Oskar Pastior

gedichte schreiben heute



gedichte schreiben heute. erstaunlich was sie da tun diese gedichte. aber einleuchtend. wie sie da an ihrem und an einem heute schreiben, gegenwärtig etwas wie gegenwart komponieren, sie zusammenschreiben, nicht nur aus h-e-u-t-e, aber streng genommen auch, diese schreibenden wie lesenden gedichte.
– denn wie läsen wir sonst heute wenn das nicht schon mitgeschrieben worden wäre, seinerzeit, von schreibenden gedichten als potentialität des lesens; und natürlich merken sie, verehrte potentielle leser, daß da im grunde schon die ganze zeit von einer art über-ich der gedichte die rede ist, nämlich (und namentlich) der sprache mit all ihren herrlichen unschärfen in formenlehre, syntax, recht- und unrechtschreibung sowie den verlesern versprechern verhörern… die dann im einzelfall z.b. in der vertauschbarkeit von subjekt und objekt selbsttätig poietisch werden können wenn sie felle wie häute schreiben und somit exakter es zeigen, es bedeuten und auch sind, was die naturwissenschaft erst zu entdecken im gange, aber ohne Sprache unfähig zu sagen ist.
«gedichte schreiben heute» – mit oder ohne fragezeichen –: wann überhaupt ist aber dieses datum-schreiben der gedichte als gebot oder im verdikt an schreibende ergangen? und – hoppla – gleich die wahrheitsfrage: wie könnte, müßte, sollte ein zeitpunkt der entstehung im gedichttext selber, also sprachlich, drinsein können? fälschungssicher? carbontesttauglich? woja selbst die autorschaft in sprachsachen immerzu nur auf bereitwilligen annahmen herumsurft. denn sie müssen es mir – poesiefern und poesieabträglich – zunächst einfach glauben. daß mein name dafür bürgen könnte, daß das datum stimmt, wenn ich behaupte «heute ist der 24. mai 2002».
aber: vorher. aber: nachher. wir kennen die methode, und nicht nur aus der kosmetischen werbung. fragebögen aller art operieren mit stichtagen. staaten und bürokratien machen uns immerfort an biographischen grenzmarken zur geographie für unsere im harmlosesten fall geburt und zugehörigkeit dingfest bis haftbar.
wenn aber heute nicht nur heute funktioniert – sie wissen ja sofort, wovon ich rede! – so wird die frage nach der von allerlei gedichten erschriebenen heutigkeit zu einer weitwinkelinvestitur bis -investition: daß schreiben ja im grunde immer schon ein lesevorgang ist und es beim schreiben um die gegenwärtigkeit des lesers geht (auch im poeten) und um die permanente heutigkeit des lesens und bedeutens in allen diesen texten die so alt und unerfahren buchstäblich wie jeder einzelne von uns sind.
für die kleine chemieprüfung des bakkalaureates in hermannstadt im jahre 1952 hatte ich mir eine mnemotechnische eselsbrücke von potentieller welthaltigkeit ausgetüftelt, eingeschränkt bloß von dem raster (und natürlich auch gerastert von der einschränkung) des memorierbar sich einzuprägenden periodischen systems der mendelejewschen elemente – und lautete, ich kann sie immer noch auswendig, dann so:

beli boku
stisa flune
namagalsi phoschwehklar
kakazkati-wackermann: feconi?
cucygalgen! assel! brotcryp!

– die Welt mit fauna und flora und mitsamt der ganzen historiogeographie in 5 zeilen. oder nicht? denn wenn in dieser reihenfolge, mit und anhand von berillium, lithium, bor, kupfer, stickstoff, sauerstoff, fluor, neon, natrium usw. das postulierte system sich zumindest ahnbar memorieren ließ (alles in allem jedes in jedem), so wäre mit hilfe (wie zum bestand) der weltlyrik als eselsbrücke deren sinnkonstitution so einfach. über diese brücke, sage ich ja noch heute, wandelten eppich und ehrenpreis genauso wie prießnitz, artmann, whitman, eich und bach, litanei wie litaipe, translatorisch, u- und isotopisch, ein- und gertrudsteinig, ätherisch, biogenetisch – wir befinden uns nach wie vor im populärwissenschaftlichen zeitalter. oder nicht? augen mit dem geburtsblick zwischen den ohren hören den skandal des anfangs, indem sie ihn herstellen, haargenau jetzt.
und wie bitte sähe es aus, das heute schreibend lesende, das heute lesend schreibende gedicht? keine vorschrift, denn es entsteht. keine nachsicht, denn das unding passiert undefiniert.
sprechen wir einfach von dem gedicht als einem guten text, einem guten stück eigenwilligkeit vor allem – ein gefühl wie eukalyptus! mutwillig anmaßend! bannend und heraufbeschwörend! einatmen – ausatmen, systole und diastole – entwaffnend sei es bitte bis zur entblödung, kurzum, politisch erzieherisch; gespreizt, kurzum erotisch; auf einem anderen blatt stehend, also zugehörig; unter die haut gehend, also bereits wieder heutig oder dermatologisch entblößt; dabei nichts als ein privatbrief, du weißt schon, also verkrakelt bis dorthinaus; und desgleichen mehr. guter text hat weniger text als zusammen mit einem guten leser. sein geheimnis. guter text hat es nicht nötig, gut oder text zu sein. seine unnötigkeit. er braucht natürlich andere texte. das ist seine solidarische moral. er verliert auch niemals keine dummen wörter. das ist sein mißverständnis. denn

