Birgit Kempker

Spuren einer Begegnung / Du kleckerst, sagte mein Sohn.




- Du kleckerst, sagte mein Sohn. Mit der linken Hand, die vom Herzen kommt, versuchte ich die Spuren, wohl vom Kragen oder Brustbereich, zu wischen. Plötzlich wusste ich nicht mehr, wo das Herz sitzt, springt oder liegt. Es strahlte beim Schlagen bis zur Gurgel hoch, oder aus? Es war ja kein Baum. Mein Kehlkopf hüpfte eine Hand lang nach oben, bis in die Augen, die flackerten, und vier Hände lang runter, bis in die Hoden, die wie Pfläumchen aneinander schlugen, Ding Dong, bis in den Rücken und bis in die Brustspitzen, beide, die elektrisch zuckten, als nagten Nattern dran, als bissen mich all die verschleuderten Kinder, die nimmersatten ungeborenen Biester, als sei ich die milchspendende Instanz und zuständig für Inkarnation, als ginge es um Milch.

Es ging um die Spuren von dem, was ich aus ihr, auf ihre Empörung, auf ihre Aufforderung hin, es sofort zurückzunehmen, zurückzunehmen mich automatisch den Kopf in die Stellung des Schwanzes zwingend, mich vielleicht ungeschickt, aber immerhin angeschickt und meinen Sohn im Auto, im Volvo sitzen gelassen, auf die Strasse vor das Haus wie einen Privatschnüffler plaziert hatte, in genau dieser Umständlichkeit, Verwirrung, Verrenkung der Glieder, Personengrenzenverschiebung, Warten aufs Verb, und das alles vor seinem Gesicht und vor Ihrem. Sehen Sie, wie mir meines Sohnes Stiefschwesterchen oder Stiefbrüderchen aus den Mundwinkeln rinnt, sich zum eiweisshaltigen Klecks verdichtet und wohl auf dem Kragen oder Brustbereich ansiedelt, zum Knister trocknet, zum Pennerabzeichen, während ich, wahrscheinlich weinend und davon Augen, Wangen, Nase, Mund und Hals genässt, versuche, die linke Hand unauffällig in die Nähe des Klecks zu bugsieren. Mein Sohn hatte ein Recht auf einen, wenn nicht wie aus dem Ei gepellten, dann wenigstens knisterfreien, kleckerlosen, fleckentfernten und wenn nicht Vater, dann wenigstens Erzeuger, ausserdem hatte ich Gift zum Ejakulat gesagt, das fällt auf einen zurück. Da fiel mir ein, dass ich ihn befeuchten müsste, den Finger, um den Klecks vom Kragen oder Brustbereich zu wichsen, war wichsen das Wort?

Meine rechte Hand fuhr auf Höhe des Nabels zurück zum Mund, um Spucke zu holen und kollidierte auf Höhe der Brust mit der linken, die direkt zum Mund wollte, ohne vorher woanders hin zu wollen, nur viel langsamer, phasenverschoben, weniger wollte, als musste, sie tat das, um festzuhalten, was mal mein Mund war: weich und formlos, wie nach einer Spritze, wie eine Schnecke, wie nach einem Versprechen, nach einer Ungeheuerlichkeit, wie nach Kröten aus dem Mund, und während ich weiter Vergleiche samt Verfall aufzuhalten suchte und händeringend über Zeugma ins Grübeln verfiel, ins Stocken, über Stock und Steinchen stolperte, Strategien, Rhetorik, Sie wissen schon, presste ich die beiden Schlangen zusammen, die sich überkreuzten, die sich in Ermanglung des Kaninchens gefrässig ineinander keilten, drückte sie mit aller Kraft auf die Gürtelschnalle, meine Hände, und wollte meinem Sohn etwas Beruhigendes sagen - Sieh deines Vaters Hände sind Schlangen, nicht seine Zunge - so etwa, das war die Satzhülle.

Der Satz war etwas, was ich gerade verschlang, in mein weit geöffnetes Gesicht, wie im Huhn die Kloake, die jetzt den Sohn zurücknahm, wollte, musste, schlürf schlupps. Dazu gesellte sich das Zeusbild: ich, und wie mir mein Sohn strahlend mutterlos, ficklos also, meiner nicht dichten Fontanelle, vermutlich ungekämmt oder glatzig potent, entschlüpft und eine Sonne ist für mich, mein Sohn, dem die Aufklärung per Papa die Augen aufriss. Bald aufreisst.

