Guido Graf im Gespräch mit Ulf Stolterfoht

versversagen




ulf stolterfohts liebevolles eindringen in den sprachleib
von Guido Graf
WDR 2002


alle zeichen stehn auf wurm. wie
meinen sie das: alle zeichen stehn auf wurm?
ich meine das so: negation der eigenen körper-

sensation. präsentation des angejahrten pansen.
satz grobe poren. [...] konsequent zugrunde gedacht.

das schale und das gestülpte. und das mitge-
dachte hingeklatschte. fast stoffwechselhafte.
bis ans eingemachte. vom inhalt auf die form

gebrachte. [...]
schließen nie und triefen tief.

[fachsprachen XII/1/39f]


Ganz am Anfang habe ich überhaupt keine Satzzeichen gemacht, auch keine Punkte. Mittlerweile habe ich da die Vorbehalte verloren bis auf die Kommas.


beschauliche leichen. vom wort das greifbar wird
«wenn es gewaltig nachbarschaftlich ächzt»

[fachsprachen IV/8/58]


Also ich kann mich noch entsinnen, so zu Beginn des Germanistikstudiums galten Kommata immer so als hierarchisches Instrument. Vielleicht hat es irgendwie damit was zu tun, dass die Texte prinzipiell ja eher parataktisch funktionieren, nicht, ich hab die Kommata immer als was empfunden, was Ordnung schafft, wo gar keine Ordnung zu sehen ist, zumindest in der Form, wie das Komma versucht, die Ordnung zu schaffen.


Diese Teile, aus denen die Gedichte gebaut sind, sind ja Sätze und keine Verse im klassischen Sinn. Ich glaube dadurch, dass ich als Einheit den Satz hab und keine Verse im traditionellen Verständnis, müssen die rhythmisch so funktionieren, dass es eben keine Kommata braucht. Oder in meinem Denken dürfen dann keine mehr drin sein, weil das so klar sein müsste eigentlich, wie die gelesen gehören, dass es überflüssig ist, da noch Kommata zu setzen.


uneigentliches sprechen. der apfel als ein bild
für trug. gemeint sei aber straffer lug. verun-
glückte metapher. es findet kein bedeuten statt.
da gehts bereits ans eingemachte. abgeschmackte.
beachtlicher kracher: der apfel als ein bild für
bild. haben wir doch bisher
bestritten der lyrische apfel hätte ein denotat in
der welt befinden wir uns nun auf einmal in der
seltsamen lage genau einen physikalischen gegen-
stand gelten lassen zu müssen: nämlich den der auf
papier realisierten wörter.

[fachsprachen XVII/5/103]


Ich glaube, dass der Grundimpuls so ein antisemantischer Impuls ist. Also ich tu mich ganz schwer bei Gedichten, die bedeuten wollen, die auf was raus wollen. Das fängt quasi in der kleinsten Einheit Wort schon an, dass die Bedeutungssucherei praktisch mit der Wortsemantik einsetzt. Um aus diesem Bedeuten herauszukommen, denk ich, da sind dann auf einmal die Sätze so wichtig geworden, eben aus diesem theoretischen Aspekt heraus, weil irgendwas verstanden wird offensichtlich, auch bei Sätzen, die unverständlich sind.


wo «faktisch fetisch» bildlich

trifft packt «bildhaft fetisch» faktisch zu. räumt leicht
umnachtet ein: es könnte eine andre sein. sie schließt des-
ungeachtet von allein) auf diesmal folgenschweren prall:
lumpenelite gegen erstarktes deutungsproletariat.

[fachsprachen VI / muttersprachen / muttersprache 1968/1: / freund-feind-kennung / 79]


