Für Quereinsteiger: Zur Hauptseite von Urs Engeler Editor
Andreas Kohm

Pracht-Band
Lyrik von Andrea Zanzotto



Südkurier, 24. Mai 2003

Manche Bücher brauchen Jahrzehnte bis sie uns erreichen: im Jahre 1968 erschien in Italien die Gedichtsammlung «La Beltà» des hierzulande kaum bekannten Dichters Andrea Zanzotto und wurde als sprachliches Ereignis gefeiert. Jetzt liegt der Band in einer bemerkenswerten «Übersetzung» diesseits der Alpen im deutschsprachigen Raum vor. «Pracht» heißt der Eröffnungsband, der auf insgesamt neun Bände angelegten Edition «Planet Beltà», die zwei kleinere muntere Verlage aus der Schweiz und Österreich gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Bereits im Jahr 2000 wurde dieses Transitunternehmen bereits mit dem Zuger Übersetzer-Stipendium belohnt. Denn einiges an der von Donatella Capaldi, (der leider viel zu früh verstorbenen) Maria Fehringer, Ludwig Paulmichl und Peter Waterhouse geleisteten Übersetzung ist auch gewagt und überrascht den Leser, führt ihn ins Zentrum jedes Übersetzens, hin zu der Frage, ob und wie die Vermittlung zwischen und in zwei Sprachen überhaupt möglich sei.
Diese Schwierigkeit wird um ein Vielfaches durch die lyrische Sprache Zanzottos selbst gesteigert. Versuchen doch die Gedichte ihrem Sprechen etwas abzulauschen und (wieder) zu entdecken, das als Potential tief verschüttet darin schlummert. An den Bruch- und Leerstellen semantischer und grammatikalischer Ordnung scheinen «Babel und Antibabel» zugleich auf. Hochkomplexe Gebilde entstehen, mit einer vielschichtig oszillierenden Vagheit, die im Hinblick auf eine evozierte Wirklichkeit eben nicht die Unterscheidung wahr/unwahr leisten wollen: «Es brannte das Wunder und die Realität». Hier ist der Dichter Zanzotto Archäologe, Alchemist und ein dem Spiel mit der Mutter(-)Sprache hingegebenes Kind. Das Bestaunte ist die Pracht, von der er mit Rilke weiß, daß sie «des Schrecklichen Anfang» ist: «nur dieses entleerte, unangeglichene Wort, (…) das entreißt, unterbricht/ und enteint, eins, (…) Pracht, Napalm,/ wo die Phiole die Zyste geplatzt ist,/ die Zeit geplatzt das Überdauern geplatzt ist.»
«La Beltà» versammelt Langgedichte und Gedichtzyklen, die Zanzotto als einen Naturlyriker zeigen. Tief verwurzelt in der provinziellen Heimat seines Dorfes im Veneto überblickt er zugleich die Horizonte klassischer Bildung und zeitgenössischer Diskurse. Es begegnen sich Wortschätze, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: aus Dialekt und Werbung, aus Fachsprachen und Literatur, Comics und Kindersprache. Dieses Sprachmaterial befindet sich in einem andauernden Transformationsprozeß und offenbart dabei seine elementarste Verbindung: im Lautlichen. Zwischen den Polen von sprachphilosophischer Reflexion und Sprachmagie, in der Durchdringung, ja im Durcheinander der Bedeutungsebenen, stellt sich beim Leser, wie Pier Paolo Pasolini formulierte, ein «beispielloser Zustand der Entfremdung von allen Gewohnheiten» ein. Der poeta doctus Zanzotto, der die Gedichte zu ihrem eigenen Spiegelkabinett werden läßt, macht unter Verzicht auf falsche Idyllik oder Avantgardistik jenes Krisenbewußtsein der Moderne kenntlich, das mit Sprachskepsis, Fragmentierung und Dissoziierung aller überkommenen Sinn- und Identitätsgefüge oft beschrieben wurde.
Aber mehr noch wollen diese Gedicht-Sprach-Räume etwas namhaft machen, das an den Rändern zur Stille, zum «Unerhörten», wie es unter Anspielung auf Dantes «Paradiso» heißt, angesiedelt ist. Dem Meta-Physiker Zanzotto ist dies die Schnittstelle, wo äußere Wahrnehmung und inneres Erkennen konvertieren, wo die Wunde des Bewußtseins vielleicht in ein wunderbares «Denken vor dem Denken» aufgeht. Gerade die sinnlich erfahrbare Totalität der eigenen Körperlichkeit verbürgt im Sprechenkönnen und Schweigenmüssen die Teilhabe an einem umfassenden, wenngleich nie zu erfassenden Ganzen. In Zanzottos Naturlyrik wird die romantische Suche nach einer universalen Natursprache fortgeschrieben. Seine Gedichte sind Echolote, gerichtet auf das Unsagbare. Er gibt trotz der radikalen kulturellen Umbrüche der Gegenwart die utopische und paradoxe Hoffnung nicht auf, daß dort, wo Sprache und Welt Gefahr laufen unterzugehen, sie auch gerettet werden können. Nicht von ungefähr ist Hölderlin (und Scardanelli) ihm ein ständiger Begleiter und Ansprechpartner. Wie jener sucht er mit ebenso anarchischem wie zartem Furor die sprachliche Berührung der Welt, die materiale Konkretheit der Dinge in ihren Namen, eine Form der Übersetzung auch. Es ist ein antikes, bukolisches Erbe mit dem Glauben an eine im «ekstatischen» Sprechen verbürgte Präsenz und dem Lachen des Satyr über sich selbst: «Und prachtvoll dieses Liegen im Lächerlichen, im Verehren».