das gedicht gibt es nicht. es
gibt immer nur dies gedicht das
dich gerade liest. aber weil
du in diesem gedicht siehe oben
sagen kannst das gedicht gibt
es nicht und es gibt immer nur
dies gedicht das dich gerade
liest kann auch das gedicht das
du nicht liest dich lesen und
es dies gedicht hier nur immer
nicht geben. beide du und du
lesen das und dies. duze beide
denn sie lesen dich auch wenn
es dich nicht nur hier gibt

(Das Hören des Genitivs, Carl Hanser Verlag, München/Wien 1997)

ach ja, es gibt ja eine erdenkliche menge spielregeln und syntaxen: nicht nur die nationalsprachlichen denkbauweisen, die mir eine rolle zuweisen und in denen ich mitspiele, sondern zum beispiel auch die partitur dieses stehens hier vor ihnen, ohne sie auf irgendwelche spielregeln einschwören zu wollen; dann die ganze grammatik im geröll der biographie; die der zeitläufe und geographischen auffächerung; die grammatik der gehabten lektüren und aller nicht zur hand gehabter lektüren: der geschriebenen dinge und, schon anders, der publizierten: die sitten, stundenpläne und gepflogenheiten im umgang mit katzen kolibris kollegen collagen,– der tägliche metabolismus; und wer weiß wie viele andere verhaltensmuster, alphabete und grammatiken noch:

kaldaunen kalmücken orion kalauern
gemeinsamkeiten die sich zeigen in
kollekten kollegen portagen & ibris

kahle zweige sängerinnen kalte hunde
oder karyatiden im gewissen hirnsinn
kaldaunen kalauern kalmücken orion

also auch talmud & talglichtanstalt
zu wandern im bündel & hudel dahin
kollekten kolibris kollegen portagen

lektionen sogenannter kolbenkoller
im untersteuert ungeheuern flugbenzin –
mücken daunen lauern auerochskalifen

melancholiebeswaben – alle akkoladen
mit pfirsich im gefolge bis nach wien
kolibris portagen kollegen kollekten

desgl. bonsai der aparte apache cui
ha bonoretoure troubadoure brütend
kalorien daunen mücken kwerke alles
aus cola portagen mar ossa & lumbus

(Villanella und Pantum, Carl Hanser Verlag, München/Wien 2000)

– und was dann über nacht an einer solchen syntax comembraner villanellenrelativität wie dieser sich plötzlich alles ändern könnte, fragezeichen. über nacht; aber in welchem maßstab wäre dann unser «heute» im «über nacht» zu denken? um welche geschichte der poesie könnte es gehen, wenn wir nach einem «ob überhaupt» fragen, also ziemlich weit von außen nach dem «leben» oder «lesen» im weltall – genauer gesagt, ob nicht vielleicht schon lebenkönnen, egal wie das verliefe, eine gewaltige poetische leistung sei; mit anderen worten: ob man staunen darf, wenn eine struktur sich wahrnimmt, indem sie sich lesend hervorbringt, also irgendwie selber bewußtsein erlangt, text wird;

: ob demnach das organische Leben, welches Sinn produziert, bloß deshalb, weil es Sinn produziert, besser ist als das Nicht-Leben, das keinen Sinn produziert;

: ob es vernünftig ist, daß das Sinn produzierende Leben (also ein Text, der sich lesend schreibt) sich im Resultat des Vorgangs schön findet;

