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Paul Jandl

Fügsam, widerspenstig.
Laudatio zum Zuger Übersetzerstipendium






Die Ruhe täuscht. Als harmonischer Kleinbetrieb mag sich vielleicht das Verhältnis zwischen Autor und Übersetzer ausnehmen, doch wenn die Übersetzer erst einmal ganz unter sich sind, herrscht Krieg. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert tobt der Kampf um die Gestalt der wahrheitsgetreuen Übersetzung. Der Disput zwischen sprachlichen Reinheitsgeboten und kreativer Einfühlung. Der aufklärerische Übersetzer und Kunstrichter Johann Christoph Gottsched schlug im Namen der Regelrichtigkeit der deutschen Sprache auf den Schweizer Milton-Übersetzer Johann Jakob Bodmer ein. Die wilde Shakespeare-Übersetzung Christoph Martin Wielands war dagegen dem Homer-Übersetzer Johann Heinrich Voss zutiefst zuwider. Voss seinerseits wurde dafür von den Brüdern Schlegel als «platt, stehenbleibend und unkritisch» bezeichnet. Der hoch gelehrte Humanist Wilamowitz-Moellendorff machte sich als Werbung für seine eigenen Aischylos-Übersetzungen über jene von Wilhelm von Humboldt lustig. Er konnte leider nicht mehr hören, was später Stefan George über ihn sagen würde: dass nämlich seine Übersetzungsarbeit schlicht «spiessbürgerlich» sei. Und auch Stefan George konnte sich über diesen Triumph nicht lange freuen. Karl Kraus attestierte ihm, Shakespeare aus dem Englischen in eine Sprache übersetzt zu haben, die George selbst nicht verstünde. ­ So also geht's dahin über die Jahrhunderte. Ein salomonisches, wenn auch nur vorläufiges Urteil in dieser anhängigen Causa fällte Friedrich Schleiermacher in einer Rede, die er 1813 vor der königlichen Akademie zu Berlin verlas. Im Streit «Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens» entschied Schleiermacher nicht ohne einen Sinn fürs Praktische: «Entweder der Übersetzer lässt den Schriftsteller möglichst in Ruhe und bewegt den Leser ihm entgegen; oder er lässt den Leser möglichst in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen.» Gegen die dichtenden Übersetzer hilft der Vorwurf, dass diese selbst gerne Dichter wären. Und im Falle der übersetzenden Dichter kann es schon eine umfassende Erledigung bedeuten, dass diese Übersetzer tatsächlich Dichter sind. Die Sache also ist verwickelt. Denn die Poesie selbst ist nichts anderes als eine Übersetzung, das Original schon ist eine sprachliche Transformation dessen, was die Welt und was der Fall ist. «Verwandlung der Natur ­ Übersetzen», heisst es bei Andrea Zanzotto. Es ist ein poetologischer Auftrag an sich selbst, den Zanzotto auf höchst eigene Weise einlöst. Die Worte «Fügsam, widerspenstig» finden sich in einem Gedicht. Andrea Zanzottos Poesie ist so fügsam, dass sie den Lyriker zu einer nationalen Institution werden liess, zu einem Autor, dessen erstaunliche Auflagen sich kaum mit lyrischer Volkstümlichkeit erklären lassen. Und widerspenstig sind Andrea Zanzottos Gedichte in einem Mass, das die Exegeten so sehr herausfordert, bis sie mitunter selbst zu Dichtern werden. Andrea Zanzottos Lyrik, gleich beim Erscheinen seiner ersten Bücher in die Rubrik der literarischen Hermetik eingeordnet, steht noch heute unter diesem Siegel gelinder Rätselhaftigkeit. Andrea Zanzottos Gedichte sind unangreifbar und angreifbar zugleich. Sie sind auf höchst artistische Art verschlossen und dadurch offen für einen weitreichenden interpretatorischen Zugriff. Die Beschäftigung des Dichters mit der Psychoanalyse ist auch seinem Werk anzumerken. Aber ist deshalb seine Lyrik eine poetische Illustration der Psychoanalyse? «Worte aus einem Traum, ich kenne seine Bedeutung nicht», heisst es einmal. Tatsächlich eine paradigmatische Formel für die Verfechter dessen, was sich, um mit Gaston Bachelard zu sprechen, am «Abhang der Schläfrigkeit» abspielt. Im Einzugsbereich des Ungefähren, dort, wo, wie es gerne bei den Zanzotto-Interpreten heisst, die Signifikanten über die Signifikate siegen. Die reinen Worte über die Welt. Der Vielsprachigkeit der Poesie und der gewissermassen verschärften Vielsprachigkeit im Werk von Andrea Zanzotto machen die ­ im Wortsinn ausgezeichneten ­ Übersetzer Donatella Capaldi, Maria Fehringer, Ludwig Paulmichl und Peter Waterhouse ein faires Angebot. Der Vielsprachigkeit begegnet man immerhin mit Viersprachigkeit. Die Übersetzer haben mit den multiplizierten Möglichkeiten dieser gemeinsamen Arbeit jetzt das erste Buch der Zanzotto-Ausgabe «La Beltà», bravourös ins Deutsche