Wenn die Wortsemantik obsolet ist, zumindest im Gedicht denk ich, dass es so ist, dann muss ja irgendwas an die Stelle treten, was da präsentiert wird oder vorgeführt wird und es ist eben die Satzstruktur denk ich Dass die Struktur des Satzes tatsächlich zum Bedeutungsträger wird, das wär vielleicht das Ziel von den Gedichten, also die Wortsemantik ablöst eigentlich, ohne dass ich da genau sagen könnte, was da gewonnen ist dadurch. Ich habe den Eindruck, dass es den Prozessen im Hirn näher kommt, als dieses immer wieder sagen "Apfel" und meinen "Apfel". Dazu kommt natürlich das erkenntnistheoretische Problem. Ich hab ja schon in der Alltagssprache grosse Probleme zu begreifen, was Referenz eigentlich sein soll, was eigentlich passiert, wenn einer "Apfel" sagt, was der damit meint - und dieses Problem dann in eine Ordnung zweiter Klasse dann mit rein zu bringen, in die Literatur oder in die Lyrik, das dreht noch einmal die Schraube praktisch, dann weiss eigentlich niemand mehr, um was es da geht. Also man hilft sich dann mit lyrischen Gegenständen, oder weiss der Teufel was, aber da hat ja keiner eine Vorstellung, was das sein soll, also ich zumindest nicht. Und um aus diesem Dilemma, was ja ein erkenntnistheoretisches Dilemma ist, raus zu kommen, habe ich immer versucht, mich mehr um die Syntaxstrukturen zu kümmern.


äpfel. das ist nun alles
andere als schön. man will sich nicht gewöhnen. ein
etwas scheint hier oberfaul. man muß es sich einfach
mal reintun. man muß es selbst gesehen haben. ein
kleiner schaber hebt es ab. was bleibt? als sich zu
überlegen ob nicht in erster linie das gefällt was
jeweils schmerzlich fehlt? die frage wäre gestellt.

[fachsprachen XVII/5/103]


Der Celan will eben auf was raus, der will ja was sagen, er verschlüsselt, aber gleichzeitig will er ja sprechen, darum geht’s ihm ja eigentlich. Darum geht es mir natürlich überhaupt nicht, also ich will ja auf nix raus. Ich will ja im Gegenteil einen Zustand erreichen, wo ich eigentlich selber gar nichts mehr machen muss, wo die Sachen von alleine laufen.


eröffnet lebhaft: sätze gibt es. schließt behauptet:
wörter füllen sie auf. das sei dann auch schon alles.

[fachsprachen IV/1/51]


Ich habe mir eigentlich vorgenommen, dass ich, nach dem ersten Buch, redlicher mit dem Material umgehe, weniger verwende, und wenn, es dann auch deutlich markiere, wenn ich es mache, dafür ist es dann doch wieder viel geworden in dem neuen Buch, ich habe auch relativ selten markiert, also insofern von der Intention her ist es mehr geworden eigentlich, absolut ist es aber gleich.


beschauliche leichen. vom wort das greifbar wird
«wenn es gewaltig nachbarschaftlich ächzt»
über die lyrik-typische klangspreizung «hybrid»
schnurstracks zu pseudo-vicos «ort vor zeit»
– erdrückende fragmente. doch irgendetwas sträubt
sich noch. der aufzug andrer saiten droht.

versuche mit mutiertem metrum. manipuliertes
metronom. zwanghaftes forte-bellen auf text-
stellen. gerade in komplexen sätzen den formen
ein bewußtsein ihrer selbst zu geben. und das
ist erst der anfang. der lautstand zur stunde:
gut. allein die klanggestalt hängt etwas nach.

ein sinn-scharmützel dauert an. verbissen wirkt
der satzverband. er winkt als letzter dankend
ab. [...]

[fachsprachen IV/8/58]


Also die Zitate sind natürlich, oder Fremdtext insgesamt, ist dadurch interessant, weil mein Name nicht darüber steht. Das ist ja klar, also da spricht jemand anderes. Aber wenn ich die Fremdtexte so kombiniere oder kompiliere, dass sie nachher doch wieder zu was werden, dann steht mein Name wieder darüber. Also ganz funktionieren tut dieses Zitieren als Prinzip natürlich auch nicht. Ich mach mir die untertan, die Sätze , auch wenn ich die eigentlich selbständig machen möchte. Das geht immer in zwei Richtungen. Also meine Idealvorstellung wäre ein Gedicht, das sich selber schreibt, aber das ist natürlich Quatsch. Ich sitze natürlich immer da, und die Zitate haben damit zu tun, dass ich aus meiner Haut raus möchte, wahrscheinlich.


das stehen im wort. blut ist der ort. satz
scheints der platz. es gibt nichts geschlachtes
außer man macht es. fodor und katz. schmatz.

