Michael Braun

Dienstweg zum Nichts
Neue Gedichte von Kurt Aebli


Kurt Aebli schreibt eine Literatur der letzten Worte. Es ist, als würde dieser Autor in jedem seiner aphoristisch vertrackten Sätze noch ein letztes Mal Atem holen vor dem finalen Schlusspunkt und dem endgültigen Verstummen. Die Welt, die das stoische Ich seiner Prosaminiaturen und Gedichte zur Kenntnis nimmt, hält keine Überraschungen mehr bereit. Da ist kein Raum mehr für Utopien oder Glücksversprechen, da gibt es allenfalls noch die Wiederkehr des trostlos Immergleichen zu registrieren. Für den geübten Desillusionierungs-künstler Aebli gibt es dabei nichts Schlimmeres als eine ungehemmte literarische Redseligkeit. Er orientiert sich lieber an den Virtuosen des radikalen Erkenntniszweifels und der poetischen Verknappung, an Autoren wie Samuel Beckett und Günter Eich. Seine skeptizistischen Exerzitien erinnern an die späten Gedichte Eichs in ihrer Kunst der Weltverneinung und der sarkastischen Heiterkeit. «Die Tapete ist abgereist ich bin noch da», lautet ein typisches Aebli-Notat. An anderer Stelle propagiert er die Sinngebung im Sinnlosen: «das Recht auf ein Quantum Abgrund / mein Gesicht abschütteln / scheinbar sinnlose Worte zum Sieden bringen». So positioniert sich das zur Selbstverneinung neigende Ich konsequent im Zentrum einer unermesslichen Leere, in die zwar noch ein paar Außenreize eindringen, die aber von dem desillusionierten Subjekt achselzuckend zur Kenntnis genommen werden.

Aeblis Gedichte kartografieren ungerührt den «Dienstweg zum Nichts», ohne irgendeine Abweichung ins Lebbare, eine sinnliche oder metaphysische Gewissheit in Aussicht zu stellen. In mittlerweile zehn Prosabüchern und Gedichtbänden hat der bei Zürich lebende Autor seine fatalistische Seins-Diagnostik immer weiter radikalisiert. Bereits das Ich der 1994 erschienenen Prosaminiaturen «Mein Arkadien» träumte von jenen Orten, «wo es» – so wörtlich «mir gelungen wäre, ungestört unglücklich zu sein». Im Band «Der ins Herz getroffene Punkt» von 2005 war Aeblis Erzähler dann «am äußersten Rand der Trostlosigkeit» angekommen.

Nun hat Aebli weitere fatalistische Momentaufnahmen aus den – wie es heißt – «augenblicklichen Phasen einer Abschiedsrede» geliefert. Die Gedichte seines jüngsten Bandes mit dem überaus charmanten Titel «Ich bin eine Nummer zu klein für mich» arbeiten mit gewohnt feinem Sarkasmus an der Dekonstruktion einer ehrgeizigen Subjektivität. Für die einstmals stolzen Selbstbeschreibungen des Subjekts der Philosophie hat Aebli nur Spott übrig: «Mein Vorfahre das Ich prächtiger / Apparat von überwältigender / Grösse und Erhabenheit // hat Städte / gebaut Kriege / gewonnen Götter ge- / züchtet / Planeten verkauft». Die ganze selbstzerstörerische Menschheitsgeschichte hat Aebli hier in knappen acht Zeilen resümiert. Dem Nachfahren dieser «Ich»-Spezies bleibt nur noch die Verweigerung der alten Subjektivitäts-Anmaßung.

Diese Gedichte suchen nicht die metaphysische Tristesse in einen poetischen Wohlklang zu überführen, sondern ziehen die kunstvoll hergestellte Tonlosigkeit vor.

Es sind unverbunden nebeneinander gestellte Sätze und Satzfragmente, die alle gleich nah zu einem schwarzen Mittelpunkt der Heillosigkeit stehen. Sie bewegen sich oft in Paradoxien und sehr finsterem Humor vorwärts und sprechen unverrückbar schroff vom Aussichtslosen der Existenz. Zugleich sind diese Gedichte für den Autor die letztmögliche Form der Selbstbehauptung. Gäbe es sie nicht, wäre das endgültige Verschwinden besiegelt. Der Dichter weiß: «Wenn du nicht singst wirst du von Tag zu Tag weniger».

(Basler Zeitung, 9. November 2007)


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