: ob es gut ist, daß der Text (das Leben) es vernünftig findet, daß er etwas schön finden kann;

: ob eine Struktur, die sich als unvorhersehbar erkennt (wie jede gute Poesie), sich überhaupt fragen darf, wohin sie nächstens führt, beziehungsweise ob sie gut und schön und sinnvoll ist, wenn sie sich eine Zweckgerichtetheit (Finalität, Teleologie) anmaßt, einräumt, an den Hut steckt, in der sie selber sich bereits zum Überlebtsein innerhalb einer von ihr gedachten Evolution degradiert;

: ob die Fähigkeit des Lebens (des Textes), solche Fragen zu stellen, die es nicht beantworten kann (hoffentlich), eine Frage seiner eigenen Grammatik und Spielregeln an deren Berechtigung – oder an deren Effektivität? – ist;

: ob Entscheidungsfragen (also solche, die mit Ja oder mit Nein beantwortet werden müssen) überhaupt sinnvoll oder schön oder gut sein können – wenn doch nur die echten Fragen imstande sind, offen zu bleiben – wofür? für wen?

(Das Hören des Genitivs, Carl Hanser Verlag, München/Wien 1997)

– und auch nach welcher stallgeruch-grammatik? wenn beide, poesie wie geschichte, sich folgendermaßen beschrieben vorfinden, ich zitiere:

Geschichte geschieht; Geschichtsschreibung wird gemacht; Poesie geschieht und wird gemacht. Wohin führen knappe Sätze? Sind langsame Sätze ein Schutz vor Vergangenheit? Oder vor Zukunft. Indem ich inadäquat spreche, hoffe ich, mich adäquat zu verhalten: es sind Warnbilder und Beschwörungsformeln. Mein Lebenslauf ist insoweit Geschichte, als ich anteilig existiere – gegen diesen Automatismus bin ich, zusammen mit jedem einzelnen, in der Minderheit. Indem ich schreibe, begebe ich mich aber ganz allein in die Mehrheit. Nun ist dort, wo Geschichte passiert, in den Fakten, eine zunehmende Sprache im Gang; kein Dementi schafft Nachrichten aus der Welt; nachträglich erweist sich ihr Zweck. Die Zeit, die ich brauche, um «ich» zu sagen, ist dieselbe, in der sich rundherum Wirkung in Ursache verkehrt; auch Historiographen sind Menschen; auch Poesie ist Nachricht. Ja, in Wörtern, scheint es, bin ich anders aufgehoben als in der Geschichte; ob besser, das ist die Frage. Es komme ständig darauf an, auf eine exemplarische Weise kein bissel exemplarisch zu sein – denn vor den Folgen des Geredes von Spänen, die im Namen der Geschichte zu fallen hätten, graust es mich. Es graust mich vor dem, was die Grund-und-Zweck-Logik meiner eigenen Wörter, und sei sie noch so reizend historisch gestört, anzurichten imstande ist. Indem ich gegen den Automatismus der Angst vor dem Automatismus anschreibe, spiele ich öffentlich mit der Geschichte des Automatismus. Mein Interesse, «ich» zu sagen, scheint generell zu sein; daraus errechne ich die Chance, etwas anzurichten. Was Poesie ist, weiß ich nicht. Unter der Voraussetzung, das Maß nicht mehr zu kennen, messe ich Sätzen eine Bedeutung zu, die mich vielleicht enthält. Dann gibt es Sprünge. Und darin gibt es keine Sprünge mehr. Poesie im Nachhinein verkommt zu Geschichte.

(Ingwer und Jedoch, Herodot, Göttingen 1985)

