Thomas Combrink

doctor dre im blütenschnee




Was Sie schon immer über Lyrik wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten. Ulf Stolterfoht gibt die Antworten und wird zum Glück nicht müde, die Arbeit an den «fachsprachen» fortzusetzen.

«fachsprachen X-XVIII» – was für ein trockener, diskreter und wenig anschaulicher Titel für ein Projekt, das vor Ideenreichtum nur so sprüht. Und was für ein Ausdruck für eine Sammlung von Gedichten, die so wortreich und so sinnlich, so reglementierend und trotzdem so anarchistisch daherkommen, dass man meinen möchte, es sei sich jemand im Fach des Gedichteschreibens besonders sicher gewesen. Hier haben wir es mit einem ganz und gar speziellen Projekt zu tun, nicht für jeden zugänglich, nur für die, die sich in den Duktus der jeweiligen «fachsprache» einarbeiten möchten.
Ulf Stolterfoht hat – wie so viele andere Schiftsteller vor ihm – entdeckt, dass man in Gedichten auch ganz wunderbar über Gedichte schreiben, die schwierige Geburt eines Textes selbst in Verse übersetzen und all den Gefühlen und Gedanken, die im Kampf mit dem leeren Blatt sich in der Seele des Dichters ausbreiten, Ausdruck verleihen kann. Aber damit nicht genug, denn es geht nicht nur um den Akt des Schreibens selbst; vielmehr franst das ganze Projekt der «fachsprachen» in etliche Richtungen aus. Ganz ungeniert wird über das gesprochen, was in vielen Fällen der Text verbirgt: Über Vorbilder, über die Arbeiten und Autoren, die den Schriftsteller Ulf Stolterfoht zu seiner Lyrik gebracht haben. Das hat nichts mit einer verklärenden, bauchpinselnden oder beweihräuchernden Verehrung der literarischen Ahnen zu tun. Zum einen, weil Stolterfoht über den Bereich der Literatur hinausgeht und auch Theoretiker wie Adorno oder Komponisten wie Luigi Nono mit ins Spiel bringt, zum anderen aber auch, weil in den Gedichten enorm offen und unprätentios der «state of the art» verhandelt wird. Zwischen den Zeilen versteckt sich die Auffassung, dass Kunst immer etwas unmittelbar Neues präsentieren muss, und jede plumpe Wiederholung oder jeder naive Rückgriff auf die tradierten Methoden jedenfalls ästhetisch zum Scheitern verdammt ist.

Weite Welt aus Sprache

Damit ist eigentlich auch klar, womit man bei «fachsprachen XIX-XXVII» zu rechnen hat. Hier geht es um Sprache und um all das, was man mit der Sprache so anstellen kann. Wenn man also mal nicht versucht ist, in einem Gedicht schnöde Sozialkritik zu üben, die Verfallsdaten unserer Kultur zu benennen oder über die Vergänglich- und Vergeblichkeit des Lebens ostentativ zu jammern, sondern die Sprache selbst zu Wort kommen lässt, das einzelne Wort nimmt, damit es von anderen Wörtern, die einen ähnlichen Klang oder ein ähnliche Bedeutung oder sogar beides besitzen, angezogen und modifziert wird, dann taucht man in eine ganz eigene Wirklichkeit, einer Welt aus Sprache ein.Stolterfoht verabsolutiert das Wortmaterial nicht. Die Arbeiten zerbröseln einem nicht im Kopf, da er in vielen Fällen auf intakte, fast vollständige Sätze zurückgreift, die in ihrem sprachlichen Witz einfach wunderbar sind:
«zeugma deutma hermesei – da muß ein schleiermacher langen / scheidt für klöppeln. flicht sich den wirren bart zurecht und / krault. dem großen protestierenden wuchs diese zeile einfach / zu. um 1808. noch friedrich ast verstand sie fast.»
Wie erstaunlich mutet es da an, dass diese Texte ihre Stabilität vor allem auch aus der Tatsache gewinnen, dass Verse und Strophen, ja auch etliche Gedichte, die gleiche Länge besitzen. Blättert man den Band einfach durch, so fallen die vielen wohlvermessenen Strophenblöcke ins Auge und natürlich auch die permanente Kleinschreibung, die ein Hinweis ist auf Stolterfohts literarische Vertrauensleute aus der experimentellen Poesie. Warum auch nicht? Wieso sollte das Substantiv dem Verb überlegen sein, nur weil es großgeschrieben wird? Außerdem fällt es bei konsequenter Kleinschreibung schwerer, die Wortklassen zu bestimmen, und es bedarf der Interpretation. Der Leser als Interpret – was will man mehr als Lyriker.

(www.titel-forum.de, Dezember 2004)



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