Jörg Drews

«du feist fass ich fill!»
Zu Urs Allemann: im kinde schwirren die ahnen


Wenn er seine Gedichte vorliest – ins Buch ist eine CD einmontiert; danke! –, dann steigt er ziemlich forciert ein: gewissermaßen überdeutlich. Der Furor tut aber gut, denn Urs Allemann erzwingt durch so massive Artikulation Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Dichtarten und Verfahrensweisen, den – mit Hölderlin gesprochen, der eine wichtige Rolle spielt in Allemanns Poemen – «Wechsel der Töne». Wenn er ein Gedicht mit «abendgesang» überschreibt, dann hört man bei allem Befremden doch das heraus, was man früher ein «Naturgedicht» nannte, ein anschmiegsames, aber nicht sentimentales, das zugleich über seine Gemachtheit spricht; wenn er sein Kalauer-Gedicht liest, dann hört man irritiert die Nachbarschaft zur Kargheit der Einzeiler Günter Eichs heraus; wenn er «semikolon; doppelkoma» anstimmt, lässt er fast knallig hervortreten, dass in diesen Gedichten Satzzeichen und Seufzer das diskutierte Sprachmaterial sind, Satzzeichen und ihre rhythmisierende, gliedernde Funktion – und sage keiner, dass das nichts mit Lyrik zu tun hätte; man denke nur daran, was ein «Ach!» in der deutschen Dichtung alles bedeuten und auslösen kann!

Außerdem ist Allemann ein Komiker von Graden und ein großer Performer seiner selbst, und dazu gehört, dass er bisweilen einfach in Gesang ausbricht, meist nur über zwei, drei Zeilen, aber dann merkt man die ironische Sangbarkeit, die man einem scheinbar gleichgültigen Ablauf von Worten unterlegen kann: Wie klang das, was war denn das noch mal? fragt man sich, und richtig: «Sag zum Abschied leise Servus» kriegt man plötzlich ins Ohr, oder es war die Melodie von Mozarts «Ah vous dirai-je Maman» (besser bekannt als «Morgen kommt der Weihnachtsmann…»).

Langweilig ist das keinen Moment, auch nicht in Fällen, wo man jedes Wort einzeln, aber kein Wort im Zusammenhang versteht; da nimmt sich Allemann die Lizenz, Elias Canettis einst als Maxime formulierter Einsicht zu folgen, dass Sprache keineswegs immer unmittelbar der Kommunikation zu dienen verpflichtet sei, vielmehr auch die Fähigkeit habe, die lustvolle Verweigerung von Kommunikation, nämlich Dunkelheit und Rätsel herzustellen (eventuell sogar Lügen).

Die Titelzeile «im kinde schwirren die ahnen» ist ein schönes Beispiel dafür, wie Allemann in seinen Wortfolgen noch lockend und irritierend eine andere Wortfolge ahnen lässt; das klingt doch irgendwie bekannt, denkt man, da kann man doch was ’dahinter‘ hören? Ja, nämlich Allemann hält sich an den Vokalismus von Hölderlins «Hälfte des Lebens», lässt also alle Vokale dieses Gedichts stehen, baut aber dann sein Gedicht aus ganz anderen Wörtern, macht aus den Schlusszeilen von Hölderlins Gedicht, «…im Winde klirren die Fahnen» sein bizarres «im kinde schwirren die ahnen», erzielt so einen zauberhaften Effekt und beabsichtigt keineswegs ein Sakrileg.

Wie Gerhard Rühm einst Lautgedichte schuf, die eben nur Lautgedichte waren und deren Tonfall dennoch unverkennbar wienerisch war , so gibt es bei Allemann, dem Basler, Einsprengsel und ganze Lautgedichte in Schweizerdeutsch, unverkennbar in Baseldütsch, in welchem Idiom auch eine Beschimpfung Allemanns vorgenommen wird, welche er einem Basler Stammtischbruder in den Mund legt, der einer wahrhaft konservativen Ästhetik anhängt und krachend vulgär die ganzen experimentellen Produkte Allemanns verprügelt – da gibt es ja viele, denen die ganze Richtung nicht passt. Aber in Allemann , dem Traditionalisten, schwirren die Ahnen Petrarca und Oskar Pastior, Brecht und der späte Eich.

(Süddeutsche Zeitung, 10. Oktober 2008)


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