im skandalon des anfangs, freilich, vermutet dieser satz, kann sie, die poesie, ja noch unverfälscht auf dem potentiellen weißen blatt gefehlt haben und doch vorhanden gewesen sein. und so einem gleichzeitig sehr hohen und sehr einfachen anspruch genügt haben können – erkenntnis, plötzliche, zu sein und zu bedeuten; bevor dann alles abglitt in die abstraktion unseligster verallgemeinerung. vielleicht spielt sich ja alles in einer kuh ab, sagt gellu naum.
simple erkenntnis wäre demnach bereits ein poetischer akt? weil es keine blöde erkenntnis geben kann? stimmt das?
ja, im skandal des anfangs stimmt es, sage ich im elan.
weil logik, dieses nachgeordnete design, nie im leben poesie ist, fürchte ich im elan.
wie suspekt mir alle ismen sind. wie ich jetzt sogar den satz «gedichte schreiben heute» plötzlich – stichwort elfter neunter auf die frage reduziert sehe: wie vermeide ich es bitte in irgendeiner weise fundamentalistisch zu reden, zu denken, zu fühlen, zu schreiben, also auch zu sein und zu wirken (denn von dem breitgefächerten konnex reden-denken-fühlen-schreiben-sein-und-wirken kann ich nicht absehn, nein!)?
beziehungsweise: wie schuldhaft ist die sprache, sind die sprachen, an und für sich, als system? adam, der alte stalin, scheint mir in so vielen sprechweisen und medialen gattungen, rhetoriken und disziplinen – und lyrik hat mit allem zu tun – nach wie vor virulent zu sein: nicht erst seit platon ist eine fanatisierung der sprache und grammatik in sprache und grammatik angelegt. das böse existiert, seit man es substantivisch denken kann. oder?
relativ einfach wäre ja, die LTI auch heute im deutschen sprachgebrauch zu depistieren. groteske situation: um bei jungen menschen ein organ zum aufspüren von resten der lingua tertii imperii zu aktivieren (mein gott, wieder so ein wort), damit die erinnerung und das was uns alten noch in den knochen steckt wie ein menetekel wachgehalten werden kann, muß ich die LTI doch irgendwie auch evozieren, chemisch ausfällen, in der poetischen retorte, wo sie

«doch rasch flockt»

latex oder fugen-kompost der gum-
miartig aus dem löffel schwitzt

der zu löffeln sich andient und
steht schon im berge zu taufrüh

einem haut- und weichensystem
da noch im gegenzug selbiges ist

eingeselcht vor interdependenz
– und sagen «hörnung» dazu wo’s

eher «organ-mus» wär oder «mel-
tau-photon» – gequetscht zum

tango mit «alpha» und «beta»
einem zur verfügung steigenden

neu wie hoch – stimmt es sei und
heiße deutsch «quirl-aus-dem-balg»

der zu beweisendes schlingt in
klumpen aus «reiß-fuß-spreiz»

über nominalen darren «etruskisch
labbermahl» das nie hören will

doch rasch flockt – kautschukartig
ist eben ein «kleister aus patex»

(Das Hören des Genitivs, Carl Hanser Verlag München/Wien 1997)

