Jürgen Theobaldy

In der Drehtür




Der Sommer tastet den Himmel herauf,
und ich beuge mich in meine Blätter hinab,
die Halme schwanken, die meine Gedanken sind.
Frühes Rot, verpulvert man so seine Sinne,
wenn ein Löffel auf eine Tasse genügt?
Ein Flugzeug sinkt aus dem himmlischen Blau,
die Birnbaumzweige tanzen am Spalier
vor dem summenden Dunkel des Thujas,
ein Mensch kann darin sitzen und lesen.
Die Tamarinde, die all ihren Zimt zerstäubt,
die Silberpappel, die die Narbe eines Blitzes
in die flammenden Wolken streckt:
Auch diesen Tag erhellen mehr Lichter
als der Schmerz des Abschieds
bald in mir entzünden wird,
mehr Sensationen als die guten Gründe,
mit allem auf einmal zu brechen.
Neue Rätsel bilden sich, auch auf deutsch,
kein Berg fließt immer himmelan,
brodelnde Kronen aus Geröll und Felsen
schaukeln in der Hängematte der Ebene, -
sei nicht so schlicht zu sagen: um auszuruhen.

Sanftes Platzen der Blutbläschen in mir,
der Yogi rät, die Muskeln loszulassen,
während ich die Sonne grüße
mit meinen Übungen im Atemtakt,
die ich täglich machen sollte,
was aber täglich geschieht,
kann unmöglich nichts als gut sein.
Wenn wir erfahren, daß wir sterblich sind,
ist es zu spät, - eine kosmische Drehtür,
ein Scharnier zwischen dem All und dem Nichts,
und dir schwindelt erst, wenn es ausleiert.
Ich könnte gegen die Sonne losstürmen,
nur schreibt mir dieser Irrsinn keinen Vers.
Ich werde dem Engel die Ansichtskarte schicken,
weil die Kinder wissen, daß sie später einmal
Engel werden, erst Pilot, dann Engel,
und dann wissen sie es nicht mehr.
Einmal will ich sie wieder seufzen hören,
weil der Himmel endlos lange blau ist,
und alles Glück ist mit der Baseballkappe eingefangen.


Jürgen Theobaldy: Offene Räume (Essay)
Jürgen Theobaldys Bio- und Bibliographie



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