Birgit Kempker

Es war immer so




Es war immer so, sagte der Mann zur zweiten Frau. Niemals, wenn sie ihr Glas leerte, war es leer. Immer ließ sie den letzten Schluck im Glas zurück. Leer dein Glas, sagte er.
Sie war eine Frau, die ihr Glas nicht leeren konnte.
Die zweite Frau sagte nichts. Der Mann wußte nichts.
Er sagte zu seinen Freunden, ich habe jetzt eine Frau, die ist nicht wie die erste, die zweite Frau weiß ihr Glas zu leeren.
Er wußte nicht, daß auch die zweite Frau eine Frau war, die ihr Glas nicht leeren konnte.
Die zweite Frau war klug geworden. Sie trank aus Moccatassen mit Rosendekor, mit bunten Affen, mit Fels und Vogel.
Das Glück hätte kommen können. Die zweite Frau hatte den letzten Schluck gut im Griff.
Der Mond steht rund über dem Fluß. Wildenten landen mit gestreckten roten Beinen, die Füße daran wie zur Abwehr gegen das Wasser, klingeln im Flug wich wich, quaken waak waak, die Erpel: räb räb.
Die ersten Mücken kommen. Die Möwen ziehen weiter in den Norden. Tauben nisten im Dach. Herr Hoffmann von unten schlägt Frau Hoffmann nicht. Der Kater auf dem Dach und die Katzen, schreien und jodeln nicht.
Der Mann war am Abend in die Frau gedrungen und in der Nacht. Es war feucht und warm, zum Liegenbleiben, zum auf den Fluß schauen morgens im Bett. Der Mann stand auf. Er zupfte die Reste der Nacht weg. Wie immer lag das Bad über den Flur, außerhalb der Wohnung. Bald wäre es ein schöner Morgen mit dem Duft von Kaffee, ein schöner Tag, ein schönes Leben: Glück.
Wenn zwei unter einer Decke lieben, sieht auch die Decke so aus. Die Decke unter der der Mann und die zweite Frau beieinander und ineinander lagen, war die Decke der ersten Frau, als diese noch nicht mit dem Mann lag.
Keine Decke zum Zusammenliegen, es war eine Decke zum Reisen, ein Daunenschlafsack, der federt und rasselt.
Das wußte der Mann nicht. Da die erste Frau kein Glas leeren konnte, konnte sie auch ihren Hausrat nicht ganz aus der gemeinsamen Wohnung nehmen, als sie ging, ließ sie den Schlafsack zurück.
Da sie kein Glas leeren konnte, da sie ihren Hausrat nicht mitnehmen konnte, konnte sie auch nicht gehen.
Das kann nicht das Ende sein, sagte die erste Frau und stand vor der Tür, für die sie keinen Schlüssel mehr hatte.
Das ist das Ende, sagte der Mann.
Unsere Liebe ist am Ende, sagte er, als verstünde sie nicht, als vielleicht das Glück da war.
So kam es, daß der Schlafsack der ersten Frau in der Wohnung der ersten Frau und des Mannes, in der Wohnung des Mannes allein, in der Wohnung des Mannes und der zweiten Frau blieb. Die immer dieselbe war.
Die zweite Frau war es jetzt, die das Wechseln der Wäsche besorgte, den Schlafsack überzog, damit Mann und Frau zudeckte. Er hätte den Reißverschluß durch die Bettwäsche fühlen können und hören.
Er hätte sie fragen können, warum rasselt die Decke, Frau?
Die zweite Frau drehte die Decke um, so daß sie mit den Händen das Fußende zu fassen bekam, es geriet ihr ein Federchen der ersten Frau in die Nase, hatschi.
Die zweite Frau schüttelte die Decke der ersten Frau, da sich die Federn in der Nacht am Fußende versammelt hatten, bis sie sich zur Mitte verteilten und ließ beide Hände sinken.
Weiter, sagte der Mann.
Sie steht auf, sie zieht den einen, den anderen Hausschuh an den einen und anderen Fuß. Sie nimmt ein Glas. Sie öffnet die Tür, sie geht über den Flur, sie dreht den Wasserhahn auf Sie füllt das Glas und leert das Glas. Sie füllt das Glas und leert das Glas. Sie füllt das Glas und leert das Glas.
Setz ab, sagt der Mann.
Sie füllt das Glas und leert das Glas. Bis das Wasser aus den Lippen schwappt. Der Mann dreht den Wasserhahn zu.
Es kam die Zeit, als ihr nichts in der Hand bleiben wollte, Teller und Tassen fielen zu Boden, die Tassen, die Teller und in der Nacht der eigene Mann.


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