[fachsprachen XII/1/39]


Zwanghaftes Dementieren eigentlich, das kenn ich gut, dass ich immer denke, ich muss es eigentlich sofort zurücknehmen, ja, ja vielleicht, aber es könnte alles auch ganz anders sein. Und das genau, diese Sache mit der Ironie. Ich glaube, dass das mit der Ironie gar nichts zu tun hat, es geht darum, Sachen permanent zurückzunehmen.


Eigentlich wäre da die Frage, oder die Kritik könnte eigentlich sein, warum sagt man überhaupt was, wenn es eigentlich nichts zu sagen gibt, oder alles dementiert wird. Aber ich glaube, genau darum gehts, dass man die Sätze praktisch vorführt, dass man die wie auf einem Teller hinlegt und sagt, jetzt guckt euch doch mal den Satz an. Und dieses Dementieren führt vielleicht dazu, dass die Struktur wieder mehr in den Blick gerät, also wenn man sagt, es ist so, und nachher sagt man das Gegenteil, dann denkt man vielleicht über die Form nach, in der das gesagt wird.


doing unterthänigst dienst über dessen kunst-
gespinsten unschwulst zu befinden sich er-
dreisten nachzuweisen deren ausbund und tut
kund: sorge trägt für frischen schwund. diese
zeilen laufen rund. [...]

[fachsprachen IV/9/59]


Also ich hab zunehmend den Eindruck, dass ich eine rhythmische Idealvorstellung im Kopf hab, ohne genau sagen zu können, wie die aussieht. Ich zähl natürlich keine Silben oder so was. Also ich denk die rhythmische Struktur geht aus von Sätzen, die ich im Kopf hab, also die ich von irgendwoher kenn.


einerseits das schicht-
spezifische interesse neu-weimar zu errichten (etwa:

lies schneller genosse / radical chic) andrerseits
natürlich weiterhin der wunsch das kissen zu besticken:
wir werden belesen sein / uns wird der text zu klein.
[...]
was folgt ist seitdem lediglich: revolution
als in sich beruhigte stilposition. man richtet feme-
räume ein. dort wimmert sich um kopf und kragen: ein ich.
[...]
psychotische systeme sind
nicht selten von bestechender binnenlogik: hatte sich doch

bereits schelling über hölderlins subversive frisur be-
klagt – so viel haare und kein kamm! nimmt man heute viel-
mehr an: einer entwuchs den kampfstiefeln und wurde er-
wachsen. der andere blieb darin stecken und wurde gesang.

[fachsprachen V/5/19]


Also ich ertapp mich immer wieder dabei, dass ich Sätze so strukturiere wie einen Satz, den ich als Kind in der Werbung gehört habe, oder der in irgendeinem Volkslied vorkommt. Und ich glaub überhaupt, dass unser Sprechen so funktioniert, dass diese Strukturgebung auch beim Sprechen ganz stark davon abhängt, was für Sätze man im Speicher hat, dass man immer unbewusst formt nach Vorbild praktisch, dass es auch rhythmisch eigentlich keine eigenen Sätze gibt, sondern dass es immer Nachformungen von bestehenden Sätzen gibt, auch im Rhythmus. Das, was dann nachher als Gedichtrhythmus erkannt wird, ist natürlich die Zusammensetzung von mehreren Sätzen, und ich glaube da kommt es vor allem darauf an, dass möglichst viele betonte Silben drin sind, möglichst wenig unbetonte. Ich glaube, das führt dann zu dem so leicht Stakkato-Artigen, was - also ich möchte es ja eigentlich gar nicht, aber es nimmt immer wieder die ähnliche Form an mit möglichst vielen Schlägen pro Zeile.


humpty dumpty über bezüge: wenn ich ein wort
so schwer arbeiten lasse wie «referenz» dann
bezahl ich ihm natürlich was extra.