übertragen. Und wer, wie drei der Übersetzer, in Wien lebt, hat gemeinsam mit Karl Kraus eine ungefähre Ahnung davon, was Genauigkeit im Zusammenhang mit Sprache bedeutet. «Je näher man ein Wort anblickt, desto ferner blickt es zurück», heisst es bei Karl Kraus. Die Arbeit des Autorenteams geht in diesem Sinne weit über das eigentliche Geschäft des Übersetzens hinaus. Es ist ein hermeneutisches Unterfangen, das sich jetzt erfolgreich an Andrea Zanzottos «La Beltà» bewiesen hat. Zanzottos Dickicht aus literarischen Anspielungen, inneren Reimen, Paronomasien, falschen Etymologien, englischen, französischen und lateinischen Sentenzen, einer Kindersprache und des Dialekts haben Donatella Capaldi, Maria Fehringer, Ludwig Paulmichl und Peter Waterhouse entwirrt. Und zwar mit Hilfe einer genuin poetischen Überzeugung, die auch für das bisherige Werk des Dichters Peter Waterhouse steht, dass man nämlich der Sprache nichts vormachen kann. Wie Zanzottos Sprache sich bildet, das haben die Übersetzer dem italienischen Lyriker zumindest nachgemacht. Die Themen Andrea Zanzottos sind über Jahrzehnte hin ähnlich geblieben. Die Landschaft, im allgemeinen seine Landschaft, das Veneto, taucht in den Gedichten auf, die Natur in allen Aggregatzuständen, als Schnee, als Regen, mit Flüssen und Hügeln, mit einem «Himmel, archaisch und blechern wie zimbrisches Windisch», als Zyste oder «knöcheriger Knöterich». Von der Natur als «dieser anderen Kunst» spricht Friederike Mayröcker. In diesem Sinn sind Andrea Zanzottos Gedichte Kunst als eine andere Natur. Die physikalischen Prozesse dieser Kunst-Natur gehen den Weg einer poetischen Zwangsläufigkeit. Worte, Silben reihen sich aneinander und reiben sich aneinander, zerfallen und bilden ein Sediment, aus dem sich Neues bildet. Die Kunst der Sprache und die Natur der Dinge gehen im Werk Andrea Zanzottos eine stabile physikalische und eine wandlungsfähige chemische Verbindung ein. Auch die Kunst anderer findet sich als Sediment in den Gedichten Zanzottos wieder. «Petrarchiviert leise-leise Ton um Ton», «eluardisch gesalbt», «eine zitternde Zeile Hölderlin». «La Beltà» spiegelt den Prozess einer poetischen Erosion, die die Worte abschleift, bis sie, wie es heisst, «winzigst» sind. Ein «Finsternislein», ein «Kaninchenchen». Das Pathos der Bellezza gibt es in der Beltà nicht. Es ist die Suche nach Schönheit im Sinne von Novalis verstanden, Schönheit nämlich «als ein Erzeugnis von Vernunft und Kalkül». Kein Platz ist bei Zanzotto für den Missbrauch mit den grossen Worten, für die auftrumpfende Ästhetik einer Napalm-Bombe, der eines seiner Gedichte gewidmet ist. Stattdessen gibt es, «Verbal-Verballhornungen würg schluck, Bersch», «Poesien-Paradeisern-Poematen» und «Philosodendren». Kurz: «Affekte liebliche Konfekte». Mit einem Prozess, der die Worte durch die Gedichte siebt, der selbst das Grosssprecherische von Gedichttiteln deutlich macht, ist Andrea Zanzotto bei einem möglichen Ziel seiner «Beltà» angelangt. Zitat: «im Sinn einer Mikrogeschichte / ist ein Sichhetzen und mikrogrosssprecherisch und ausserhalb der Weltzeit. / auf schnell. Erhoff dir eine Bohnensuppe erhoff dir zu entdecken erobern betreten /das templum-tempus. / Kontemplation. Optimum Zeit und Welt-Zeit. / Und das alles gesehen wie rutschend durchs Gras, unten von der Erde aus oder von der Erde zu Erde oder allerkürzester / Erde-Luft Luft-Erde Zoom.» «La Beltà», das ist nicht die grosse Pracht, ein als Gegenstand einer metaphysischen Lyrik seit Jahrtausenden tauglicher Kosmos. «La Beltà» führt eine sich selbst marginalisierende Schöpfung vor, einen Ort, wo die Komposition mit der Kompostierung verschwägert ist, und der Eros mit der Erosion. «Potentiell Aufrufe Rückrufe Nachrufe» heisst eines der Schlüsselgedichte der «Beltà»: «Ich verehrte Krone Kranz und Stimme. / Damals: doch ein Bewunderer, bin ich beharrlich und empfinde die Sprache / als ein einziges Springen und Zahnen sachte und sanft. / Hohltierchen-Krone, wenn man gestattet: eine Zuck-Sekunde. / Hohltierchen im Grossen, im Groben. (...) Und da ist nichts, nicht einmal nichts, ein Nichteinmal; unaufgefaltete Flüglein auf Zinnien unentfachte / Flecken Schnee kein Missklang oder Tönen, / das riesige Etwas verrieselt, bricht aus: / aber die Kostbarkeit werde ich sehen, die Kostbarkeit vor mir / und um mich herum in Leise-und-Laut gleichsam. / Täuschung, täuschend, Tausch.»
Auch in diesem Sinne: eine Gratulation an die Übersetzer.

Zur Werkedition Andrea Zanzotto: Planet Beltà