.S. Die Lilie ist blau und ein wenig gelb innen
Susanne


Was Susanne Lemm an einem Montag im Mai nicht tat in dünner Sparschrift, nur mit dem schwarzen Pexakta 02

Die Sonne scheint heiss auf die Schreibmaschine der Susanne Lemm. Die Tinte hat sich im unteren Drittel des Farbbandes zusammengezogen und hinterlässt da einen horizontalen Streifen, bevor sie endgültig austrocknet.

Die Frau schreibt mit der Hand und dem raumsparenden Penxakta 02: Was Susanne Lemm an einem Montag im Mai nicht tat

Susanne Lemm wird sich bald waschen, obwohl sie ein ungewaschener Zustand locken könnte, immer mehr die Nase in Körperinnerstes gebogen, angezogen vom heimatlichen Gestänklein, ein trauter Mief aus der Unterhose, das wäre es, das würde diesen Montag im Mai erträglich machen, auch für Susanne Lemm.

Susanne Lemm sitzt zwischen Büchern, den Blick weit und einsam in den Wald, wo ein frischer Wind weht und ihre Hand spielt versonnen, tastet sich langsam von aussen heran und es schliessen sich die Augenlider.

Susanne Lemm geniesst, geniesst alle Möglichkeiten des Schreckens, das Hereintreten des rothaarigen Bibliothekars, geniesst die rötlichen Flecken am eigenen Hals und dass man ihr die Tat ansehen könnte, die sie nicht tut, am Montag im Mai.

Sie wird das Kind auf den gelben Fahrradsitz klemmen und sich in Unkosten stürzen, unten in der Stadt. Die Mama kauft sich heute ein knallrotes, bis an die Grenzen der Erträglichkeit anschmiegsames Kleid, ein Kleid, von dem Frauen nur träumen.

Sie wird ihr Kind lieben, die Schreibmaschine streicheln, den gelben Zahn in ihrem Mund morgens freundlich begrüssen, die Fenster waschen, Möhren schrubben, Kakao kochen, Pflaumenkuchen backen, die adrette, kleine tüchtige, so liebenswerte Frau im roten Kleid, ruhig, zuversichtlich, beinahe selig dem Tag hingegeben, ohne das leiseste Zeichen von Aufbäumen gegen den Tag, gegen den Wind, gegen die Kinder der Frauen auf den Sandkastenbänken, auch nicht gegen das eigene Kind.

An diesem Abend kommt der Mann. Die Frau stellt den Boiler an. Der Mann hat die feinste Nase der Stadt. Die Frau möchte keinen Ärger an diesem Tag im Mai.

Der Mann sieht die Frau an, zieht die Vorhänge zu und greift nach Susanne Lemm, immer wieder mit der einen oder anderen tolpatschigen Geste, die Frau denkt nein, sie denkt an das Wasser im Boiler.

Da nimmt er sie weniger unbestimmt als an anderen Tagen.

Es ist schon Dienstag und Susanne Lemm liegt mit dem Mann auf dem Teppich, sie legt den Arm des Mannes von ihrem Körper und stellt den Boiler ab.


Lieber Freund,

Ich schreibe dir aus der Waldeinsamkeit. Das ist gar nicht so einfach, plötzlich für drei Tage waldeinsam zu sein.

Gustav hat mir drei Tage gegeben, er liebt mich nicht, nicht mehr, meine Künstlernatur sei verblüht, drei Tage hat er gesagt, drei Tage gebe ich dir für deine Umwandlung.

Ich schreie das durch die Waldeinsamkeit zu Dir lieber Freund, ins andere Land. Ich wäre jetzt gerne gar nicht so einsam, eine Frau in Deinen Armen.

'Es ist nicht und es wird niemals gut', auch du wünschst mich fremd und seltsam. Ich schreibe diesen Brief mit der Hand, das öffnet etwas den körperlichen Bereich, den Bereich um das Herz herum.