[fachsprachen XVII/9/107]


Und es ist auch ein Problem, weil ich dann immer wieder gleiche Muster praktisch zur Verfügung hab. Auch wenn ich mir Zitate irgendwo raus schreibe, haben die Sätze eigentlich schon den Rhythmus, den ich sonst künstlich herstellen muss. Das birgt natürlich die Gefahr, dass es eintönig wird, weil ich mir immer wieder die gleichen Sätze raus suche. Da hab ich irgendwelche Vermeidungsstrategien, dass ich was hinten dran häng und so überdehn oder solche Sachen. Aber das birgt durchaus Gefahren, denk ich, das Ganze, es auf die Art zu machen. Leute, die ihre Silben auszählen, da gibt es andere Gefahren, aber die umgehen natürlich so was, sich permanent zu wiederholen, weil sie auf Sätze als Sätze - auf die achten die überhaupt nicht.


wir wissen
was dahintersteckt. kategoriendefekt. ähnlich
gelagerte fälle sind nennschwelle unterbestimmt-
heit und übergangsneid. alles erfahrene komposita.
wie aber zarte pronomen entlohnen? nehmen wir nur
mal «ich» in: «gerade will ich die lyrik erneuern
als sämtliche muskeln beteuern sie säuern» – da
tut sich dann natürlich nichts. entsprechend we-
nig wird bezahlt. deutlich stringenter: «heil
mir im ausgefransten dilthey-kilt» oder wie man
sich endgültig disqualifiziert. es hat mich nie
gegeben. sehr schön. vielleicht ein spürchen zu
extrem. egal! auf diese weise macht man die welt
kahl. da man aber weiterhin wörter benutzt haben
sie die bedeutung die man ihnen zu geben beliebt.
das ist alles. bleibt schließlich die frage was
man sich unter einer semantik ohne welt vorzu-
stellen hat? wohl höchstwahrscheinlich die welt.

[fachsprachen XVII/9/107]


Im ersten Band gibt es so eine Abteilung mit Hölderlin, ja Paraphrasen oder so, und beim Hölderlin gibt’s die Struktur ganz oft, also zum Beispiel "das dunkle Gewerbe des Magens", "das zierliche Wirken der Nieren" so was zum Beispiel, die kommen immer wieder bei Hölderlin, und dies ist auch was, was ich bei mir immer wieder finde, ohne es zu wollen, ohne dass der Genitiv jetzt die ganz wichtige Rolle spielt, aber daran hängt es sicher auch, es ist auch der Takt. Und so was lässt sich dann auch beliebig verlängern, grad mit den Genitiven ist das natürlich ganz ergiebig.


Also was es ganz stark gab und immer noch gibt, sind Pastior-Sätze, weil ich die Gedichte so gut kenn, dass immer wieder rhythmische Strukturen von Pastiors Sätzen oder Zeilen sich einschleichen in die Gedichte.



«kenn» raunzte er schrill und trillte sich tief in den
flöhfang. der angeruderte. der otternschleim. muck
es bald hack. als solches kämmten sie wurstwohin in

die schwärze. sachsenlatzheit. sachsmatratzen. dem
dicki heftend finstert er schmissig zur spring wäh-
rend die käferin fiebrach rauchelt: tick an die krüp-

pelschützen. tick an das kalbfleisch den knallhecht
die stuppen und verdammelten kraftmätze – die doch
samt ‘n’ sonders brillen!

[fachsprachen XII/9/47]


Es gab doch bei Arche einen Band mit Beckett-Gedichten, die konnte ich auch auswendig, und da ist es mir am Anfang immer wieder passiert, dass ich mehr als Sätze, drei, vier Sätze oder ganze Strophen wieder gefunden habe, rhythmisch, also wo ich ganz genau auf einmal gehört hab, o je, das ist ja genau die Beckett-Strophe mit anderen Wörtern. Und ich glaube, da gibt es noch viel mehr, ohne dass ich das genau weiss. Auffällig waren die Beckett-Gedichte und es sind immer noch die Pastior-Gedichte, weil ich die eben so gut kenn.


