Tobias Lehmkuhl

Vielgepriesen und kaum verkauft




Von einem Lyrikboom war in den letzten Jahren immer wieder die Rede, von einem neu erwachten Interesse am deutschen Gedicht. Poesiefestivals fanden regen Publikumszulauf, und auch in den Feuilletons wurde hin und wieder ein Lyrikband besprochen, wurden Dichter mit verehrungsvollen Essays bedacht. Auf den Verkauf, der laut Hans Magnus Enzensberger ohnehin so konstant wie verschwindend gering ist, hatte diese Aufmerksamkeitsschwemme jedoch keinen Einfluss, im Gegenteil. Es scheint, als würden immer weniger Gedichtbände an den Mann gebracht werden können.

Auf jeden Fall werden weniger verlegt. Preisen angesehene Lektoren die deutsche Gegenwartslyrik auch als ästhetisch aussergewöhnlich reizvoll, als erheblich reizvoller gar denn die inzwischen ebenfalls vielgelobte Prosa, so wurde es für dieselben Lektoren doch zunehmend schwer, Lyrik in ihren Verlagen durchzusetzen. Hatte etwa der DuMont-Verlag einst ein ansehnliches Lyrikprogramm aufgebaut, so ist davon nach dem Tod von Thomas Kling und dem Weggang des Lektors Christian Döring nichts mehr geblieben. Auch der Suhrkamp Verlag, über Jahre der wichtigste Entdecker neuer Talente, hat für junge oder jüngere Lyrik keinen Platz mehr. Von anderen grossen Verlagen zu schweigen.

Zwischen allen Zeilen

Bleiben noch die kleinen. Bliebe noch der Urs-Engeler-Verlag. Doch wie soeben bekannt wurde, wird dieser sein Programm zum Ende des Jahres ganz einstellen. Mit mäzenatischer Unterstützung waren bei Engeler seit der Verlagsgründung 1995 einige der wichtigsten und interessantesten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartslyrik erschienen, Elke Erb, Ulf Stolterfoht und Michael Donhauser zum Beispiel, ausserdem Erstübersetzungen von Werken Hilda Doolittles und Gertrude Steins, die gesammelten Gedichte des grossen Gellu Naum, CDs mit Arbeiten von Oskar Pastior, die Poetik-Zeitschrift Zwischen den Zeilen und vieles andere mehr.

Nun, da die mäzenatische Unterstützung weggebrochen ist, wird sich der Engeler-Verlag allein durch den Verkauf nicht mehr tragen können. Ein letztes Herbstprogramm soll noch erscheinen, mit Gedichten von Stolterfoht und Pier Paolo Pasolini, Essays von Andrea Zanzotto und Werner Hamacher sowie Prosa von Kurt Aebli und Ulrich Schlotmann. Danach wird Schluss sein. Zwischen den Zeilen wenigstens hofft Engeler noch zu retten.

Für seine Autoren steht zu hoffen, dass andere Verlage sie aufnehmen. Doch für jemanden wie Ulf Stolterfoht etwa, «seit elf jahren erwerbslyriker und engelerartist», einen so vielgepriesenen wie kaum verkauften Ausnahmedichter, wird es schwer werden. Dort, wo in bescheidenerem Umfang als bei Engeler noch Lyrik verlegt wird, bei Kookbooks, Luxbooks und der Edition Korrespondenzen, sieht es ohnehin kaum rosiger aus. Nicht mehr lange, so der Eindruck, und man wird all die Lyrikpreise, die es in Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt, nur noch an unveröffentlichte Autoren vergeben können.



(Aus: Süddeutsche Zeitung, 27. Mai 2009)





























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