Michael Stauffer

Haus gebaut (Kapitel 1 und 2)




1
Ein Mann liebt eine Frau. Das ist grundsätzlich und sowieso eine falsche Annahme. Es ist immer die Frau, die liebt. Du liebst mich. Das ist falsch. Ich liebe dich. Es ist immer die Frau, die liebt. Der Mann liebt permanent andere Frauen mit dazu. Du liebst andere Frauen dazu. Der Mann will die ganze Welt umarmen. Als Ausrede, damit in dieser Umarmung alle Platz finden, die er angeblich liebt. Der Mann sucht sich eine ihn inspirierende Frau, die er lieben möchte. Du suchst eine, die dich inspiriert. Wieder eine Fehlannahme. Der Mann merkt, dass es diese Kombination nicht gibt, Liebe – Inspiration. Aha. Du merkst, dass es das nicht gibt. Aha. Klug. Und irgendwann folgt die Erkenntnis. So lange es stimmt, ist es Liebe. So lange es stimmt, sieht es aus wie Liebe. Und danach wird es sehr schnell unerträglich. Und auch sehr schnell hell.

2
Ich sorge vor. Ich blättere in einer Zeitschrift und finde einen Partnerschaftstest. Ich löse den Test, damit ich weiss, ob du mein Partner sein könntest. Und ob ich zu dir passe. Und ob ich attraktiv bin, für andere. Und ob ich generell überhaupt einen Partner finden muss. Ob das zu mir passt. Die erste Frage in diesem Test lautet: Können Sie leiden? Meine Antwort ist: Ja. Die zweite Frage lautet: Macht es Ihnen etwas aus, wenn Sie abgelehnt werden? Ja. Dritte Frage: Können Sie Gesellschaftsspiele spielen? Ja. Aber nicht zu lange und nicht mit allen. Und wie gesagt, nicht lang, nur ein paar Minuten. Vierte Frage: Gesellschaftsspiele spielen wollen? Nein, ich käme nie auf die Idee, das zu tun. Fünfte Frage: Beherrschen Sie den Einzelkampf? Ja. Die sechste Frage beantworte ich nicht. Siebte Frage: Was ist Zertapferung? Keine Ahnung. Dann folgen einige komplexere Fragen: Was denkt der König, wenn er seine Frau küsst? Das kommt auf den Moment an und auch auf den Ort, wo er sie küsst. Ob draussen oder drinnen. Es folgt noch eine komplexe Frage: Beschreiben sie eine typische Mann-Frau-Situation, in der das Wort Mund vorkommt. Der Mann führt seinen Mund dem der Frau zu. Die Frau denkt an ihren Mund und weicht dem Mund des Mannes aus. Oder mir fällt eine andere Mann-Frau-Situation ein: Der Mann streckt seiner Frau die Zunge raus. Statt in ihren Mund. Dass dieser Test in dieser Zeitschrift zuverlässig ist, davon gehe ich aus. Psychologisch ist dieser Test auf dem aktuellsten Stand der Forschung. Die Auswertung des Tests ergibt, dass ich eine liebenswerte Partnerin bin. Ich denke mich ein, fühle mit, bringe meine eigenen Ideen in die Beziehung ein, aber nicht um jeden Preis. Der Test sagt auch, dass ich alle Schlüsselqualifikationen habe, die es für eine erfolgreiche Partnerschaft braucht. Über dich sagt der Test nichts aus. Ich frage mich, ob meine Antwort auf die Frage, was denkt der König, wenn er seine Frau küsst, nicht auch anders hätte lauten können. Wenn ich etwas anderes hingeschrieben hätte? Ich hätte schreiben können, der König kommt nicht zum Küssen, weil seine Frau ihn nur anschaut und sagt, wer bist du, bist du wer? Wenn der König seine Frau küsst, denkt er nichts, weil sie ja seine Frau ist und er sie liebt und also nichts mehr zu denken braucht, sondern sie einfach nur bedingungslos liebt. Und eben auch küsst. Das hätte vielleicht zu einer anderen Auswertung geführt, wenn ich das hingeschrieben hätte.


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