Birgit Kempker

Im engeren ethnisch-territorialen Eigenbereich







Als der Schornsteinfeger an die Tür bollerte, sass der Knabe auf dem Bett und machte nicht auf. Der Schornsteinfeger bollerte nicht so, dass ich ihm gerne aufgemacht hätte, sagte der Knabe, er hörte sich nicht wie jemand an, den ich gerne gesehen hätte. Hast du mir gesagt, dass er kommt?
Hatte sie. Die Frau schloss die Augen vor Wut. Doch dann dachte sie an die Angst vorm schwarzen Mann. Sie dachte auch, es wär besser gewesen, dem Schornsteinfeger zu öffnen. Hat er nicht gesagt, wer er ist? Ein Schornsteinfeger kommt immer wieder, sagte sie.
Der Schornsteinfeger hat es gerochen. Er hat es auch an der Musik gehört, dass sein Bollern vergeblich ist, und deshalb bollerte er so vergeblich, wie einer, dem nicht aufgetan wird, wie er es kannte, hasste und fürchtete und wie er es wirklich leid war, verzweifelt leid, den Widerstand der Leute. Der Schornsteinfeger war: Montag, 7 Uhr 30, Dezember, am Höhepunkt seines diesjährigen Elends angelangt.
Es half dem Schornsteinfeger nichts, er musste erneut Einlass begehren und die zwei Öfen, zwei Kamine und zwei Ofenrohre putzen, es war seine Pflicht. Er schrieb auf einen Zettel: Montag, sehr früh, Und es wird sehr teuer, schrieb der Schornsteinfeger. Montags, sehr früh, wie geschrieben, kam er wieder und zeigte der Frau, was ein Schornsteinfeger ist, was sie wohl vergessen habe, aber wissen müsse, war sie nicht sieben Jahre lang im Quartier des Kollegen als Hausmeisterin in diesem Wohnblock beim Sportplatz für die Heizung zuständig gewesen? Hatte er nicht viel Gutes über sie gehört? Wusste sie nicht alles über Öl, über Nachtuhren, Tagschalter, über das nächtliche Eindringen und Verstellen der Uhren durch zitternde, giftige Greise und böse, geizige Jungfern, wusste sie nicht alles über Katzen, Russ und Aberglauben? Hatten sie nicht, sie und der Kollege, Schnaps und Kaffee getrunken darauf? War sie nicht loyal? War sie nicht sozusagen der Lieblingsofen in der Stadt? War sie. Hatte sie. Aber nicht in der Wohnung, sagte sie.
Die Ex-Hausmeisterin hatte noch nie einen Schornsteinfeger gekannt, der in die Wohnungen und da an die persönlichen Öfen und Rohre will, da, wo sie herkam und der Knabe, waren Schornsteinfeger sehr begehrt, sie kamen nur in die persönliche Wohnung, wenn es nicht brennt, also auf Wunsch. Da musste man sie schon ganz schön bitten, sagte sie.
Haben wir den bestellt, fragte der Knabe. Ich habe geklopft, sagte der Schornsteinfeger, es stand eine Woche lang deutlich an der Tür geschrieben, Tag und Uhrzeit, mein Junge, klar? Sie haben nicht geklingelt, sagte der Knabe, für Fremde ist die Klingel da, klar? Sie haben mir nichts zu sagen, was suchen Sie hier? Knabe und Schornsteinfeger schaukelten sich hoch.