Das Frühstück liegt hinter mir, ich habe es reichlich genossen, verlegen an meinen Händen gerochen, noch immer nach den Ausscheidungen meines Kindes.

Da ist es, hör zu, ich habe ein Kind geboren. Hör zu, es gibt einen stolzen Bereich in mir, die Innenseiten meiner Schenkel - 'Madonna des Nordens' hast du mich genannt und ich spreche dir von diesen Innenseiten.

Ich bin hier oben im Wald, damit mir die Flügel verheilen. Ich mache eine Flügelgenesungskur.


6 Uhr 30 beim ersten Erwachen

Ich liege müde und schwer, der Körper noch tiefer in den Boden gesunken, zieht an mir. Der Kopf zu hoch, das Bett im Ganzen zu weich und zu kurz. Solche Betten sind günstig für den Geschlechtsverkehr.

Man soll seine Beine oder die des anderen, oder seine Beine auf die Beine des anderen und die dann mit den Fussohlen zum Bettende hin, es sollte eine Fussunterseite des einen verbunden mit einer anderen Fussunterseite des anderen mit dem Bettende verbunden sein. Man spricht von einem erheblich gesteigerten Lustgefühl.

Verschwenderisch nenne ich es mein Unglück, nutzbar machen sollte ich es und Dir keine Briefe schreiben, ich sollte meine Flügel putzen und flicken.

Kein Dichter dichtet, damit ein anderer ihn liebt, sagst du, aufhören, ich gehe jetzt in den Wald, 'Nimm deine Zeit und nutze sie nach Wald, 'NLust',

Lass deine Stifte da, hat er gesagt, verplempere deine Zeit nicht. Wenn ich sie zeichne entwickle ich einen Sinn, eine Art Liebe für sie, fahre den Linien ihres Körpers entlang, suche Rot für den Mund und woher nehme ich dieses Gelb?

Disziplinlos ist das Treiben mit den Stiften, sagt Gustav, und verderbe jeglichen Stil.

Bis dass es dich im anderen Land erreicht bin ich nicht mehr rot vor Scham, ich liege auf dem Bett, die rechte Hand in der leeren Doppelbetthälfte, mit der linken Hand wollte ich mir eine kleine Annehmlichkeit verschaffen, aber mir war nicht danach. Nichts, nichts bringt mich der Person näher, als die ich diesen Ort zu verlassen wünsche.

Ich höre ihn unten im Dorf Lieder singen, 'Kranke Engel fliegen nicht, haben keine Lieder'.


Lieber Freund

Die Frist ist verstrichen. Auf der Tapete flirrt der Wald und es scheint die Sonne. Gleich ruft die Frau zum Frühstück. Die gewünschte Veränderung ist nicht eingetreten. Gustav ist nicht gekommen, hat mich nicht für immer in seine Arme genommen und so. Mit meiner Mutter habe ich Kontakt aufgenommen, das Kind ist froh und gesund.

Erzähl doch, sagt der Mann. Was ich sagen will, liegt hinter mir im Nebel. Erzähl doch endlich, nutze deine Chance. Abgleiten an den Gegenständen, haarscharf und in den Bereich dazwischen stossen, nun sag schon, sagt der Mann.

Drei Tage ist eine lange Zeit, sagt Gustav, Jesus lag drei Tage im Grab und wie der dann verändert war.

Gustav lacht über den Witz und ich über das Wort Metamorphose.
Susanne


An Achim Rank
...und dann holte ich Susanne aus dem Wald, meinen sanften Engel und Begleiter. Sie kam mir entgegen, den roten Frühstückskäsewachs unter den Nägeln, der Leib gebläht vom Bucheckernessen. Wie sah ich sie verwandelt.

Dann machte ich einen Witz, Susanne lachte auch, ansonsten alles beim Alten.
Gruss Gustav


Für Quereinsteiger: Zur Hauptseite von Urs Engeler Editor