Im neuen Buch ist ein Teil so, da hab ich viel psychiatrische Fachliteratur gelesen, also natürlich auch sehr ausgewählt, da hab ich viel gelesen. Jetzt habe ich, "Der kleine Radiotechniker", Bücher gelesen, da hab ich ein Gedicht über Radiotechnik und CB-Funk geschrieben, dann gibt es eine Abteilung über Rinder- und Schweinezucht im neuen Buch, ich hab so DDR-Bücher über VEB-Anweisungen zur Schweinezucht gelesen. Also möglich ist eigentlich alles, je drastischer die Sachen sind, umso bessser prinzipiell mal. Ideal ist, wenn eine eigene Sprache gesprochen wird in den Fachbüchern. Es gibt es ja tatsächlich, bei diesen Schweinezucht-Sachen, die kommen mir manchmal vor wie ein Rotwelsch-Text, weil die Wörter alle klar waren, eigentlich, klar hätten sein sollen, aber eben was ganz anderes bedeuten in der Züchtersprache. Das ist das Schönste, was ich mir vorstellen kann überhaupt.


das stehen im wort. blut ist der ort. satz
scheints der platz. es gibt nichts geschlachtes
außer man macht es. fodor und katz. schmatz.

heiter weiter. zweckfreier lärm. wer kocht hier
alten euter? wer denkt hier schwenkt gedärm?
kaut. schaut: es steht ein eimer schleim (gleich

hinter zella-mehlis). vergräbt im stoff die
hohe stirn. in weiten teilen unverdaut. fein.
meine heimat ist der reim. mit körpersäften.

eingebauten zwangskräften.

[fachsprachen XII/1/39]


Also was ja vielleicht wirklich erstmals auf der Hand liegt, ist dass Lyrik seit '45 wesentlich unverständlich ist und Fachsprachen für mich auch wesentlich unverständlich sind. Ich les den "Kicker" zwei Mal in der Woche, und da fällt es mir in den Leserbriefen auf, dass - unreflektierter geht’s eigentlich gar nicht mehr - wie gierig da diese "Kicker"-Sprache aufgesogen wird und produziert wird in den Leserbriefen. Vielleicht ist das so ein Musterschüler-Syndrom, was da eine Rolle spielt, aber ich finde das ganz ganz toll, wie die ihre Leserbriefe formulieren. Genauso als hätte die der entsprechende Redakteur verfasst. Vielleicht sieben die aber auch so aus, dass die nur solche Leserbriefe abdrucken, das kann natürlich auch sein.


Ein ähnlich einschneidendes Erlebnis wie die Pastior-Gedichte, als ich die zum ersten Mal gesehen hab, wo ich dann selber schon geschrieben hab und gesehen hab, da macht jemand etwas völlig anderes, aber schon irgendwie die Art, das gibt es also, da schreibt jemand so und halt 20mal besser und viel toller, so ein Erlebnis gabs eben in der Musik auch und ich glaub, dass das ähnlich einschneidend war wie dieses Pastior-Kennenlernen. Ich war mit 18 zum ersten Mal in Moers am Festival für Neue Musik. Da habe ich zwar manche Sachen vorher schon gekannt gehabt, aber diese ganzen Leute mal zu sehen, also die ganzen Deutschen, die es damals gab, und die aus New York, John Zorn und Fred Frith, kamen langsam auch nach Europa. Und das ist für mich so eigentlich der Referenzpunkt, improvisierte Musik eigentlich, wo ich immer gedacht hab, die schaffens doch, irgendetwas abzubilden, darzustellen, ohne eben darauf angewiesen zu sein, "Apfel" und "Baum" und "Sonne". Und da stimmt es vielleicht auch mit der Abstraktheit.


Wenn ich mir die Sachen selber anguck, manchmal kommt man da nicht drum rum, dann gibt es ja auch Gedichte, die mir besser gefallen und manche gefallen mir weniger gut. Und die Sachen, die mir im Nachhinein am besten gefallen, sind dann schon die, wo ich selber die Emphase irgendwo sehe oder spür. Wo ich merk, da geht es vielleicht schon über das Jonglieren hinaus. Wenn ich so was sag, dann stech ich mir damit selber in den Rücken, aber es ist irgendwie so.


stand stramm der trepanierte wundenmann. bewehrt
mit wissensdienst-dekret. so wird die langeweile
zum programm: menschliches verdauen durch das
loch im bauch des heiligen martin zu betrachten