Der Schornsteinfeger stiess den Knaben aus der persönlichen Wohnung und machte sich an den Ofen der Frau, dann an den des Knaben. Der Knabe sass mit nackten Füssen draussen auf der Treppe und heulte. Der Schornsteinfeger riss die Rohre aus der Wand, pustete den Dreck ins Zimmer auf die Bücher, auf die Betten, auf die Briefe, half mit Spiralfeger dem Russ kräftig nach, durchstöberte die Löcher, hinterliess seine Finger auf Türen und Wänden, sogar auf dem Fenster und auf dem Schrank. Er hustete, klopfte die Rohre gegen den Ascheimer, pochte mit der Faust am Schamott, bröckelte den abgeklopften Schamott vollends ab, schnaubte was von Flickverbot, von auf die Pfoten haun, von kriminellem Dilettantismus, demontierte anschliessend improvisierte Heizungserleichterungen, zum Beispiel die Schliessung eines grossen unnützen, das Heizen erschwerenden Loches. Lassen Sie das Loch geschlossen, bitte, sagte die Frau, das ist Ofenschamott aus dem Coop. Mit welcher Befugnis, schrie der Schornsteinfeger, mit keiner, ich aber, mit grosser Befugnis, schrie er, der einzigen und werde ausgeschlossen, jetzt schreib ich euch die Rechnung.
Er ging mit seinen grossen Kohlefüssen in die Küche, um die Rechnung zu schreiben. Ich brauche einen Stuhl und einen Tisch, sagte er, und einen Stift. Er berechnete den doppelten Weg, schimpfte, dreckte und verschwand. Die Frau zahlte, fluchte mit dem nacktfüssigen Knaben, dann mit sich, kniete sich mit Lauge und Wurzelbürste auf den Boden und schrubbte die grossen schwarzen Füsse des Mannes erst aus der Küche, dann aus dem Flur, dann aus den persönlichen Ofenzimmern. Am Abend waren alle Taschentücher schwarz und danach war Bronchitis.
Dann ist wieder Winter. Der Zettel an der Tür mit: Montag und: Sehr sehr früh. Der Schornsteinfeger kommt, sagt die Frau, du weisst schon, bitte kauf Planen. Der Knabe zieht die Kapuze über die Ohren, lässt die Tür auf, die Fenster auf, Schrauben, Muttern und Gewinde auf der Treppe, läuft in die Stadt und kauft einen Kickpin, keine Planen. Denkst du, ich schlepp mich ab mit Planen?
Die Frau schleppt sich mit Bronchitis in die Stadt. Sie klebt die Zimmer mit Planen ab und legt Zeitungen aus. Ich habe Bronchitis, sagt sie. Der Schornsteinfeger flüstert. Es ist derselbe, flüstert der Knabe. Der Schornsteinfeger dreht sanft die Rohre aus den Löchern, klöpfelt die Asche in den Eimer und kehrt hinter sich auf. Der Wecker der Frau schellt. Der Wecker des Knaben schellt. Bin ich zu früh, sagt der Schornsteinfeger. Der Wasserkessel pfeift. Der Knabe steht mit Kapuze über den Ohren in Pyjamahose erschüttert in der Küche. Er kehrt, sagt der Knabe, gib ihm Trinkgeld. Zieh was an die Füsse, sagt die Frau.
Der Schornsteinfeger schreibt die Rechnung auf den Knien auf der Treppe: 74.20, sagt er. Die Frau gibt ihm 100. Geben sie mir 20 raus, sagt die Frau. Gute Besserung, sagt der Schornsteinfeger. Es ist jetzt 7 Uhr. Die Frau geht ins Bett. Der Knabe geht in die Schule. Die Bauarbeiter im Haus gegenüber mischen den Beton für das Altersheim. Die Kreissäge sägt die Bretter für die Verschalung. Der Schornsteinfeger bollert an die Tür. Die Frau verlässt das Bett. Der Schornsteinfeger geht an der Frau vorbei in die Küche und macht die schwarzen Füsse. Er hat vier Franken zuviel berechnet, weil er dachte, unten kriege er Kleingeld, der Schornsteinfeger treibt die Frau vor sich her durch die persönliche Wohnung: Suchen Sie die Rechnung, sagt er und macht überall die grossen schwarzen Füsse. Geben Sie mir den Stift, sagt er, setzt sich in die Küche an den Tisch und schreibt die Rechnung um.


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