Hermann Burger

Abend mit Ingeborg Bachmann 7. X. 69




Wir trafen sie in einer Bar nach 19 Uhr, also mitten im hektischen Treiben der Stadt. Sie war nicht so verschliessen, wie ich mir vorgestellt hatte, die Lippen noch frisch, auch die Haut ansehnlich, das kurze Haar blond, und der Blick voller Abgründe. Diese Spannung zwischen Augen, die nach aussen sollen. Herzlichkeit vom ersten Satz an, als wären wir alte Bekannte. Und allmählich begannen wir uns zu schämen für unser kompromissbereites Dasein, das vor der Konsequenz ihres Daseins in Stücke zerfiel. Wir sprachen über die Treibjagd der Verlage. Die Hauptsache ist für sie, dass ein Autor nebst allen Fehlern etwas hinterlässt. Die Kritiker und Verlage wollen stets, dass ihre Rechnung aufgeht. Sie hat sich zurückgezogen vom Marktgeschrei, arbeitet fieberhaft an einem Roman. Mit den Gedichten hatte es plötzlich aufgehört, als sie sich selber imitierte. Ein paar Nachzügler nach den beiden Gedichtbänden und dann aus. Sie bedauert es nicht. Eine organische Metamorphose. Sie war enttäuscht, als sie in ihre grosse Landschaft bei Wien zurückkam und nichts mehr verspürte von den Geistern der Ebene. (Asiens Atem ist jenseits). Beim Sprechen fällt sie manchmal von einem Satz zum andern in Ohnmacht. Wechsel zwischen taumelnder Hilflosigkeit und geschliffener Klarheit in der Sprache. Wenn sie sich nicht verstanden fühlt, verstummen die Lippen in lispelnden Bewegungen.
Über die Römer: wie sie nie zu zweit ausgehen, wie sie statt nordisch ernst über den Beruf über das Äussere sprechen, den Friseur und den Schneider; sich beleidigt fühlen, wenn man eine neue Locke nicht beachtet und würdigt. Dann dass alle römischen Geschäfte hinten heraus und im zweiten Stock liegen. Wie sie bei mörderischer Hitze und feuchtheissem Scirocco unfähig im Zimmer sitzt.
Man soll keine Meinungen über Literatur erwarten, sondern sie erfahren, sich dem Neuen und Alten aussetzen mit allen
Gefahren.
Manganelli / Wagenbach (Niederauffahrt).
Eine Frau von grenzenloser Offenheit für alles Schreckliche, männlich hart in der tragischen Konsequenz (die Stirnecken glänzen, wenn sie mit hastiger Bewegung das Haar zurückstreicht), und doch von weiblicher Hilflosigkeit dem überwältigenden Leben gegenüber. Sie stürzt sich kopfüber auf den Grund.
Zugrundegehen in doppelter Bedeutung ist ihr Wort.
Dabei ist sie sehr weiblich angezogen: hellblauer Rollkragenpulli, weisse, reich bestickte, fast glitzernde, eng anliegende Hosen. Halb Zirkusartistin, halb Mannweib.


Dein Blick, wenn die Lippen stammeln,
weil wir mit Wörtern zusammenprallten, (in d. Luft)
dein sturzgewandter Blick
(kein Übergang von Augenweiss zu Augenweiss)
zwingt mich aufs hohe Seil.
Bist du schwindelfrei? Du bist es nicht.
Du spannst es straffer, es
glänzen die Ecken deiner Stirn
und tief unter unsern Fragen,
die das Gleichgewicht verlieren,
jonglieren Clowns mit Sätzen wie diesen:
Kommst du zu mir,
gehn wir zu dir.
[Warte doch auf mich
in der Manegennacht]
sich verstehen,
sich auf dem Seil im Wege stehen,
wenn die Fragen das Gleichgewicht verlieren.


Schulmeisterlyrik
a2 + b2 = c2

Die Metaphern machen Lyrik. Es ist nichts da, das sie vertreten.


(Zuerst veröffentlicht in ZdZ Heft 3, Januar 1994)
Hermann Burgers Bio- und Bibliographie