(es geht mit rechten dingen zu) als wille zum wech-
sel des stoffs.wehmüller mit dem nationalgesicht.
blickdicht am zeugzusammenhang geflickt – es bergson
wesensmäßig zu besorgen. und so viel NEIN muß sein:

zum führer fällt ihm nichts mehr ein. außer vielleicht:
«die wunderbaren hände». ek-stasen der zierlichkeit –
vom bindestrich geweiht. täuscht leibesnähe vor. das
unzuhandene «jedoch» überführt sich selbst im ge-

schwollenen «schillern bis begönnern»: da muß doch
was zu retten sein! das staunen vor dem nackten «daß»:
daß es daß gibt! rührt zugegeben an. natur kommt nur
am rande vor. in abschweifung begreifend: umwelt als

ausgedehnten körper. grenzfluß dabei bekanntermaßen
schmerzhaft «ziehend». man mag entgegnen: aber! nichts
aber: gesprochnes schweige im gedruckten! die lage ist
der fall. gedicht was bricht. «vom zaun» bedarf der

zurüstung. du besser entscheidest die seite du stehst
wenns heißt: methodenmann versus die herrschaft des
gestells. abstimmung mit den drüsen: im zweifel lie-
ber pfropf als keil. so glaub ich kann man schließen.

[fachsprachen X/2/16]


Oder ich erkenn Sachen, die ich nie verfolgt hab, als ich das Gedicht geschrieben hab. Das kommt natürlich auch vor und entdeck da dann irgendwas, wo ich denk, da drückt sich jemand aus. Finde es dann eigentlich ganz gut. Peinliches Eingeständnis. Das ist für niemand nachvollziehbar, also für niemand Fremden, was ich mir dann überleg. Also zu meiner Entschuldigung vielleicht.


heute vielleicht: wie man den molch zum abfluß
führt. ganz nebenbei viel pfuhl gespart durch wirt-
schaftliches dichten IST WOHL des forschers vornehm-

stes betreiben die kreterfrage «weltbeladen» zu-
gunsten «sprachdurchtränkt» entschieden.

[fachsprachen VI / muttersprachen / muttersprache 1968/2: / sterbeverein ernst mach / 80]


Es hängt ja an dem Problem, denk ich, oder an dem, was fehlt, an dem hängt es ja.


das ganze
sach auf nichts gestellt: wenn wörter was sie selber
körpern doch allenfalls am suffix spüren muß ihr

bezug ein nehmen sein. auf AUF ihr zeichen unver-
zagt: habt abgeschnürt – nun nabelt! kommt jeweils
eine ziehung. sprach ungeschlacht von «in betracht»:
am fremden knoten aus dem nunmehr unersparten sumpf.

[fachsprachen VI / muttersprachen / muttersprache 1968/2: / sterbeverein ernst mach / 80]


Es hängt ja an dem Problem, denk ich, oder an dem, was fehlt, an dem hängt es ja. Ohne dass ich sagen will, es muss immer ein Ungenügen vorliegen. Oder was da immer ins Felde geführt wird. Unzufriedenheit mit der Welt. Da bin ich mit der Welt eigentlich ganz zufrieden, da habe ich keine Probleme mehr mit, die Beschreibungsmechanismen, die machen mich verrückt. Ja, drum, ich hab auch immer grosse Schwierigkeiten, wenn jemand da seine Schreiberei begründet mit seiner existentiellen Not oder so. Die Not ist ja wesentlich eben Beschreibungsnot, das ist selbstgemacht und keine Existenznot jetzt mal abgesehen von Leuten, bei denen es wirklich ums Leben geht, das ist ja ganz klar. Da fehlts in den Abbildungsmechanismen und ich denke, das lässt sich irgendwie vorantreiben, also ohne jetzt von Verbesserung sprechen zu wollen. Aber zumindest kann man ja jeweils die Einsichten forcieren, warum es so schlecht funktioniert alles und warum es die ganzen Probleme gibt. Also vielleicht ganz ähnlich im Ansatz, wie es da im Wiener Kreis war bei Carnap und dem Ganzen. Die wollten auf etwas völlig anderes raus, die wollten halt Zweifelsfreiheit und so was und darum geht es mir natürlich weniger. Es geht darum, dass man sich klar wird darüber, was man eigentlich macht, wenn man da irgendetwas sagt oder beschreibt oder dichtet womöglich. Darum geht es doch eigentlich und nie um Befindlichkeiten. Das denk ich, das ist es, was fehlt, ja und was mir auch fehlt. Insofern gibt es in dem Punkt tatsächlich was wie Emphase. Also das kann ja dann sein.