- Papa, Mutti, Vater - schrie mein Sohn in meinen Mund. Waren nicht Ohren an meinem Kopf? Erkennt er mich nicht? Für was hältst du mich eigentlich? Schmeckte nach Blut. Eisen. Ich knallte mit dem Hinterkopf gegen das Glas. Ich sah nicht Sternchen. Ich sah Löwenzahn. Es war Panzerglas oder sonst unzerstörbar. Meine Autismus simulierenden, Elefantenrüssel nachäffenden, Kontakt suchenden und eigentlich sich das Geweih schabenden Versuche, das Glas, die Qualle, den Kopf, das Hirn oder was sowieso schon in Auflösung war, das ganze Gesicht, die Kloake, und das vor dem Gesicht meines Sohnes und vor Ihrem, das alles - was weiss ich, was es alles war, es war wie Krieg - zu zertrümmern, oder wenigstens die Quelle davon: die Schlangen, die Hühner, die Qual zu zerschlagen und meinem Sohn endlich strahlender Vater, Apoll sein, gelang nicht.

Ich war ein Pisser. Ein Wurm. Ein Fortsatz. Eben noch hatte ich von ihrer niemals befriedigenden Zone geschrieben und dieses an eine Zeitung weitergefaxt, über die sich Augen neigen, während ich vor Ihren Augen von meinem Kern schreib, meinem Tötungswunsch ihr gegenüber, dieser Zone, diesen Tötungswunsch entfalte, den ich mit dem liebevollen und uns allen satt bekannten Satz zu dämpfen trachtete - Willst du Kinder - fragte ich - Ich bin nicht dein Westen - sagte sie, bei den Indianern heisst das: ich bin nicht dein Tod. Ich bin nicht dein Wesen, im Westen, oder: nicht deine Tasche, dein Futteral, oder war das im Osten? Wittgenstein?

Jetzt will ich Ordnung. Ich glaube, Sie auch.

Der Tötungswunsch war. Der Volvo war. Der Volvo wollte durchkommen, in einen Freiraum münden und während wir in eine Zwischenzone glitten, durch Berlin, ab in den Zoo, ins Aquarium, wo alle kummervollen, zerschnittenen Familien landen, vor der Qualle Zenia, wollte ich, dass mein Sohn den Mutternamen auf dem Hinweisschild sah: pumpende Qualle Zenia.

Ich will nicht, dass mein Sohn in die Hölle kommt, nur weil er die Wahrheit über seine Mutter kriegt, aus meinem Mund, was er will, volle Dosis.

- Erst zu den Spinnen - sag ich. Da hat er die Schnauze voll, dass ich ihm in Sachen Mutter mit Qualle und jetzt noch mit Spinnen komm, ich selber Spinner, dass ich ihn voll kipp mit meinen Bildern, was bestimmt nicht seine Mutter ist: dieser glibbrige Zoo. Oh, ich wünschte inbrünstig, er knallte mir eins, mir hysterischem Geist, dass ich aufschreck, aus diesem Geisterfleisch. Ich bin sehr enttäuscht.

Mein Sohn hat keine Lust, mich wachzuhaun. Ich hab keine Lust, mich hier wacker zu halten. Über nichts gibt es so dumme Sätze wie über die Liebe. Nichts wird so vermisst wie die Liebe. Über nichts wünschen wir uns so sehr so wenig dumme Sätze wie über die Liebe. Wir wünschen sogar Sätze, die so tun, als ob sie Liebe sind. Wir wollen, dass Sätze Liebe sind. Und auch nicht, weil sobald etwas da ist, wollen wir auch, dass es nicht da ist. Als wäre es gar nicht da, wenn es nicht auch nicht da wär. Ausserdem haben wir Angst.

Die Liebe ist dumm und ihr steht's, den Sätzen nicht. Ich wär lieber was, für das es keinen Namen gibt. Sie würden das Gesicht auf die Zeilen neigen, Sie würden sich in die Zeitung vertiefen, mit dem Kopf voran, dass die Zeitung das Untere und Sie das Obere wären. Dann würden Sie mit einem kräftigen Ruck und Lift in die Kindheit, und wenn Sie keine hatten, in die Kindheit von jemand, der eine hatte, schifften, durch den Tunnel, durch Löcher fallen und das Schiffchen bauen. Geneigtes Gesicht, setzen Sie das Schiffchen in die Wanne. Dann sich. Gleiten Sie bis zum Kinn in den Schaum, bis zur Oberlippe. Setzen Sie das Schiffchen auf den Kopf. Jetzt lesen Sie.

Jetzt kriegt mein Söhnchen Wut. Er hasst es, wenn ich kindisch bin. Er haut mit dem Skateboard an die Badezimmertür und sagt das, worauf ich stolz bin, dass er es sagt und mich bis unter die Erde schäme.

Papa, Mutti, Vater - schrie mein Sohn in meinen Mund. Warn nicht Ohren an meinem Kopf? Erkennt er mich nicht? Für was hältst du mich eigentlich?


Für Quereinsteiger: Zur Hauptseite von Urs Engeler Editor