Jörg Drews

Zu Ulf Stolterfoht



amoenisierung


diese gestimmtheit. dies verwiesensein. und dann
inmitten ähnlicher begriffe: SÄGEN. was überrascht:
es soll als zeichen für strukturzwang stehn. soll da-
durch auch befremden. doch dafür brauchts ABNOR-

ME MITTEL. entartet fällt ausdrücklich nicht. so
spricht die neue theorie denn auch aus gutem grund
vom SCHABEN. nur so entgliedert sich der schlupf.
erblüht der schrumpf zur vollen größe. das zauber-

wort heißt «parataktisch sprudeln». strudeln.
wohl straucheln auch: ihm ist bei goethe wohler
als bei eliot. befremdung nun vom allerfeinsten.
ein gastauftritt. ans pult schleicht donald davie:

«man möchte beinahe sagen daß die verwerfungen der
syntax in der versdichtung die herrschaft von gesetz und
ordnung in der zivilisierten gesellschaft bedrohen». ja ja:
zu gerne will man das. mit minimalem einschränk: nur!


Ulf Stolterfohts Gedicht aus dem Band« fachsprachen I-IX» (1998) sieht nach einem strophischen Gedicht aus, dessen Zellen mit metrischer Gleichartig keit gebildet sind. Der Anblick täuscht, doch er hat Wirkung: Der Augen schein suggeriert Sprechen, das das Gedicht nicht einfach prosaisch verlaufen lassen, sondern es mit einer gewissen Gehaltenheit rezitieren soll. Den Sätzen wird nicht direkt ein strophisch-metrisches Schema auferlegt, es wird ihnen eher eine Menge, etwas zwischen Quantität, Strophe und Rechteck aufge prägt. Stolterfohts Gedichte sind in dieser Hinsicht den Gedichten Thomas Klings, Marcel Beyers, auch manchen Gedichten Oskar Pastiors und Paul Wührs ähnlich. Unabhängig von allen gravierenden Unterschieden zwischen den Versen dieser Autoren in den letzten Jahren ist ihnen gemeinsam, daß es in ihnen ein neues Verhältnis zur gebundenen Rede gibt. Erstens gibt es eine Wiederaufnahme etwa der Terzine oder der Sestine oder auch des Sonetts, die aber nicht einfach als Flucht in den sicheren Hafen der alten Formen anzusehen ist, sondern entspannt, versuchsweise und unideologisch ist.
Zweitens gibt es den Versuch, etwas aufzubauen, was die Gedichte in die Nähe gebundener Rede bringt, aber sie nicht durch absolute strophisch-metrische Regelmäßigkeit erstarren läßt. Sondern es wird von der Prosa her, von prosaisch-unmetrisch gedachten Sätzen oder Wortfolgen her eine annähernde Regelmäßigkeit im Ablauf aufgebaut, die den Gedichten dann etwas mehr Festigkeit, Geschlossenheit, Ruhe, Bindung gibt, ohne daß die alten vorgegebenen Formen einfach wiederzuerkennen wären: das «wieder-» wäre das ideologisch Fatale. Hätte ich die achievements deutscher lyrischer Sprache in den letzten anderthalb Jahrzehnten zu benennen, würde ich auf diese neue innere Stabilisierung des Tons deuten, auf die nicht von außen auferlegte, sondern von innen heraus erarbeitete Festigkeit in der Fügung der Zellen, in der nun Ruhe und Unruhe zugleich entstehen können, weil zum Beispiel systematisch Zellenende und Satzende gegeneinander laufen. Gegen die Geschlossenheit des Tons wird untergründig rebelliert, sie wird bisweilen zum Unregelmäßigen gesprochener Rede hin geöffnet, sie kann an anderen Stellen so unauffällig nahe an geschlossene Formen herankommen, daß man verblüfft entdeckt, daß es da Reime gibt - die sich aber nicht als Charakteristikum in den Vordergrund spielen. Der Vers ist nicht von vornherein da, er wird von der Prosa her aufgebaut; er hat kein Rezept, das sich aus einem gegebenen Formenkanon oder einem Stil ergäbe, aber er hat ein Zustandekommen. Es gibt nicht den Glanz von Meisterhaftigkeit und Können, der sich Über die Zelle legte, sondern den Reiz einer Nüchternheit, die darauf achtet, daß sich der Vers nur eine Handbreit Über die Prosa erhebt und nicht «abhebt». Hierher gehören auch - die regelmäßig - unregelmäßigen Verkettungen von Zwei- und Dreizeilern, die Paul Wühr zur Struktur vieler seiner Gedichte gemacht hat, die Pathos in einem ungeahnten Maße wieder wagen und zugleich brechen.
Jetzt wäre natürlich doch daüber zu reden, welcher Sorte von literaturtheoretischem Quatsch, der Dichtung gerne als «subversiv» reklamiert, obwohl sie doch nicht einmal mehr in den Seminarräumen der Universität subversiv wirkt, Stolterfoht in dem angeführten den Garaus macht. Sagen wir aber hier nur noch, daß es in vielen Gedichten Stolterfohts in «fachsprachen» etwas gibt, das ich zu den neuen Möglichkeiten der Lyrik rechnen würde:
Intellektuelle Heiterkeit, die nicht einfach nur witzig-satirisch oder kulturkritisch ist, sondern mit avancierten poetischen Mitteln arbeitet und auf der Höhe der satirisierten Gegenstände ist, ähnlich - gerade auch in dem Abschnitt «fachsprachen IX» seines Bandes - wie in der erzählenden Prosa Thomas Meineckes in seinem Theorie-Szene-Roman «Tomboy».

(aus: Merkur, Heft 600, März/April 1999 zu: fachsprachen I-IX)