was von «gesanglos» übrigbleibt – «ein ernster vogel»
reißt es an. kein ernster vogel handelt ab was der
erscheinung eigen schien. er streicht sich sozusagen
durch. man schüttelt innerlich den kopf. man nickt.
siehts ein. das muß das wesen der verneinung sein.
[...]

[fachsprachen IV/2/52]


Ach, ich könnte mir auch vorstellen, dies mein Leben lang zu machen. Das Konzept ist ja so offen, dass man da ziemlich viel rein nehmen kann. Ich glaub aber, dann ist es schon gut, das sind ja 250 Gedichte oder so, das reicht, und dann läuft sich das vielleicht doch tot. Also ich glaube, das hilft mir dann mal, einfach was Neues anzufangen. Ne, ich mach das ja jetzt auch schon ziemlich lange. Die ersten Gedichte von dem ersten Buch sind von '89 oder '88 so geschrieben. Ja, also jetzt schon 15 Jahre. Also dann vielleicht fast 20 Jahre, wenn der dritte Teil fertig ist und das reicht dann. Und da hab ich ja nebenbei nichts gemacht sonst, also an Schreibarbeit. Ohne das jetzt zu hoch hängen zu wollen. Aber es hat halt so lange gedauert. Aber Zeit spielt keine Rolle für die Qualität, das ist mir schon klar, aber das dauert eben.


ein blankes kracherl strömt

um den schund: die kerlverselblung und das klärchen.
fünkiger pflanz! ein schoppen volt dann schwank: scho-
ner nach lude. geprankelter schoner auf eine unter-

finne geplotzt. schoner nach tick der praktischen
landschafter. sie blecken herb derb. ich schmettre
euch grandigen torkel! gefälliger schmäh ich es gausen.

dreh euch die sängerhalle um und pflanz in den ohr-
mann. mezucke! sie hegen mohrigen schreckstein. auf
seinen troll jatscht ein kassiberl. das grabscht er.

als no die tofte funkel in die winde sockte. kenn!
der joisl strömt das silber queck während jener klärer
den sachsen das «pulver des olms» in die wedel paukte.

[fachsprachen XII/9/47]


Ich kann ja alles machen mit den Sachen. In dem neuen Buch gibt es ein Teil, das waren eigentlich theoretische Texte, eben, wo ich auch ein Gedicht vorgelesen hab, das merkt man ja auch, dass es keine Gedichte im eigentlichen Sinn sind, das ich einfach alles rein nehmen kann, wenn ich das irgendwie in Form giesse und dann noch rumdoktore dran und das rhythmisch irgendwie abstimme, dann sind es eben Gedichte und fertig. Also theoretisch könnte ich einen Roman schreiben, nur da würde ich dann das Ungenügen wahrscheinlich auch nochmals verspüren und mach dann halt ein Gedicht daraus oder acht, zehn, fertig. Also insofern bin ich gefeit gegen Prosatätigkeiten, weil ich immer die Möglichkeit hab, Gedichte daraus zu machen.


ballung der besten. gesundes-wort-beginnt-
an-der-wurzel-adepten. mal richtig abzumanteln
bis aufs morph. gut. freitag: arbeit am wort-
schatz. liebevolles eindringen in den sprachleib.

samstag: bereitstellung eines zeichenvorrats. be-
griffsinventur. sonntag: sonderlexik. halbtermini.
scheinsubstantivierung. am abend jeweils arbeitsdienst
in kontextfreier rede. erklärung der «scheuche». dann

ging man auseinander. // wien. pension «gnadenwahl».
hier ist man unter sich. problem des eichte / *ich.
bezüglich eisenfrei/arm/los verbale explosionen.
durchaus auf ausdruckshöhe zwar doch weit entfernt

vom zu erstellenden glossar. halbherzige einigung auf
«jenes das die größte merkhilfe aufweist». // düssel-
dorf im herbst. die kühlsten köpfe der sprachlichen
not – sie klanglich aufzumöbeln. rechtfertigung des

lauschangriffs: erstmals wird stimmabdruck genommen.
das regelwerk scheint wasserdicht. doch wirkendes wort
vom erhabenen braille: die normenpräger sollen später
nicht umsonst «««alleine an der spur vergangen sein»»».