beim denken um drei ecken (die der nicht-binäre hut gottseidank hat) ist eben ein «kleister aus pattex» auch ein zünglein von diesem «meister aus deutschland» an dem wir alle irgendwie kleben.
paul celans «todesfuge» wurde in der rumänischen Übersetzung zum «tangoul mortii».
nur daß ja auch in anderen sprachen dieser adam riese alias adam stalin, der alte verallgemeinerer oder sachzwangstratege, spanhobler, rundumbezwecker und -rechtfertiger, wie eh und je am werk ist.
bis in die syntax und grammatik hinein müßten gedichte doch helfen können, normatives denken aufzuweichen bis in die moleküle hinein müssten sie es wagen, selbst gegen vermeintlich populäre gebote der verständlichkeit, ihren text so irreduktibel zu spinnen – oder zu spannen – daß niemand ihn auf präsumptive «kernaussagen» hin eindampfen oder verkürzt zitieren könnte (ungekürzt verschwiegen werden kann er eh immer). ein so schlaues und doch nicht besserwisserisches gedicht läse sich dann sozusagen holographisch: im kleinsten splitter immer schon das ganze – unverkürzt, unverfälscht.
welche Sprache – außer vielleicht einer ad hoc entstehenden paradiessprache – könnte das leisten? zu starr, zu plump, zu mechanistisch, fürchte ich, ist syntax & grammatik, auch die deutsche, höchstens noch bis einschließlich newtons physikalisches Konzept konzipiert.
vielleicht bräuchten wir ja wirklich neue transitiv-intransitive modalverb-ermöglichungen, die spielend besser wären als jede dialektische notgeburt; oder dann ganz neue fälle der deklination – fälle nur für den fuchs, fälle nur für die traube, fälle für die melancholische taube wie für die fingerhutförmige melancholie, für den helikopter usw.; oder präpositionen, die gleichzeitig versuchsanordnungen (spielregel & spielgeld in einem) wären; die ganze melodienskala der noch ungesungenen relationale
oder einfach eine kleine kunstmaschine erfinden, die das dennoch alles leistet.
wie der troubadour arnaut daniel um 1200, als er die wiederholungsformel der sestine analog zu der entstehung komplexer gedanken beim denken im kopf in laute setzte (immer 6-1, 5-2, 4-3), weil er imstande war den stoßseufzer, das wunschgebet von georg christoph lichtenberg vorauszuhören «wie heute» – nämlich «daß es eine sprache geben mögte», so lichtenberg, «worin man eitle falschheit gar nicht sagen könnte, oder wenigstens jeder Schnitzer gegen die wahrheit auch ein grammatikalischer wäre» – herrliches, schwindelerregendes, nicht auszudenkendes desiderat! daß es sogar dem terroristen die sprache, die er gar nicht hat, verschlagen könnte, oder müßte, ach, sollte der lichtenberggedanke ihn je treffen.
nun ja, ich weiß, im antitotalitären konsens treffen sich elegien und oden mit sonetten, palindromen, anagrammen, gehn läppische vokalisen einher mit hochgestochenen sestinen – es wuseln pantum, villanella, buchstabengewichtetheit und andere oulipotische transformationsverfahren herum in diesem grundkonsens; von dem gar nicht geredet werden müßte, weil eiferer eh nicht dazugehören, eh draußen sind und aus gedichten sich nichts machen; während wir schon wieder mancherorts des türmens mit dem elfenbein geziehen werden können, obgleich wir bloß verzweifelt komisch dabei sind, den spielraum und die hexenprobe zwischen determiniert und indeterminiert, möglich und notwendig auszuloten – irgendwie ständig mit dem ungesättigten procedere im kopf, ein sensorium fürs relationale zu entwickeln, sozusagen jenes skalpell aus dem beweglichen stoff, der so künstlich ist, daß es, das skalpell, selber zum denkkörper wird, in das es schneidet. Textgenese als vivisektion. poesie als sachbuch. die erkenntnis als fabrication. scharf unscharf (unschärfe-relationiert) findet umbedingung statt.
und selbst die hoffnung, von der ich lebe, daß nämlich gute poetische texte der naturwissenschaftlichen erkenntnis eh immer eine nasenlänge voraus sind (oh ja!) ist wahrscheinlich nur ein buckel irgendwo in einem fraktal.
denn selbst das. risiko, naturwissenschaftliche und poetische erkenntnis nicht mehr auseinanderhalten zu können, scheint nicht mehr so sicher, wie es droht und blüht in übergangsmomenten diebischer emotion, wenn der kleine drall aus der perfekten symmetrie heraus sich als appendix entpuppt:
selbst die spontangenese eines blinddarms am leib der falsifikation im zuge allgemeinen ideologieabbaus mit hilfe ungeahnter katachresen im auseinanderdriften ebensolcher chancen zur hinterfragung des einwegs sprachentropischer entkrausung angesichts des grotesken protokollcharakters jeder theorie ist oder hat zur folge, bei uns zumindest, die satzaussage.
was tun gedichte? gedichte schreiben heute. anders gelesen, bitte, wäre es ein aufruf (man möge heute doch gedichte schreiben) – der satz läßt sich verwandeln. der satz verwandelt mich.
o. k. die grammatik.
es gibt sie nämlich wirklich nur nämlich. außerhalb des textes, der mich herstellt, rasselt sie durch alle maschen.
erst die grammatik, die durch alle maschen rasselt, sieht ein paar maschen vorbeisausen, die es so nicht gibt. man müßte sie erfinden.
rühmen – das ist’s : rilke.
das unterschiedene ist gut : hölderlin.

WAS ABER IST DIE ÜBERSETZBARKEIT? SIE IST EINLEUCHTEND. Sie ist so einleuchtend, daß der Fuhrmann sie dem jüngsten Sohn abnimmt und ohne Schwierigkeit durchs zwanzigste Jahrhundert vehikuliert. Sie ist ein Hoffnungsschimmer, den Worte an sich haben, die Politik machen, indem sie ihr heimleuchten. Der Kürbis wird von innen erhellt, eine Fuhre Illumination. Wir erweisen Denkanstößen die Reverenz, indem wir sie anstößig übersetzen.

(Höricht, Klaus Ramm, Lichtenberg 1975)

traun

ein wunderbares nachwort hat
der sinn ergeben –
schimmer: da hat die umkehrkraft
ein kleiner satz gemacht
da geht er hin – ein faum
klinamen ist tertiäre mir
da wie der schallin farkt
«het saumlep farenheit»
ihm ungleich: danke –
schönes wort

(Das Hören des Genitivs, Carl Hanser Verlag, München/Wien 1997)