Leopold Federmair

Das ewige Lob
Die Dichtung Michael Donhausers bewegt sich fern vom Zeitgeist





Neue Zürcher Zeitung, 30. Mai 2006


Das literarische Unternehmen, das Michael Donhauser seit mindestens fünfzehn Jahren mit grosser Konsequenz und Gelassenheit verfolgt, wirft immer wieder die Frage auf, wie wir der Welt gegenübertreten. Denn dass wir es tun und dass in dem, was Heidegger als Dasein charakterisierte, die Glücksbedingungen des Ästhetischen liegen, daran will Donhauser keine modischen Zweifel hegen. Aus dieser grundlegenden Sicherheit ergibt sich dann weiter ein Sprachvertrauen, mit dem sich der 1956 in Vaduz geborene, in Wien und Vaduz lebende Autor abseits der diversen Strömungen der literarischen Moderne befindet – und dennoch in beständigem Austausch mit ihr. Lyrische Sprechweisen, die in seinen Texten oft durchklingen, kommen von weiter her. Goethe oder Hölderlin, Michael Donhauser bewahrt sie und trägt sie weiter, indem er ihre Inhalte entdramatisiert, den alten Formen ihre Strenge nehmend, sie in neue Kontexte, neue Nachbarschaften stellend.

Das Ich mittendrin

«Erzählen oder Beschreiben» lautet eine Alternative, die Georg Lukács einst der Epik aufzwang (wobei er freilich an den bürgerlichen Roman des 19. Jahrhunderts dachte). Donhauser ist in seiner Lyrik zumeist auch Erzähler, aber jene Alternative gilt für ihn nicht, denn die Möglichkeiten, sich in Beziehung zu setzen und sich berühren zu lassen, sind unendlich viel feiner. Das lyrische Ich – auch dieses wird von Donhauser «gerettet» – steht nicht über dem, was es zu erzählen hat, sondern mitten in der Welt, und es macht sich keine Sorgen über irgendein Ende.
Nicht Beschreibung ist sein Ziel, sondern bescheidener: Anrufung, Beschwörung, Beseelung. Seine Aufgabe besteht darin, dem Sprachlosen Ausdruck zu schenken, also sich in es hineinzuversetzen. Und sie besteht darin, die Formen, die dem Sprachlosen eignen, aufzuspüren. Dem Ich eröffnet sich dabei die Chance, sich in dem, was ihm zunächst entgegensteht, aufgehoben zu sehen. Bei Donhauser sind dies Landschaften mit ihrem Licht und ihrer Weite, aber auch einzelne Dinge, Tiere, Mitmenschen, oft Zufallsbegegnungen. Und diese Landschaften erweisen im lyrischen Sprechen ihre Form, ihre Staffelung, ihre Zwischenräume, ihr Mass und die Abweichungen vom Mass, die eine zugrunde liegende Harmonie bestätigen. Donhausers Gedichte sind durchaus und mit Absicht «hohe Literatur», ihr Ton ist oft getragen, auch wenn da und dort Brüche oder Ironien eingefügt sind.
Der vom Dichter zusammengestellte, vor kurzem bei der Edition Urs Engeler erschienene Auswahlband «Ich habe lange nicht doch nur an dich gedacht» veranschaulicht jene fünfzehn Jahre des Abtastens der diversen Möglichkeiten lyrischer Formensprache, und er zeugt von einer unbeirrten Suche nach den Augenblicken, in denen eine Freude des Existierens spürbar wird. Dabei begibt sich seine Sprache in diverse Spannungsfelder, so zwischen Konkretheit und Abstraktheit, wo die Phänomene zu Motiven werden, die sich auf den Buchseiten gleichsam einnisten, so zwischen Horizontalität und Vertikalität, zwischen einer fast episch zu nennenden Breite (in den Diptychen aus Saint-Nazaire) und einem fliessenden Ton, wo einander in schmalen Textgebilden die Laute berühren und weitertreiben (in den Gedichten von Lev Enes, einer Kunstfigur, die an Hofmannsthals Loris erinnern kann oder an die Homonyme Pessoas).

Form und Freiheit

Vielleicht liegt diesen Spannungsfeldern eines zugrunde, nämlich das zwischen Form und Freiheit Aufgespannte, wo überlieferte Regeln lyrischen Sprechens immer wieder gesetzt und befolgt, aber ebenso bewusst auch übertreten, beiseite geschoben oder abgeändert werden. In den 78 Dreizeilern erstaunt die Freiheit und Sicherheit, mit der Donhauser den Geist des japanischen Haikus erfasst und in seine ästhetische Welt überträgt. Und durchwegs erstaunt die Vielfalt der Rhythmen, die Donhauser zu schaffen imstande ist, von lieblichen, springenden, scheinbar naiven Versen bis hin zu den weiten Perioden seiner lyrischen Prosa, in denen sich, oft um unscheinbare Einzelheiten herum, ganze Erzählräume auftun.
Die Gegenden Donhausers laden zum Verweilen ein. Der Leser stösst darin auf Sätze, die sich einprägen, die nachhallen oder nahe bleiben, mit ihm weiterwandern. «Regentage hiess, nah zu wohnen dem / Himmel mit Wolken und Pfützen im / Asphalt …» Wir lauschen: dem Regen, dem Satz. Der dann verklingt oder von sich aus zurücktritt, um das Wahrgenommene bestehen zu lassen, oder auch nur die Schatten der Dinge, «die Ruhe gewährten, wo rauschend die Silben als Worte vergingen und ein Atmen in allem lebte, wehend von fernher und feiernd, mit den Blättern, bis in die Nacht, das ewige Lob».
Das Goethesche «Stirb und werde», von Donhauser zu Beginn des 21. Jahrhunderts nachvollzogen, betrifft «die Natur, wie die Menschen sie oft nannten», und es betrifft die Dichtung, es betrifft immer noch dieses eine Gedicht.



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