Birgit Kempker

Fliege oder Haar







Ich suchte den Ausgang. Da sah ich das Loch. Das Loch war viel zu gross. Ausserdem war es nicht allein. Es erinnerte mich an das Loch meiner Herkunft und so weiter, und so kam es, dass mir der Himmel wie ein Loch vorkam in all seinen Erscheinungen und Vorstellungsformen. Selbst der Schweizer Käse war darin enthalten und deshalb konnte das alles ja gar nicht der Ausgang sein. Selbst das Ja hier, was mir früher schon manchesmal als Ausgang diente, als kleines schlaues Löchlein, mich raus zu schmuggeln, aus den Bezügen, schien mir enttarnt. Ich sah auch in Augen, Nasen, Ohren, Münder und Anusse hinein, doch auch da bot sich kein Bild des Ausgangs. Ich war jetzt wütend und wäre auch durch Ausgänge gegangen, die sich nicht geboten hätten.

Ich pflügte mit der Schuhspitze den Boden, denn ich wollte in keine Falle treten. Ich wollte auch nicht verbittern, deshalb lächelte ich und tat manchen Schritt, ohne den Boden zu pflügen, obwohl es mich in der Schuhspitze juckte, sie in den Boden zu rammen. Ich fühlte mich so seiltänzerhaft, so ohne Netz, besonders in Kirchen, Fabriken und Schulen, deren Böden schlecht zu pflügen waren, hatte ich dieses Trapezgefühl. Jede Zurückhaltung, jeder ungepflügte Schritt meinerseits wurde vom jeweiligen Boden mit Dankbarkeit aufgenommen. Das erschütterte mich. Je mehr ich mich schämte, je mehr wuchs die Angst und um so mehr Schritte tat ich, ohne den Boden zu pflügen. Der Boden zitterte vor Dankbarkeit. Ich zitterte mit und dachte nicht mehr an Fallen.

Ich kehrte meine Gedanken mit der Schuhspitze unter die Teppiche. Das war nicht schwierig, denn überall lag schon Dreck und ich fügte meinen hinzu. Abwechselnd pflügte ich, lächelte ich ohne zu pflügen und kehrte unter den Teppich. Das Gehen im Dreierschritt beruhigte mich. Es waren Männer, Besen und Radiatoren zu sehen, manche trugen Pullover und andere Uhren. Es war das Land der Gewohnheit, des Walzers. Ich drehte mich. Die Gegenstände häuften sich. Ich streifte Stühle, Tische und Betten, nichts täuschte mich darüber hinweg, wie sehr ich den Boden und was auf ihm stand für Täuschung und deshalb, statt für eine Hügelart, für eine Fussfalle hielt.

Jeder Schritt machte mir Angst. Ich drapierte die Angst mit dem Teppich. Ich fand im Dreierschritt Trost und Kultur. Ich sah allerlei Unrat im Spalt, obwohl weit und breit weder ein Gletscher noch ein Adler über dem Gletscher zu sehen war. Ich sah in den Becher und was ich da sah, war Öffnung und Flüssigkeit. Ich sah Gier und Transport und hätte mich nicht über Gas und Zeppelin gewundert. Da sah ich das Krokodil und den Nil. Ich sah feinen Sand. Der Sand bäumte sich vor mir auf. Ich lachte. Stand ich auf Sand? Stand ich auf einem Krokodil? Ich kippte. Für Angst hatte ich keine Zeit. Es war eine Gratwanderung. Welten bauten sich vor mir auf. Einmal fiel ich in einen gelben Traktor, da war mir die Landschaft sehr nah und ich weinte.

Und ich fiel in die Heide. Die Heide war rosa und sanft. Es war hier sehr komfortabel. Ich hatte die Kipperei satt und buk Brot. Ich buk auch Brot für die hungrigen Geister und warf es ihnen bei jedem Schritt über die Schulter. Die Angst nahm ab. Als ich im Wald stand, stiess ich mit der Schuhspitze an Moos und Igel. Die Tiere frassen mein Brot. Dreck gab es im Wald nicht, auch keinen Teppich und wenig Gedanken. Es gab aber Fallen. Die Fallen waren nicht für mich, weil ich kein Tier war. Das hatte ich vergessen und schrie die ganze Nacht im Netz hoch in den Bäumen gefangen. Die Eule sah zu. Ich biss kein Loch ins Netz. Ich hing zu hoch. Ich war kalkweiss. Ich machte meinem Geschlecht keine Ehre. Das Reh schloss die Augen als der Tiertöter kam.

Die Frau des Tiertöters gab mir Milch aus gekauften Töpfen. Der Tiertöter sah mich nicht an. Ich stellte mich stumm. Die Frau schenkte mir Fell vom letzten Tier. Ich legte es um meinen Hals. Vielleicht war das Verrat. Meine Schultern schmerzten nicht mehr und ich ging mit dem Fell um den Hals weg von der Frau. Eine Ziege wollte mich tränken. Ich suchte den Ausgang und stiess auf Töpfe. Die Töpfe waren reich verziert und aus vielen Epochen. Ich hätte hier an der Erde haften und hocken und studieren können. Ich hätte den Ruf der Mütter gehört. Ich hätte Scholle erfahren und das Sammeln. Ich spuckte das Angebot aus.

