Birgit Kempker

Almfreude




Immer wenn ich auf der Alm bin, immer auf der Alm, parallel zur Kuh und noch eine Kuh und noch eine Kuh, verspüre ich ein heftiges Begehren. Ein Begehren nach weissem sauberen Papier, immer wenn die Sonne dann so rot am Himmel steht, wenn der Mond hinter dem letzten Kuhschwanz langsam in den Morgen sinkt, wenn die Nebel dem Hans und der Louise den kalten Körper hinauf und immer wärmer werdend zum Hals hoch steigen, wenn ich mit meinen Füssen immer und immer wieder Käse stampfe, immer wenn ich auf der Alm so glücklich bin und eins mit mir und zwei mit dir, dann überfällt mich ein heftiges Begehren.
Als ich einmal auf der Alm war und die Kuh leise und dumm zum Fenster reinschaute, da dachte ich, so kann es nicht weitergehen, die Sonne rauf und runter der Mond, immer wieder hinter dem letzten Kuhschwanz in den Morgen hinein.
Wenn ich einmal auf der Alm wäre, würde ich allerlei Düfte zu riechen haben, ich würde meine Sinne beschäftigt wissen und würde abends mein Tagwerk verrichtet und der letzten Kuh heimgeläutet haben.
Wenn ich einmal auf der Alm gewesen wäre, würde ich die Kühe gelassener hinnehmen, ich würde mich nicht weiter um den Mond und die Sonne kümmern.
Wenn ich noch niemals auf der Alm gewesen wäre, könnte ich vom Mond und auch von der Sonne schreiben, von Hans und Louise, denn die könnte ich auch im Tiefland angetroffen haben.
Wenn ich einmal auf der Alm etwas geschrieben haben sollte, sollte das hier zu lesen sein.
Wenn ich immer auf der Alm bin, dann heisse ich Hans oder auch Louise, und das Begehren steigt in mir hoch, immer wenn ich auf der Alm bin, denn da wäre ich immer.
Immer wenn ich auf der Alm bin und mir der Hintern auf dem Bänkchen vor dem Häuschen anzuwachsen droht, denke ich, schnell ein andrer sein und stürze in die Tiefebene.



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