[fachsprachen VI / muttersprachen / DIN 2330: begriffe und benennungen. / allgemeine grundsätze. / 75]


Das reicht eigentlich.


Wenn ich dann doch auf Sachen raus will, dann natürlich auf Sachen, die unabhängig sind vom lyrischen Sprechen, überhaupt vom literarischen Sprechen und die fürs Sprechen insgesamt gelten. Also auf die Trennung lege ich überhaupt keinen Wert. Im Gegenteil, ich würde noch gern viel mehr Alltagssprachliches mit rein nehmen. Also die Texte waren schon immer ähnlich. Also auch, als ich angefangen hab. Im Gegenteil, die waren wahrscheinlich noch schwerer verständlich ganz am Anfang. Also nach allgemeinem Verständnis schwerer verständlich. Aber da war noch mit Fachsprachen eigentlich nichts los. Das mit dieser Idee mit den Fachsprachen das kam, ja, obwohl doch, weil alle Leuten, denen ich die Sachen gezeigt hab, ja ich war da eher schüchtern und bin es eigentlich immer noch, und ich habe sie niemandem gezeigt und denen, die ich sie dann doch gezeigt habe, damals, die haben dann gesagt, das war dann die normale Reaktion: "Super, aber ich verstehe halt nichts." Und da fing es vielleicht an, dass ich gesagt hab, gut, dann ist es eben auch ne Fachsprache. Und so ähnlich verhält es sich ja vielleicht tatsächlich. Dass die erste Fachsprache, mit der ja vielleicht auch der erste Band anfängt, oder die ersten beiden, das eben meine Fachsprachen waren und die fremden Fachsprachen dann erst später dazu gekommen sind. Aber diese Idee, und natürlich die Zitate haben auch eine Rolle gespielt, dass ich gedacht habe, wenn die Sachen einfach Fachsprachen heissen, dann ist es eh klar. Da spricht nicht nur einer, da sprechen viele.



was nämlich sache ist

(um letzte zweifel auszuräumen): nicht nicht zu
unterlassen. nicht zu vergessen: vergessen. zu
hungern. es schlichtweg verrichtet. nähme sich vor:
zu schneiden das brot. vergißt es. wird nun (das
brot wird immer härter) zu schneiden nennen «sägen»
sein? sei eure rede bestenfalls ja ja / nein nein!

was ähnlich schwer zu klären ist: ob es vielleicht
wahrscheinlich gibt. tendenz: vielleicht. wahrscheinlich nicht. doch damit steht man schnell allein. kommt also
nicht umhin «unding schlechthin» als haben ding zu gelten
lassen. das brotlose des unterfangens: nicht nur nicht
nicht zu sagen / un zu tun. dann seine schönheit aber auch.

[fachsprachen IV/2/52]


Wenn es bei diesem Gedicht um irgendwas geht, dann ja doch um so was wie Gültigkeit von Struktur. Diese Struktur, diese Gültigkeit, was immer das auch bedeuten mag, die gilt natürlich, oder das, was ich hier versuch zu zeigen, als Prozess und als - was weiss ich - das gibt’s natürlich im Alltagssprechen, da gilt ja das dann auch. Also ich denk das Sprechen, das Schreiben, diese Trennung zwischen Gedicht-Sprechen und alltäglichem Sprechen, die würde ich ja auch am liebsten aufgehoben sehen eigentlich. Also verstehen, wenn wir uns verstehen oder unsere Sätze verstehen, das ist, glaub ich, unabhängig davon, wie die Welt aussieht, dass wir uns verstehen. Das muss ja so sein. Ja, ich denke, es kann ja eigentlich nie um die Welt gehen. Oder wenn es um die Welt geht, dann geht es um die Welt im Kopf. Das reicht eigentlich.



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