Es war Hochmut im Spiel. Kaum griff ich nach den Sternen, stand ich auf Asphalt. Kaugummi war auf den Asphalt gesät. Ich vertiefte das Muster mit meinem Absatz. Bodenhaftung war mir jetzt sympathisch. Kauen, Kleben, Erdbeergeschmack, Vanillearoma, ich glitt auf einer ordentlichen Welle der Zuneigung auf dem Asphalt, an dem ich locker klebte. Das Kaugummi beschäftigte meinen Mund, sog mir die Wut aus dem Kiefer und ausgespuckt begrenzte es mich oben und unten als Muster. Es war ein Fest der Moleküle, ein Molotowcocktail im Moloch der Organe und Ornamente, denn alles geschah in der Stadt und braute sich zusammen.

Baal tauchte auf und war aus Styropor. Ich hasste die Stimme von Brecht und das Geräusch von Styropor. Ich war mitten im Dschungel der Vergleiche. Ich sah auch Römer, Ägypter, Tibeter und Kelten. Alle hatten Götter. Die Anordnung der Götter, ihr Muster, tröstete wie Tapete. Es war aber nicht genug Trost. Ausserdem lenkt Trost ab. Plötzlich hasste ich den Trost. Ich bezichtigte ihn, eine Falle zu sein. Er langweilte mich auch. Tapeten hätten früher auf mich zukommen sollen. Ich stiess mit der Fusspitze nach jedem einzelnen Trost. Da fielen die Götter und lagen unordentlich herum. Ich suchte den Ausgang. Ich verwickelte mich in den Teppich. Ich suchte nach Schnaps, um mich der Erde näher zu bringen. Ich war vom Weg abgekommen.

Zur Strafe musste ich in langen Reihen blendende Gefässe sehen. Sie waren nicht für mich. Sie glänzten und bezauberten mich. Sie sagten, sie seien aus Schaum. Mir war das Material egal. Ich stand davor und fühlte mich wie drinnen, als Flaschengeist, der den Ausgang sucht, auch wenn ich so ganz anders war. Das stürzte mich in Konfusion. Suchte ich den Eingang? Der Flaschenhals tat mir weh. Ich griff nach dem Fell. Pet, Amphore, Becher, Vase: ich verlor mich an das Studium der Gefässe. Es schwebten mir viele Namen vor. Keiner ergriff mich. Nichts weckte meinen Sinn für Geschichte.

Gott tauchte auf, unsere Leute schauten nach oben. Die Stimmung war lau. Es war haarscharf einer dieser Momente, in denen man gerne seinen Hintern zeigen würde. Ich suchte den Ausgang. Da sah ich, dass einige ihren Hintern zeigten. Sie lullten mich ein mit ihrem Gesang. Sie maulwurften und wuselten um mich herum mit Nahrung und Getränken. Sie mummelten mich in Decken. Ich sollte mich unter Schwestern und Brüdern fühlen. Ich hatte es aber jetzt wirklich satt. Ich duldete keinen Aufschub. Ich hörte wie meine Grossmutter sagte, nichts würde durch Suchen gefunden, nichts. Ich hörte also auf.

Ich hatte jetzt viel Zeit und suchte eine Beschäftigung. Ich kauerte mich auf den Boden und stänkerte. Ich rührte mich nicht mehr vom Fleck. Ich meditierte. Ich war entschlossen, keine gute Figur zu machen. Ich war entschlossen, mein Ego nicht zu nähren und nicht zu ärgern, auch nicht, wenn es mich ärgerte. Ich wusste nicht, wer mein Ego ist. Es war so eine Art Affe. Ich versuchte nicht daran zu denken, dass ich nicht an das Suchen vom Ausgang denke und auf meine Grossmutter höre. Ich machte eine sehr schlechte Figur. Ich hatte Spass mit dem Affen. Ich stank zum Himmel, so konnte es nicht weitergehen.

Ich sah mich um und sah, dass die anderen etwas machten. Es war Kunst. Ich fand es gerecht und passend, etwas zu machen, an dem die anderen vorbeigehen, während sie den Ausgang suchen. Ich ging durch Fabriken, Kirchen und Schulen und tippte mit der Schuhspitze an Stellen, wo sie das hinstellen sollten, was ich gemacht hatte. Es waren Herren und Damen in Kunstbetrachtung verloren und Radiatoren, Fernsehleute und Reinmachefrauen zu sehen. Ich war nicht allein. Eines Tages würde ich eine Suppenterrine erschaffen und darin ertrinken. Ich begriff, dass ich eine Fliege war. Oder ein Haar.


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